Dienstag, 19. März 2024

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Tarek K.I.Z. auf Solopfaden
"Es ist eine Art Lebenstraum"

„Es war an der Zeit, ein Soloalbum zu machen“, sagt Tarek Ebéné von der Hip-Hop-Formation K.I.Z.. Mit "Golem" veröffentlicht er ein Album zwischen Wut und Melancholie, geprägt von persönlichen Geschichten, wie dem Tod seines Vaters: "Das hat mich definitiv verändert", meinte der Rapper im Dlf.

Tarek K.I.Z.im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 01.02.2020
Tarek Ebéné, Sänger der Band K.I.Z., auf dem Hurricane Festival.
Tarek Ebéné, Sänger der Band K.I.Z., auf dem Hurricane Festival. (dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt)
"Golem" heißt das Solo-Album von Tarek, eine Anspielung auf ein Lehmwesen aus der jüdischen Mystik: Der Golem wurde von einem Rabbi gebildet, um seine Gemeinde vor Angreifern zu schützen, nur - irgendwann verlor der Rabbi die Kontrolle über ihn. Tarek hat mit der Musik auf "Golem" also auch ein Wesen geschaffen, über das er die Kontrolle verlieren kann?
Tarek: Ja, ich denke, das geht fast jedem Künstler so, sobald die eigene Musik für die Öffentlichkeit zugänglich ist, weiß niemand was damit passiert und was das für Auswirkungen auf einen selber hat. Deswegen fand ich das ein schönes Bild.
Anja Buchmann: Aber sie sehen sich nicht jetzt selbst auch als Golem, der im schlechtesten Fall mal austicken kann und nicht beherrscht werden kann?
Tarek: Das ist sicher das eine oder andere Mal passiert, aber nee, also das Album heißt nicht deswegen so. Aber natürlich bin auch ich schon ausgetickt und außer Kontrolle gewesen.
Buchmann: Was war der Anlass dafür, jetzt ein Solo Album zu machen? War es einfach an der Zeit, mal was allein zu machen? Also, in Anführungsstrichen "allein", es waren ja auch noch andere mit daran beteiligt. Aber unter ihrem Namen.
"Eine Weiterentwicklung für mich selber als Künstler"
Tarek: Ja, es ist eine Art Lebenstraum, den ich mir erfüllt habe. Einfach eine Art Weiterentwicklung für mich selber als Künstler, Solo-Songs zu schreiben und auch mehr gesungene Sachen auszuprobieren, damit es nicht eintönig wird. Nach 15 Jahren. In der Musik macht es Sinn, hier und da etwas Neues auszuprobieren. Deswegen hab ich das gemacht. Und auch, weil es eben wie gesagt ein Kindheitstraum gewesen ist. Und würde mich jetzt morgen ein Bus überrollen, hätte ich mich geärgert, dass ich das… falls man sich dann noch ärgern kann, falls es dann noch möglich ist. Dann schwebe ich vielleicht im OP über den Ärzten und denke: Mann, diese eine Sache hättest Du noch machen können, wenn das Leben wie ein Film an einem vorbeizieht. Falls es wirklich so ist, wie die ganzen Leute immer berichten. Dann hab ich noch ein interessantes Kapitel, was ich mir angucken kann. Irgendwann.
Buchmann: Stichpunkt Weiterentwicklung, ich hab mit diversen Künstlerinnen und Künstlern gesprochen, die dann also, wenn die halt Songs oder Kompositionen fabriziert haben, die irgendwann gesagt haben, ja, es gibt schon Dinge, die man natürlich immer wieder ähnlich macht. Und die haben sich zum Teil dadurch herausgefordert, dass sie vielleicht mal einen Song an einem ihnen bisher gar nicht so gelegenen Instrument komponiert haben, oder so. Wie machen Sie das, um sich selbst vielleicht auch manchmal zu überraschen und nicht in irgendwelche Dinge zu verfallen, die man dann immer wieder gleich macht oder ähnlich macht?
Tarek: Ja, so wie ich vorhin schon meinte: Einerseits ist es etwas anderes, gesungene Songs zu schreiben, dass man halt versucht, Melodiebögen zu finden, die sich nicht allzu sehr ähneln, die Rhythmik zu ändern, und dann kam natürlich auch, dass ich mit meiner Band K.I.Z. oftmals einen doppelten Boden in den Texten habe oder eine ironische Brechung auf die ich beim Solo-Album verzichtet habe. Oftmals, nicht immer, aber in den meisten Songs. Das ist auch eine Herausforderung.
Tarek K.I.Z. mit Basecap vor Hochhäusern
Auf Solopfaden: Tarek von der Hip Hop-Formation K.I.Z. (Gerngross Glowinski)
Buchmann: Liebe Tod, auch düster-verzweifelte Themen finden sich auf dem neuen Album, es ist durchaus einiges autobiografisch. Ist deshalb auch das Cover mit dem Foto von Ihnen als kleiner Junge, der ja schön düster, trotzig, wütend dreinschaut, da drauf, mit dem Hinweis auf diese autobiographischen Geschichten?
Tarek: Ja, einerseits definitiv deswegen und andererseits, weil der Blick zu dem Vibe des Albums passt. Es ist ein düsteres Album, größtenteils jedenfalls, und das hat gepasst. Und auch einfach: ich rede viel über meine familiären Verhältnisse und die Vergangenheit. Und da passt ein Bild aus meiner Vergangenheit einfach gut.
Buchmann: Erinnern Sie sich noch daran, an die Situation, als dieses Foto geschossen wurde?
Tarek: Nein. Ich weiß nicht, warum. Es gibt ja Leute, die erinnern sich an ihren ersten Kindergartentag. Ich kann mich nicht gut an meine Kindheit erinnern. Leider. Deswegen weiß ich nicht, in welcher Situation das war. Ich denke mal, es wird nichts allzu dramatisch sein. Also das hoffe ich zumindest.
"Ticket hier raus"
Buchmann: "Ticket hier raus" ist der Opener des neuen Albums und beginnt auch gleich mit einer... -Sie haben auch gesagt viel Autobiografisches -, mit einer Anspielung auf die Krebserkrankung ihres Vaters. Dann Worte wie "verwesende Stadt, lebendig begraben in einem Sarg aus Stahl" oder auch "Feierabend, und die Bahn ist voller Sklaven." Nur so ein paar Bruchstücke aus dem Text. Sehen Sie sich auch als ein Teil dieser Sklaven oder ist das meine Beobachtung?
Tarek: Ich denke, ich bin sehr privilegiert dahingehend, dass ich von meiner Musik leben kann. Ich habe keine Vierzigstundenwoche und einen Vorgesetzten, der mir auf den Geist geht. Aber natürlich ist man trotzdem eingebunden in ein System, also zum Beispiel: Ich kann als Musiker nicht abschalten. Wenn ich abends auf der Couch sitze, dann hab ich schon oft die Situation, dass ich merke, okay, ich bin jetzt überhaupt nicht präsent und dass ich dann mit Familie dort sitze, nicht wirklich anwesend, weil ich an den nächsten Song denke. Und natürlich ist man als Künstler auch abhängig vom Feedback der Leute. Dementsprechend ist man schon auch in so einem Kreislauf, in so einer Art Hamsterrad. Aber meins ist ein bisschen angenehmer als das vieler meiner Freunde.
Buchmann: Ist das eine persönliche Momentaufnahme, also dieser Song hier zum Beispiel, wo sie dann eben 'Ticket hier raus, Ticket hier raus' singen? Oder auch schon mit Blick auf die jetzige Zeit als besonders düster oder deprimierend oder kalt?
Tarek: Es ist alles gleichzeitig. Also, ich beschreibe in dem Song die Vergangenheit mehr oder weniger. Ich fahr zur Arbeit und betrachte die Leute in der Berliner U-Bahn, die alle mit Tunnelblick, gezwungenermaßen irgendwie zur Schule oder zur Arbeit fahren und gleichzeitig ist es relativ aktuell, wo ich die Krebserkrankung von meinem Vater thematisiere. Und ich denke, es ist auch die Zukunft. Leider ist es auch die Gegenwart, nicht genau die GIs, alles gleichzeitig so ein bisschen. Ich hab halt versucht, eine Art Film vor dem inneren Auge ablaufen zu lassen und hab da verschiedene Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemocht habe, reingepackt. Es ist sehr düster und nicht sonderlich optimistisch.
Buchmann: In der Tat, würden Sie gern ausbrechen, raus aus Berlin, raus aus der Zeit oder wie auch immer?
Tarek: Ich würde schon gerne woanders hinziehen. Also, ich weiß es noch nicht genau. Weil dieses Gefühl, dieses Grundgefühl, das kann ein überallhin verfolgen. Letzten Endes kann ich auch auf den Malediven am Strand sitzen und mich unwohl fühlen. Ich glaube, das ist so ein Gefühl der Sehnsucht, dass man irgendwo ankommen möchte. Und das kann man am ehesten in sich selber finden. Also ich glaube, die äußeren Umstände sind da nicht so wichtig wie die innere Ausgeglichenheit und... Resilienz oder wie man das nennt.
Buchmann: Genau das wäre das Fremdwort, kann man dann im Interview auch gut mal anbringen, gerade mit dem Deutschlandfunk.
Tarek: Ja, ja, es klingt sehr anspruchsvoll, genau.
Buchmann: Wie Sie selbst schon sagten, Sie erzählen auch von der Erkrankung, dem Tod Ihres Vaters, der erste und auch der letzte Song rahmen quasi dann das Album ein, wo das erzählt wird. Hat Sie dieses Erlebnis der Krankheit und des Sterbens - hat Sie das verändert?
Tod des Vaters hinterlässt Spuren
Tarek: Es hat mich definitiv verändert. Ich denke, ich bin etwas lebensbejahender unterwegs. Und auch es ist komisch, darüber zu reden. Es fühlt sich immer wie so ein Marketing-Move an. Aber mein Vater war Musiker, und er hat seine Musik leider nie rausgebracht. Und letzten Endes war das der ausschlaggebende Grund für mein Album, dass ich je gesehen habe, das kann schnell vorbei sein. Und dann bereut man das, was man nicht getan hat. Definitiv. Ja, das hat mich verändert.

Buchmann: Wie ich gelesen habe, war ihr Vater durchaus auch sehr an Funk-Musik interessiert. Und großer Prince-Fan, hat sie da wohl auch auf das eine oder andere Konzert mitgenommen von Prince. Sind so Sachen, wie in diesem sehr funky Song "Nubischer Prinz" auch musikalisch so ne kleine Referenz, Anspielung auf Ihren Vater, der eben dieser große Prince-Fan war?

Tarek: Ja, ich denke tatsächlich, dass das einer der Gründe war, warum ich das aufs Album genommen habe, das Lied. Ich hatte überlegt, ob es den Gesamteindruck nicht ein bisschen stört. Aber ich finde, ein Album muss wie so eine Achterbahn sein, mit Höhen und Tiefen. Da hat man mal einen rhythmisch etwas schnelleren Song, schneller gerappt oder schneller gesungen, und er ist etwas auflockernd zwischen den etwas düsteren Liedern. Ich glaube, ihm hätte der Song sehr gut gefallen, ja.
Schwieriges Thema 'häusliche Gewalt' in Songform
Buchmann: 'Letzte Chance' zum Beispiel, da geht es um häusliche Gewalt, ein richtig heftiges Thema. Also, Sie singen oder rappen zum einen in der ersten Strophe: das Kind kriegt quasi mit, wie der Vater die Mutter missbraucht und dann in der zweiten Strophe, Sie oder der Ich-Erzähler, wie auch immer, wird selbst zum Täter. Also das Opfer wird zum Täter. Zitat: "Schwaches Selbstbewusstsein auf starken Schultern" oder "bald bin ich groß genug, dann halte ich ihn auf." Er kriegt aber dann doch wieder eine letzte Chance. Und dann fragen Sie: Kann man seine eigene Mutter hassen? Und da frage ich mich, warum auch der Hass auf die Mutter, also das Opfer, und weniger auf den Täter? Oder kommt das nur bei mir so an?
Tarek: In diesem Song habe ich meine Beziehung zu dem Mann meiner Mutter, nicht meinem Vater, und meiner Mutter verarbeitet. Es ist ein sehr sensibles Thema. Ich habe das nicht eins zu eins so erlebt, wie es in dem Lied ist. Es ist wie immer eine Art Film, der vor dem inneren Auge ablaufen soll. Und ich fand den Kreislauf interessant, von dem Leidtragenden, von solchen Familienverhältnissen bis hin zum Täter. Und dass man sagt: ich habe mich nie gerächt. "Im Spiegel sieht mich ein feiger Hund an", dann: "schwaches Selbstbewusstsein auf breiten Schultern". Ich meine, das beinhaltet ja mehr oder weniger, dass man diese Personen natürlich dann auch verabscheut und gleichzeitig dieser Scham oder diesen Komplex entwickelt hat, dass man sich da irgendwie nie für sich selber gerade gemacht hat, sozusagen. Und das dann halt schwacher Weise an der Person, die einem selber am nächsten ist, der eigenen Partnerin dann wiederum auslässt. Ich denke nicht, dass man in dem Song den Eindruck hat, dass der eigentliche Täter, wie gesagt, nicht verabscheut wird.
Buchmann: Ja, das war vielleicht auch ein bisschen überspitzt formuliert von mir.
Tarek: Aber der Mechanismus, dass man sich das anguckt und sich denkt: Warum muss ich mir das antun? Warum lässt Du das zu? Wenn man jetzt erwachsen ist und sagt: sie ist auch die Leidtragende davon. Sonst wäre es "Victim Blaming", gibt es ja den schönen Begriff dafür, aber als Kind siehst du das nicht so. Da denkst du einfach nur: dieser Mensch hier ist neu in unserem Leben. Warum mutest du mir das zu? Und dass daraus Wut entstehen kann - und wenn du die falschen Schlüsse daraus ziehst als Erwachsener - das hab ich in meinem Bekanntenkreis, weil mit solchen Leuten will ich nicht unbedingt was zu tun haben, also nicht Freundeskreis, sondern Bekanntenkreis, da kriegt man sowas natürlich mit. Falsches Männlichkeitsempfinden. Falscher Stolz und so weiter und so fort, dass man dann irgendwie… Gott, das ist ein schwieriges Thema. Also auf jeden Fall, dass man dann irgendwie so ne Art Groll gegen Frauen mit sich herumträgt. Das hab ich sehr oft erkannt und sehr oft bei anderen Männern gesehen, sozusagen.
Buchmann: Und haben auch erkannt oder vermeintlich erkannt, worauf das zurückzuführen ist?
Tarek: Ja, natürlich. Ich finde es nicht richtig, aber ich kann nachvollziehen, warum manche Leute so sind. Es ist wie so eine offene Wunde. Ich meine, sie verletzen sich, verletzten natürlich ihre Frauen und ihre Familien in gleichem Maße, wie sie das erlebt haben. Und sie selber sind ja auch letzten Endes bemitleidenswerte Kreaturen. Das ist sehr tragisch, also können einem alle nur leidtun.
Buchmann: Und gerade als Kind kann ich natürlich auch durchaus nachvollziehen, warum man sich denkt: Verdammt noch mal, Mutter, warum lässt du dir das gefallen? Du bist doch auch erwachsen, du kannst du doch auch gehen, kannst sagen: stopp, nicht weiter. Ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Klar. Aber, dass man die Gedanken hat von wegen: Mein Gott, dann geh doch einfach. Das kann ich schon auch durchaus nachvollziehen.
Tarek: Ja, muss man auch gucken, wie es um die Psyche der Frau, des Opfers in diesem Fall bestellt ist. Warum man vielleicht auch sich so lange dieser Sache aussetzt und irgendwann hast du auch die Situation: Ich habe so viel Zeit jetzt in diese Beziehung investiert. Vielleicht finde ich niemanden neues mehr und so… ah, schon wenn ich darüber rede, kommt das Grauen hoch.
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