Mittwoch, 24. April 2024

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Tarifrecht
"Einheitsgewerkschaft hat nichts mit Sozialismus zu tun"

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat einen Gesetzesentwurf zur Tarifeinheit vorgelegt. Diese Konfliktlösungsmechanismen könnten zwiespältig sein, sagte Franz-Josef Möllenberg, Ex-Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, im DLF. Er sprach sich deutlich für eine Einheitsgewerkschaft aus, "weil nur so Solidarität organisiert werden kann".

Franz-Josef Möllenberg im Gespräch mit Dirk Müller | 28.10.2014
    Ein Bahn-Signal leuchet rot am 17.10.2014 vor einer Weiche im Hauptbahnhof in Hannover (Niedersachsen).
    Das Streikrecht dürfe nicht angetastet werden, sagte Franz-Josef Möllenberg (NGG). (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Dirk Müller: Sollen die Kleinen die Großen dominieren? Sollen die Kleinen einen eigenen Tarifvertrag abschließen können, der ganz anders aussieht als für die Gewerkschaft, die viel mehr Mitglieder hat? Und wie werden die Mitglieder dann bezahlt und was ist mit denjenigen, die gar nicht in der Gewerkschaft organisiert sind? Die Große Koalition will nun, dass die Tarifeinheit wie auch immer erhalten bleibt, hergestellt wird. Zuständig dafür ist die Arbeitsministerin, Andrea Nahles.
    Die Koalition will Tarifeinheit - unser Thema nun mit dem Gewerkschafter Franz-Josef Möllenberg, viele Jahre lang Chef der Gewerkschaft NGG, Nahrung, Genuss und Gaststätten. Guten Tag.
    Franz-Josef Möllenberg: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Herr Möllenberg, Einheitstarif, wie viel Sozialismus ist das?
    Möllenberg: Das ist überhaupt kein Sozialismus. Wir haben nach 1945 die Lehre begriffen aus der faschistischen Zeit und haben die Zersplitterung der Arbeitnehmerbewegung nach 45 aufgehoben, indem wir Einheitsgewerkschaften gegründet haben, und das sind diejenigen, die im Deutschen Gewerkschaftsbund organisiert sind. Das hat nichts mit Sozialismus zu tun, sondern mit einer vernunftbegabten Solidarität über alle Berufsgruppen hinweg.
    Müller: 2014 Einheitsgewerkschaft, immer noch die Lösung schlechthin?
    Möllenberg: Nach wie vor die Lösung schlechthin, und ich würde mir wünschen, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die abhängig beschäftigt wären, den Weg in die Einheitsgewerkschaft gehen würden. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es bestimmte Spartengewerkschaften gibt, die ihr Glück selber gesucht haben.
    Müller: Und das ist aus Ihrer Sicht nicht opportun, nicht legitim?
    Möllenberg: Nein! Sie müssen die Geschichte sehen, Herr Müller. Das ist ja zunächst einmal in den letzten Jahren von den Arbeitgebern und Arbeitgeberverbänden beklatscht worden. Das gehört zur Wahrheit dazu. Immer dann, wenn solche Spartengewerkschaften sich gegründet haben oder stärker geworden sind, wenn es gegen die DGB-Gewerkschaften ging, dann ist das mit Beifall belohnt worden, so nach dem Motto, da tut sich endlich mal Konkurrenz auf und da wird das Tarifkartell - böses Wort - endlich mal durchbrochen. Und jetzt zeigt die Geschichte: Jetzt haben wir den Salat, auf Deutsch gesagt.
    Müller: Aber sind Sie gegen Pluralismus?
    Möllenberg: Nein, ich bin für Pluralismus. Aber ich sage sehr deutlich, wir müssen Solidarität über Arbeitnehmergruppen hinweg organisieren. Nur wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusammenstehen, dann kann man letztendlich auch gemeinsam Ziele erreichen und nicht besondere Regelungen für besondere Berufsgruppen.
    "Das Streikrecht in Deutschland darf nicht angetastet werden"
    Müller: Aber die Frage ist ja, ob die anderen Gewerkschaften, die sich da jetzt gegründet haben - wir nennen sie ja Spartengewerkschaften, Einzelgewerkschaften -, ob diese per se gegen dieses Prinzip verstoßen.
    Möllenberg: Nein, das sage ich überhaupt nicht, Herr Müller. Ich sage auch durchaus sehr deutlich und sehr ernst, das Streikrecht in Deutschland darf nicht angetastet werden, nicht nur, weil es im Grundgesetz steht in Artikel neun und die Koalitionsfreiheit sichergestellt ist. Darum geht es nicht. Aber hier geht es um einen Konflikt, der genutzt wird, der Konflikt konkret bei der Deutschen Bahn, wo es eigentlich möglich sein müsste, dass der Arbeitgeber endlich mal ein vernünftiges Angebot auf den Tisch legt, und wo es eine Konkurrenz zwischen der Schwestergewerkschaft innerhalb des DGB, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), und der GDL gibt, und hier wird der Arbeitskampf im Prinzip von der GDL - so betrachte ich das - genutzt, um ihren Vertretungsanspruch zu erweitern. Hier geht es gar nicht auf den ersten Blick um Verbesserung von Arbeitsbedingungen, sondern hier geht es um Vertretungsmehrheiten, und das ist schon ein starker Tobak.
    Müller: Aber wir reden ja, Herr Möllenberg, über Wettbewerb. Jetzt sagen Sie, der DGB ist gegründet worden und hat die ganzen Gewerkschaften absorbiert, das heißt unter sein Dach genommen. Es kann doch 60 Jahre, 70 Jahre später nicht ernsthaft diskutiert werden, dass das Recht anderer Gewerkschaften außerhalb des DGB ebenfalls ernst genommen werden müsste, und wenn die entsprechenden Mitglieder zusammentreiben, dass die dann auch zum Zuge kommen.
    Möllenberg: Das Recht spreche ich denen auch gar nicht ab. Ganz im Gegenteil!
    "Hier wird ein unlauterer Wettbewerb vom Zaun gebrochen"
    Müller: Aber haben Sie ja gesagt: Einheitsgewerkschaft.
    Möllenberg: Ich bin nach wie vor ein Verfechter der Einheitsgewerkschaft, weil nur so Solidarität organisiert werden kann. Aber ich sage auch sehr klar und deutlich: Wenn wir Spartengewerkschaften haben - und auch das Bundesarbeitsgericht hat 2010 gesagt, es muss Tarifpluralität hergestellt werden -, dann müssen wir uns diesen Gegebenheiten stellen. Da habe ich überhaupt nichts dran zu deuteln. Es geht hier nur um einen Konflikt speziell bei einem Unternehmen, nämlich der Deutschen Bahn, wo eine dieser Spartengewerkschaften hergeht, ihren Organisationsanspruch erweitern will, ...
    Müller: Darf sie doch auch! Darf sie doch auch machen!
    Möllenberg: Ja, aber ...
    Müller: Ist doch ein Angebot!
    Möllenberg: Werben muss man argumentativ, nicht mit dem Mittel des Arbeitskampfes, wenn es darum geht, eine andere Gewerkschaft auszustechen. Das halte ich ein bisschen für unlauter.
    Müller: Weil es auf Kosten der Mehrheitsgewerkschaft gehen kann?
    Möllenberg: Weil hier mehrere Fassetten eine Rolle spielen und nicht nur auf Kosten der Mehrheitsgewerkschaft, sondern hier wird ein unlauterer Wettbewerb vom Zaun gebrochen. Hier werden bestimmte Funktionsgruppen in einem Unternehmen, in dem Fall die Lokführer genutzt, um letztendlich eine Forderung, einen Machtanspruch der Gewerkschaft zu erfüllen, für andere Berufsgruppen tätig zu sein, und das halte ich schon für fragwürdig.
    Müller: Aber was sagen Sie denn dann bei Verdi? Da weiß man ja gar nicht, wer da alles Mitglied ist und wie viele da Mitglied sind, weil da kommt ja keiner mehr, der Interessen hat, zum Zuge?
    Möllenberg: Wissen Sie, bei Verdi oder bei den anderen Gewerkschaften weiß man sehr genau, wer Mitglied ist. Da kommen alle Berufsgruppen zum Zuge und da wird letztendlich Solidarität organisiert, so wie ich das versucht habe, deutlich zu machen.
    Müller: Wo man nicht in der Lage ist, dann dementsprechend zu differenzieren und individuelle Entwicklungen zu beantworten. So ist die These!
    Möllenberg: Herr Müller, ich denke, dass man schon individuelle Gesichtspunkte berücksichtigen muss, und das tut man auch, und dass man das auch kann, auch in Zukunft. Es kommt darauf an, dass man hier nicht den Versuch unternimmt, das jetzt zur politischen Diskussion, nicht das Streikrecht anzutasten. Das ist unantastbar und da sollte man sich darüber im Klaren sein, dass selbst Konfliktlösungsmechanismen, die jetzt von Frau Nahles auf den Weg gebracht werden, durchaus zwiespältig sein können. Es muss möglich sein - wir reden ja nur über die Deutsche Bahn -, es muss doch möglich sein, dass hier vernunftbegabte Menschen endlich mal zusammenkommen, und wenn ich das richtig verfolge, dann hat Alexander Kirchner, der Vorsitzende der EVG, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, im Prinzip der GDL letzte Woche noch ein Angebot gemacht, dass man das anhand der Mitgliederzahlen für die einzelnen Berufsgruppen einfach mal abtesten soll, abklopfen soll, auch notariell beglaubigt, aber das wird von der GDL abgelehnt und jetzt ist die Politik am Zuge.
    "Jetzt ist der Arbeitgeber am Zug"
    Müller: Jetzt sagen Sie, Herr Möllenberg, es geht nur um die GDL. Es geht ja auch um Cockpit, die Fluglotsen, Marburger Bund, was mir jetzt hier spontan einfällt beziehungsweise hier auf dem Zettel steht. Dort ist es nicht ganz so umstritten, weil diese Gebietsansprüche, wie Sie es gesagt haben, oder Zuständigkeitsansprüche nicht formuliert werden, aber es geht ja immerhin um Tarifverträge, um Privilegien, wenn man so will, die auch für eine ganz spezielle einzelne Berufsgruppe gelten sollen. Wie können Sie dieses Recht und auch das Durchsetzungsrecht diesen Vertretern absprechen?
    Möllenberg: Das Recht mache ich denen gar nicht streitig. Das mache ich überhaupt nicht streitig. Und damit wir uns richtig verstehen, Herr Müller: Ich halte das, was jetzt vom Gesetzgeber angekündigt ist, auf den Weg gebracht werden soll, ich bin da hin- und hergerissen. Ich wiederhole noch einmal.
    Müller: Streikrecht, wird das gefährdet jetzt durch den Vorschlag von Nahles?
    Möllenberg: Jeder Konfliktlösungsmechanismus kann dazu führen, dass man es, wenn man es in der Endkonsequenz betrachtet, zu Einschränkungen führen könnte. Ich sage das mal bewusst sehr, sehr vorsichtig. Aber es ist der Versuch von Frau Nahles, hier einen Konfliktlösungsweg aufzuzeigen, und ich wiederhole meinen Appell, wenn Sie so wollen: Vernunftbegabte Menschen müssten eigentlich in der Lage sein, so etwas auch ohne gesetzgeberische Leistung auf den Weg zu bringen. Jetzt ist der Arbeitgeber am Zug.
    Müller: Lieber sagen Sie, Finger lassen davon, weil die Gewerkschaften schon in der Lage sind, sich über kurz oder lang untereinander zu einigen?
    Möllenberg: Das wäre mein Vorschlag. Wissen Sie, wir diskutieren seit fünf oder sechs Jahren diese Frage Tarifeinheit. Es hat mal ein Papier gegeben des BDA, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, und des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Dieses Papier ist schon längst in der Schublade oder im Papierkorb gelandet, das ist auch so gar nicht mehr möglich. Ich appelliere dafür, dass wir auf vernünftige Art und Weise hier verantwortungsvoll mit der Situation umgehen, und Konflikte müssen gelöst werden.
    Müller: Das, was Bernd Riexinger sagt - wir haben ihn eben ja auch in den Deutschlandfunk-Nachrichten zitiert gehört -, der da sagt, genau das ist der Fall, dass das Streikrecht eingeschränkt wurde durch die Vorlage von Andrea Nahles, weil die Tarifpartner ja nur noch für den Tarifvertrag streiken dürfen, das ist ja so festgelegt, aber nicht mehr für andere Interessen.
    Möllenberg: Es könnte die Gefahr bestehen, weil wir beim Arbeitskampfrecht ja durchaus auch vom Richterrecht abhängig sind. Es hat dort eine Weiterentwicklung des Richterrechts gegeben. Wenn dieses Gesetz, was jetzt angekündigt ist, auf den Weg gebracht wird und dann rechtlich vor Gerichten letztendlich auch weiter ausgefeilt, kommentiert etc. wird, in Rechtsprechung umgesetzt wird, dann kann es rein theoretisch bedeuten, dass das Arbeitskampfrecht eingeschränkt werden könnte, und das, glaube ich, sollten die Gewerkschaften nicht mit sich machen lassen.
    Müller: Also das Bauchgefühl stimmt nicht ganz?
    Möllenberg: Das Bauchgefühl stimmt nicht und ich sage noch einmal, hier liegt die Schuld beim Arbeitgeber und hier liegt die Schuld bei der GDL, die endlich begreifen muss, dass sie über diesen Weg nicht Mitglieder akquirieren kann.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Gewerkschafter Franz-Josef Möllenberg, viele Jahre Chef der Gewerkschaft NGG. Danke für das Gespräch, Ihnen einen schönen Tag.
    Möllenberg: Ich danke auch. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.