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Tarifkonflikt in Metallindustrie
"Ein Streik hätte niemandem geholfen"

Die Tarifparteien in der Metallindustrie haben sich am Morgen in Böblingen bei Stuttgart geeinigt. Der Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger zeigte sich zufrieden über den Gesamtabschluss. Durch einen Streik wäre die deutsche Wirtschaft wochenlang blockiert gewesen, sagte er im DLF. Es sei ein fairer Abschluss erreicht worden.

Rainer Dulger im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.02.2015
    Der Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger.
    Der Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger. (Imago / Becker&Bredel)
    Die vereinbarte Erhöhung der Tarifentgelte sei ein Kompromiss. Der Abschluss sei "gerade noch an der Grenze des Erträglichen", betonte Gesamtmetall-Chef Rainer Dulger. Es sei vor allem um die qualitativen Themen gegangen: Altersteilzeit und Bildungsteilzeit. Dadurch, dass diese Punkte geregelt worden seien, seien die Betriebe für die nächsten Monate befriedet.
    Die Beschäftigten der Branche erhalten laut Einigung ab 1. April 3,4 Prozent mehr Lohn. Zudem wurde eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro vereinbart. Der Vertrag hat eine Laufzeit bis Ende März 2016. Die Übereinkunft gilt als Pilotabschluss, der bundesweit übernommen werden soll.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Wenn in Baden-Württemberg Arbeitgeber und Gewerkschaften einen neuen Tarifvertrag aushandeln, dann blickt halb Deutschland Richtung Südwesten, denn traditionell werden hier Verträge ausgehandelt, die maßgeblich werden auch für den Rest der Republik. Das liegt auch am hohen Anteil von Gewerkschaftsmitgliedern in der Automobil- und Zuliefererindustrie. Die IG Metall, sie ist ein starker Verhandlungspartner im Südwesten. Gestern Nachmittag kamen IG Metall und Gesamtmetall, also die Arbeitgeber, zur entscheidenden Verhandlungsrunde zusammen, in Böblingen bei Stuttgart, und gaben sich zuversichtlich, und tatsächlich hat es eine Einigung gegeben. Um fünf Uhr herum stieg weißer Rauch auf. Und am Telefon ist jetzt dazu zugeschaltet Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Schönen guten Morgen nach einer durchverhandelten Nacht, Rainer Dulger.
    Rainer Dulger: Guten Morgen!
    "Die vereinbarte Erhöhung der Tarifentgelte ist ein Kompromiss"
    Heckmann: Das Ergebnis lautet: 3,4 Prozent mehr Geld zum 1. 4., eine Einmalzahlung von 150 Euro. Kann sich die Branche diesen Abschluss leisten?
    Dulger: Ich bin zufrieden, dass wir den Tarifabschluss heute Morgen abschließen konnten. Grundsätzlich hätte ein Streik niemandem geholfen und die deutsche Wirtschaft wäre dadurch auch wochenlang blockiert gewesen, mit ungeheuren Kosten. Wir haben in der Tarifrunde gesagt, der Abschluss muss fair sein, er muss fair für alle sein, und wir glauben, dass wir das heute Morgen erreicht haben.
    Der Abschluss, was das Entgelt angeht: Die vereinbarte Erhöhung der Tarifentgelte ist ein Kompromiss. Der ist gerade noch an der Grenze des Erträglichen. Für einige unserer Mitglieder liegt er auch sicherlich über dem Erträglichen. Wir müssen immer die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen im Auge behalten. Die jetzige Lösung können wir gerade so eben noch stemmen.
    Heckmann: Über dem Erträglichen für manche Betriebe, sagen Sie. Weshalb haben sich die Arbeitgeber dennoch darauf eingelassen?
    Dulger: Es ging uns grundsätzlich um die qualitativen Themen, Altersteilzeit und Bildungsteilzeit, und nur mit Blick auf die Einigung bei diesen Themen war ein so hoher Abschluss möglich. Er belastet unsere Wettbewerbsfähigkeit enorm. Dennoch haben wir die Altersteilzeit und die Bildungsteilzeit geregelt und damit die Betriebe auch für die nächsten Monate befriedet.
    "Wir haben bei Altersteilzeit und Bildungsteilzeit einen Kompromiss gefunden"
    Heckmann: Das heißt, Sie haben die Forderung der Gewerkschaft auf dem Gebiet Altersteilzeit und Bildungsteilzeit - Sie haben sie eben gerade genannt - mehr oder weniger abgewehrt und das dadurch ausgeglichen, dass Sie hier einen größeren Schluck aus der Pulle gönnen?
    Dulger: Wir haben bei Altersteilzeit und Bildungsteilzeit einen Kompromiss gefunden. Wir wollten bei der Altersteilzeit die Altersteilzeit als Instrument beibehalten, aber sie neu regeln, damit sie nicht mehr so kompliziert ist. Wir wollten einen Unterschied schaffen zwischen denen, die nicht mehr können, und denen, die nicht mehr arbeiten wollen. Alle diese Punkte haben wir erreicht.
    Heckmann: Vor allem wollten Sie, wenn ich da kurz einhaken darf, Herr Dulger, wenn ich das richtig gelesen habe, die Anspruchsberechtigten und den Kreis der Anspruchsberechtigten bei der Altersteilzeit halbieren von vier Prozent auf zwei Prozent. Damit haben Sie sich nicht durchsetzen können.
    Dulger: Wir sind bei den vereinbarten vier Prozent geblieben, aber wir konnten eine deutlichere Unterscheidung zwischen den Mitarbeitern, die in Altersteilzeit gehen, schaffen, dass die, die nicht mehr können, sich etwas unterscheiden von denen, die nicht mehr wollen. Das ist uns gelungen. Wir sind mit der jetzt gefundenen Lösung zufrieden.
    Heckmann: Was heißt das konkret, diese Unterscheidung, die Sie jetzt angesprochen haben? Was heißt das für die Beschäftigten?
    Dulger: Das drückt sich in den Prozentzahlen aus, die maximal zugangsberechtigt zur Altersteilzeit sind. Da gibt es für die Mitarbeiter, die aus verschiedensten Belastungsgründen nicht mehr können, einen bevorzugten Zugang zur Altersteilzeit und es gibt auch eine insgesamt höhere Prozentzahl in den Betrieben im Gegensatz zu denen, die ihr Leben einfach neu gestalten wollen und nicht mehr arbeiten wollen. Da muss es einen Unterschied geben und den haben wir gefunden.
    Heckmann: Weshalb muss es diesen Unterschied geben aus Ihrer Sicht?
    Dulger: Nun, es muss aus unserer Sicht einen Unterschied geben, dass jemand, der nicht mehr arbeiten kann, obwohl er vielleicht auch gerne noch arbeiten wollte, und jemand, der nicht mehr arbeiten will, weil er sein Leben einfach neu gestalten will - das ist sein gutes Recht -, aber da muss es aus unserer Sicht bei den Zugangsmöglichkeiten einen Unterschied geben, sodass die besonders Belasteten bevorzugt werden.
    Heckmann: Aber würde es nicht in die Landschaft und auch in die demografische Entwicklung passen, dass man flexiblere Übergänge in der Zukunft auch schafft, auch für diejenigen, die noch arbeiten könnten?
    Dulger: Die Altersteilzeit schafft ja eben diese flexiblen Übergänge und es muss für jeden auch selbst gestaltbar sein, wann und wie er in den Ruhestand gehen will. Das haben wir damit erreicht. Hier können beide Seiten mit dem Ergebnis zufrieden sein.
    "Für beide Seiten ein tragbarer Kompromiss"
    Heckmann: Kommen wir zu dem anderen Punkt: Bildungsteilzeit. Was haben Sie da mit der Gewerkschaftsseite vereinbart?
    Dulger: Wir hatten von Anfang an klar gemacht, dass das Modell der IG Metall zur Bildungsteilzeit nicht in Frage kommt, aber wir die schon bestehenden regionalen Regelungen, die es bisher zur Bildungsteilzeit gab, wieder in Kraft setzen könnten. Genau das ist jetzt mit einigen kosmetischen Korrekturen geschehen. Wir wollten keinen Anspruch, keine Ausweitung der Mitbestimmung und keine Teilzeit-Bildungsfonds. Die kriegen wir jetzt auch nicht, das haben wir erreicht. Man kann sagen, wir haben die Fassade neu gestrichen und ein paar Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen, aber das gleiche Haus ist immer noch geblieben. Das ist für beide Seiten ein tragbarer Kompromiss.
    Heckmann: Diese kosmetischen Veränderungen, von denen Sie gerade gesprochen haben, was genau beinhalten die?
    Dulger: Nun, bei der Bildungsteilzeit gibt es spezifische Länderlösungen. Die sind ermöglicht worden, weil Bildungsteilzeit als Ländersache sich auch schon vorher in den Bundesländern unterschieden hat. Es gibt eine generelle Übernahmeempfehlung für die Regelung aus Nordrhein-Westfalen. Aber jedes Bundesland - so ist das heute auch in Baden-Württemberg geschehen - kann hierzu noch weiterreichende eigene Regelungen treffen. Das ist ein Kompromiss, der genügend Gestaltungsspielräume für die einzelnen Bundesländer und die besonderen Gegebenheiten in den Bundesländern lässt.
    Pilotabschluss in Baden-Württemberg
    Heckmann: Baden-Württemberg, Herr Dulger, hat ja in der Geschichte oft Pilotabschlüsse hervorgebracht. Oft sind die bundesweit übernommen worden. Wird das auch dieses Mal der Fall sein?
    Dulger: Der Pilotabschluss in Baden-Württemberg wurde von Gesamtmetall heute Morgen zur Übernahme empfohlen. Das heißt, er entfaltet seine Wirkung, was das Entgelt angeht und was die Altersteilzeit angeht, im gesamten Bundesgebiet. Zur Bildungsteilzeit muss es lokale Ergänzungen geben. Auch das ist vereinbart worden. Damit haben wir einen bundesweiten Pilotabschluss, der seinen Ursprung in Baden-Württemberg hat.
    Heckmann: Das heißt, Sie sind sich sicher, dass die Arbeitgeber in den anderen Tarifzonen, in den anderen Bundesländern der Sache folgen werden?
    Dulger: Das haben wir heute Morgen so beschlossen. Wir sind zufrieden mit dem Verlauf, wir sind zufrieden mit dem Ergebnis und wir können jetzt in unserer Industrie die nächsten 15 Monate wieder befriedet arbeiten.
    Heckmann: Rainer Dulger war das, der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, zum Durchbruch bei den Tarifverhandlungen im Südwesten. Herr Dulger, ich danke Ihnen für das Interview, wünsche Ihnen eine gute Fahrt nachhause und eine gute Nacht.
    Dulger: Danke sehr! Auf Wiedersehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.