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Tanztheater
Die Wiederaufführung von Pina Bauschs Stück "Nelken"

Als sie Mitte der 70er-Jahre eine neue Form des Tanztheaters etablierte, war das nicht nur für Wuppertal eine Revolution des Genres. Inzwischen gilt das Tanztheater der vor sechs Jahren verstorbenen Pina Bausch als national bedeutsames Kulturgut. Gestern war im Opernhaus Wiederaufnahme, Neueinstudierung ihres Stücks "Nelken“ von 1982.

Von Wiebke Hüster | 30.01.2015
    Eine Auflösung des Tanztheaters nach dem plötzlichen Tod von Pina Bausch im Sommer vor sechs Jahren habe nie zur Debatte gestanden, so der Stadtdirektor und Kämmerer von Wuppertal, Dr. Johannes Slawig. Man habe abgewartet, wie das über Nacht verwaiste Ensemble reagiere und ob sich die Tänzer in der Lage sehen würden, weiterzumachen. Als die Compagnie vom Tod der Erfinderin des Tanztheaters erfuhr, befand sie sich auf einem Gastspiel in Breslau. Die geschockten Tänzer beschlossen, am Abend aufzutreten, für die Verstorbene zu spielen, und sich nur am Ende nicht zu verbeugen.
    Über die folgenden Monate der Trauer entwickelten sich in der Bewältigung des künstlerischen Alltags neue Arbeitsstrukturen, neue Verantwortlichkeiten. 2012 wurde ein sechswöchiges ausverkauftes Londoner Gastspiel im Rahmen der Feiern zu den Olympischen Spielen zum Beweis für den Erfolg ihrer Anstrengungen – hätte es noch eines Beweises bedurft. Zuletzt stürmte das Publikum die Vorstellungen der Jubiläumsspielzeit "Pina 40". Repertoireplanung, Tourneebetrieb, Umbesetzungen und Neueinstudierungen, alles scheint diesem empfindsamen Organismus Tanztheater zu gelingen. Jetzt, nach fünfeinhalb Jahren, ausverkauften Tourneen und fast sechs erfolgreichen Wuppertaler Spielzeiten weiß man, dass die Entscheidung weiterzumachen richtig war.
    2015 wird ein entscheidendes Jahr in dem Prozess, der die Zukunft des Tanztheaters dauerhaft sichern soll. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die größere Lösung, zu der in diesem Jahr der Startschuss fallen muss, ist sogar Bestandteil des Koalitionsvertrages. Sie sieht die Gründung eines Tanzzentrums im Schauspielhaus Wuppertal vor. Das von Stefan Hilterhaus entworfene Konzept beinhaltet einen Proben- und Spielbetrieb, Beteiligung an internationalen Koproduktionen und die Förderung von choreographischen Uraufführungen. Gleichzeitig wäre dieses Tanzzentrum das neue Zuhause des Wuppertaler Tanztheaters und auch der Sitz der Pina-Bausch-Stiftung. So könnten Archivierung, Forschung, Aufführungspraxis, Vergangenheit, lebendige Gegenwart und die Arbeit an der Zukunft des Tanzes unter einem Dach untergebracht sein. Stadtdirektor Slawig betont, dass auch ohne das angestrebte Gelingen dieser großen Lösung das Weiterbestehen des Tanztheaters ungefährdet sei. Im Gegenteil. Die identitätsstiftende Kraft des Werkes von Pina Bausch für die Stadt Wuppertal sei sehr groß. Die Stadt als Gesellschafter habe darum den Etat Schritt für Schritt aufgestockt und für den Tarifausgleich gesorgt. Derzeit kostet das Tanztheater die Stadt jährlich 2,6 Millionen und das Land 1 Million. Im März werden zusätzlich vier neue Tänzerstellen geschaffen. Die Wiederaufnahme-Premiere von "Nelken" gestern Abend zeigte, warum diese Stellen notwendig sind. Von den achtzehn Tänzern der Besetzung ist nur noch eine dabei, die auch die Premiere am 30. Dezember 1982 getanzt hat: Nazareth Panadero. Und vier spielten das Stück gestern Abend zum ersten Mal.
    Der heitere Klassiker hat extrem anstrengende Tanzpassagen und verlangt unter anderem, dass die Tänzer in dem dicht gesteckten Feld rosafarbener Kunstnelken wie Kaninchen umherhoppeln – nicht unbedingt, was man in fortgeschrittenem Tänzeralter in Knien, Hüften und unterem Rücken noch braucht. Grandiose Stuntmen springen von Gerüsten in Pappkarton-Berge und knallen vor der schreienden Aida Vainieri auf den Küchentisch und ihr vor die Füße. Hundehalter bilden bedrohliche Kreise um die Bühne. Schöne Revueformationen und Scherze mit dem Publikum wechseln mit selbstbezüglichen Witzen über die Rolle des Tänzers und die Erwartungen des Publikums. Manchmal sucht man in diesem surrealistischen Spiel den Faden und ist sich nicht sicher, ob es einen gibt, aber die meiste Zeit überlässt man sich dem Vergnügen und bewundert, wie charmant und teils sogar charismatisch eine neue Generation präsentiert, was so irre neu war, als manche dieser Tänzer noch nicht mal in den Kindergarten gingen.