Freitag, 29. März 2024

Archiv


Tanzwut zum Frühstück

Zydeco ist Tanzmusik. Ihr Rhythmus regt zum Hüftschwung an und bringt in der Regel alle Zuhörer auf die Tanzfläche. Musikalische Hochburg dieser Musikrichtung ist das Cajun Country in den USA.

Von Franz Michael Rohm | 29.04.2012
    Rund eine Stunde dauert die Fahrt von New Orleans über die Interstate Ten Richtung Westen. Dann erreicht man das Gebiet des Cajun Country. Hier im südwestlichen Louisiana haben viele Städte französische Namen. Sie heißen Baton Rouge oder Lafayette.

    Am Bayou Teche, einem schmalen, aber tiefen Flüsschen im sumpfigen Atchafalaya-Bassin, schlägt das Herz des tiefen Südens von Louisiana. Hier scheint die Zeit irgendwann Anfang des 20. Jahrhunderts stehen geblieben zu sein. Die meisten Häuser sind aus Holz gebaut, auf den Veranden stehen Schaukelstühle. Frauen und Männer tragen Jeans - und manchmal auch Cowboyhut.

    In dem kleinen Örtchen Breaux Bridge spielt sich jeden Samstagmorgen ein ungewöhnliches Schauspiel ab. Ab acht Uhr strömen hungrige Tanzwütige in das Café des Amis. In dem großen Schankraum mit Südstaatenflair gibt es deftiges Frühstück und viel Musik.

    Auf einer kleinen Bühne stehen dicht gedrängt die Creole Cowboys. Jeff Broussard presst mit ordentlich Wumms Töne aus seinem Akkordeon. Zusammen mit einem Gitarristen, Schlagzeuger, Waschbrett-Spieler und Bass, hämmert der schwarze Musiker Tanzlieder mit französischen Texten auf die Tanzfläche.

    Kurz nach halb neun Uhr drehen sich die ersten Paare im zackigen Beat des Zydeco, der Musik einer besonderen Ethnie des Cajun Country. Jeff Broussards Vorfahren waren aus Haiti geflohene oder freigekaufte Sklaven, die sich in den Sümpfen der ehemaligen französischen Kolonie Louisiana ansiedelten.


    Die Musik der farbigen Bewohner des Cajun-Country ist neben Blues und Rock der Zydeco. Er gehört zu den letzten Überbleibseln einer kreolischen Kultur, die mehr und mehr aus dem Alltag verschwindet. Eines der seltsamsten Instrumente des Zydeco ist das Waschbrett. Bei den Creole Cowboys spielt es Jimmy Davis.

    "Das ist ein Frottoir. So heißt es auf Französisch. Auf Englisch heißt es Washboard. Das Besondere am Frottoir ist sein Klang. Unsere Musik hört sich mit dem Washboard viel besser an. Der Sound wird dadurch richtig klasse. Ich spiele das, seit ich 15 bin. Auf dem Frottoir wurde früher die Wäsche gewaschen."

    Gespielt wird das Frottoir oder Washboard mit Löffeln, Flaschenöffnern oder Metallhütchen an den Fingern. Jimmy Davis spielt es mit Teelöffeln.

    Nach mehr als einer Stunde Musik sind Tänzer und Band erschöpft und genießen eine kurze Pause. Das gibt die Möglichkeit für ein Gespräch mit Jeff Broussard, dem schwarzen Bandleader. Er trägt eine lederne Basecap und jongliert einen Zahnstocher zwischen den Zähnen.

    "Ich spiele Akkordeon, außerdem singe ich und spiele Geige. Beigebracht hat mir das mein Vater, Delton Broussard, als ich acht Jahre alt war. Zuerst spielte ich Schlagzeug. Mit 15 bin ich ausgebüchst und mit eigenen Bands unterwegs gewesen, und mit Bands von anderen, berühmteren Leuten. Schließlich habe ich angefangen Akkordeon zu spielen und mit einem Keyborder die Band Zydeco Force gegründet. Mit denen war ich 18 Jahre zusammen. Bis wir uns trennten. Ich hatte gemerkt, ich muss zu meinen Wurzeln zurück, das Traditionelle, Kreolische weiterführen."

    Viel Geld verdient man damit nicht. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, spielt Jeff Broussard an fünf bis sechs Tagen die Woche, teils mit der eigenen Band, manchmal in den Bands von Freunden. Aber es macht auch Spaß.

    Zydeco ist Root-Musik, von den Wurzeln. Es ist voller Seele, hat ein bisschen Blues und Jazz drin. Es ist einfach und erzählt von den einfachen Dingen des Lebens. Für mich ist diese Musik mein Leben, und ich werde es solange spielen, wie ich kann.

    Wie süchtig diese Musik machen kann, erzählt Kay Riye. Die Mittfünfzigerin mit Kurzhaarschnitt, roten Cowboystiefeln, Jeans und weißer Bluse stammt ursprünglich aus Ohio und ist Stammgast beim Zydeco-Brunch im Café des Amis

    "Ich habe Zydeco vor sieben Jahren kennengelernt. Sofort war ich von dieser Musik begeistert und in Bann gezogen. Anfangs kam ich für Festivals und in den Ferien hierher. Aber das war mir zu wenig. Also entschied ich mich hierher, zu ziehen. Nun gehe ich fünf Tage die Woche Zydeco tanzen."

    Wie der Name Zydeco entstand, erklärt Musiker Lee Benoît.

    "Zydeco bedeutet Brechbohnen. Es kommt vom Anfang des französischen Satzes, "Les haricots sont pas salés". So hieß ein früher Song. Wenn Englisch sprechende Leute "les haricots" schnell aussprechen, hört es sich an wie Zydeco. So kam der Name zustande. Während der Depression, in den 30er Jahren, als es den Leuten hier ganz miserabel ging, beantwortete man die Frage "Wie geht's?" oft so: "Nun, Mann, die Bohnen sind nicht gesalzen", "Les haricots sont pas salés". Das bedeutete, man konnte sich kein Pökelfleisch für den Eintopf leisten. Der Ausdruck Zydeco ist also ein Slangwort für harte Zeiten."

    Auch heute sind für viele Schwarze und Kreolen in Louisiana die Zeiten nicht gerade rosig. Mit der Armut vor 70 Jahren kann man die wirtschaftliche Situation dennoch nicht vergleichen.

    Einer der ältesten noch lebenden Zydeco-Musiker ist Goldman Thibodeaux. Der 77-Jährige trägt einen breitkrempigen, hellen Stetson-Hut. Abgesehen von seiner dunklen Hautfarbe verkörpert der Akkordeon-Spieler auch mit dem Rest seiner Kleidung perfekt das Klischee des amerikanischen Cowboys. Thibodeaux ist einer der wenigen Musiker, die nicht nur Französisch singen, sondern es auch im Alltag sprechen, wenn auch mit dem einen oder anderen englischen Wort gemischt.

    "Ich habe mir das Spielen selbst beigebracht. Und ich liebe es. Die alten Sachen meine ich. Nicht das neue Zeug. Das ist nicht mehr mein Zydeco. Ich mag die alten Sachen, das Traditionelle. Unsere Musik ist für jedermann, wir spielen für alle."

    Der schwarze Cowboy Goldman Thibodeaux betont den kreolischen Aspekt des Zydeco.

    "Zydeco kommt von den Kreolen. Nicht zu verwechseln mit den Cajun. Die Kreolen sind Mischlinge mit hauptsächlich schwarzer Abstammung. Und die Cajun sind weiß. Die Cajuns hier waren schlecht zu uns. Ich meine, wirklich schlecht. Warum? Sie haben auf uns herabgesehen. Sie fühlten sich besser, nur weil sie weiß waren. Der alte Zydeco ist unsere Musik, kreolisch, es ist die Musik der Schwarzen."

    Aufgewachsen ist der Akkordeonspieler in einer Zeit, als zu Zydeco hauptsächlich zu Hause getanzt wurde.

    "Ich erinnere, als ich vielleicht zwölf Jahre alt war, gingen wir zum Tanz. Also zum Haustanz. Es gab kaum Tanzlokale wie heute. Wenn, dann waren das Honky Tonks, Bordelle. Da gingen wir nicht hin. Wir gingen zum Haustanz."

    Die Zeiten des Haustanz sind lange vorbei. Modernen Zydeco-Interpreten wie der eben gehörte Chris Ardoin spielen in Tanzhallen, Restaurants und Bars. Und sie singen mittlerweile englische Texte. Jeff Broussard aus dem Café des Amis empfindet die Unkenntnis des französischen Creole auch bei sich als großes Manko.

    "Unsere Sprache ist verloren gegangen. Man merkt es daran, dass viele Zydeco-Lieder heute in Englisch gesungen werden. Das sind eher Rhythm & Blues Sänger. Die können kein Französisch mehr. Die noch in der alten Sprache singen, sind vielleicht noch ein halbes Dutzend. Die neuen Musiker bringen das nicht mehr, das ist echt traurig."

    Im Café des Amis wird weiter jeden Samstag zum Zydeco aufgespielt, und die Tänzerinnen und Tänzer drehen sich dazu im Kreis. Den meisten ist es egal, welche Sprache gesungen wird, ihnen kommt es auf den Rhythmus an. Und der ist einfach mitreißend.