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Tanztheater Wuppertal
Schwache Leistung nach langem Warten

Seit dem Tod von Pina Bausch gab es am Tanztheater Wuppertal keine Uraufführungen mehr. Die drei Stücke von Tim Etchells, Theo Clinkard sowie Cecilia Bengolea und Francois Chaignaud überzeugen die DLF-Rezensentin nicht. Als "mutlos, unterkomplex, ästhetisch kurzlebig" bewertet sie diese.

Von Wiebke Hüster | 19.09.2015
    Das argentinisch-französische Gastchoreographen-Duo Francois Chaignaud (l) und Cecilia Bengolea (2.v.l.) sowie der britische Regisseur, Schriftsteller und Gastchoreograph Tim Etchells und der britische Gastchoreograph Theo Clinkard (r) posieren am 09.09.2015 bei der Vorstellung der Pläne für die Uraufführung in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen). Das weltberühmte Tanztheater Pina Bausch wagt den Neuanfang. Am 18. September bringen die Tänzer erstmals neue Stücke auf die Bühne.
    Das argentinisch-französische Gastchoreografen-Duo Francois Chaignaud (l) und Cecilia Bengolea (2.v.l.) sowie der britische Regisseur, Schriftsteller und Gastchoreograf Tim Etchells und der britische Gastchoreograf Theo Clinkard (r). (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
    Ein international besetzter, von der Tanztheaterleitung selbst bestimmter Beirat, hatte verschiedene Choreografen vorgeschlagen, drei von ihnen stehen nun im Programmheft zur Premiere. Tim Etchells, dem 53-jährigen berühmten Chef der witzigen Theatertruppe Forced Entertainment, ist die Aufgabe von allen am schwersten gefallen. Cecilia Bengolea und Francois Chaignaud, eine Generation jünger als er, haben einfach ihre guten Beats mitgebracht, bass-betonten, aus Jamaika stammenden sogenannten Dub, und mithilfe von Queen Latesha, einer Lehrerin für diese Art coole Club-Bewegungen, ein paar sehr beeindruckende Tänze präsentiert.
    Zwischen diesen Nummern zünden die Tänzer Kerzen an und singen ein paar alt und traurig klingende Lieder. Das argentinisch-französische Choreografenpaar geht so um Inhalte unbekümmert an die Sache heran wie der Titel "The Lighters. Dancehall Polyphony" verspricht. Die Tänzer amüsieren sich prächtig bei den akrobatischen und erotischen Verrenkungen, mit denen sich das Tanztheater Wuppertal in die internetbasierte Jetztzeit katapultiert. Und dieses Vergnügen überträgt sich unmittelbar. So exstatisch mit dem Popo zu wackeln oder im Kopfstand die Beine rhythmisch auf und zuzuklappen ist so vulgär und sinnlos, dass es schon wieder lustig ist. In den Stücken von Pina Bausch kann man sich auch an vielen Stellen kaputtlachen und weiß eigentlich nicht genau, wohin diese Art gespielter Witze führen – dramaturgisch. Aber an Chaignaud und Bengolea findet das Stadttheater reizvoll, eine Art Subkultur integrieren zu können, in der romantischen Hoffnung, dadurch attraktiver zu werden. Warum das Publikum im Theater wiederfinden wollen sollte, was es im Internet längst anklickt, erschließt sich nicht ganz.
    Vollkommen anders ist der Ansatz des jungen Briten Theo Clinkard. Das ebenfalls halbstündige Stück fängt still und unspektakulär an mit ein paar Bühnenarbeitern, die auf riesigen Leitern ambulante Nebelmaschinen bedienen. Danach kommen die neun Tänzer, gekleidet in einem etwas kindlichen, aber entspannten, bunten Alltagsstil. Und stellen sich mit feinen, tastenden Erkundungen dem Publikum.
    Das ernsthafteste und nachdenklichste Stück ist dieses "somewhat still when seen from above" geworden. Das erlaubt den Tänzern eine unpathetische Entfaltung ihres Könnens. Die leere bis auf die Brandmauern aufgerissene Bühne ist so etwas wie ein ideologiefreier, geschützter Therapieraum. Trauer und Einsamkeit scheinen der behutsamen Schrittfolge und Zusammenfindung der Tänzer zu entsteigen wie Rauch einem nur noch glimmenden Feuer.
    Tim Etchells einstündige Tanztheateretüde "In Terms of Time", die den Abschluss des langen Abends bildete, ließ an keiner Stelle vergleichbare Sensibilität durchscheinen. Das Stück spielt mit Plastikmaterialien. Becherstapel werden von den Tänzern über die Bühne balanciert und schließlich hingeknallt. Plastiksäcke werden durch Schwenken mit Luft gefüllt, zugedreht und auf einen Haufen gelegt. Der Berg sinkt in sich zusammen.
    Mit diesem denkbar tristen, schwachen Echo des Ideenreichtums von Pina Bausch aus dem Abend rauszugehen, war deprimierend. Hätte man Theo Clinkard auswählen sollen, nicht aber die anderen? Hätte sich die Schlappe vermeiden lassen?
    Das wirklich Niederschmetternde ist nicht dieser eine schwache Abend, sondern was er enthüllte. Nämlich dass mit Pina Bausch das Tanztheater als Gattung eine Rolle gespielt hat, die es mit ihren Nachfolgern niemals füllen kann – solange diese so mutlose, unterkomplexe, ästhetisch kurzlebige Schwächlinge produzieren.
    Dass am Ort ihrer größten Erfolge mitansehen zu müssen, war bitter.