EM-Quartier Herzogenaurach

Gespalten zwischen Adidas und Puma

24:10 Minuten
Symbolbild: Fussballschuh Puma auf einem Fussball von Adidas auf grünem Rasen.
Konkurrenz nicht nur auf dem Sportartikelmarkt: Puma trifft auf Adidas. © picture alliance/ Sportfoto Zink / Wolfgang Zink
Von Mathias von Lieben · 02.06.2021
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Die Nationalelf wohnt während der Fußball-EM in Herzogenaurach, einem Ort, der vor allem durch die Konkurrenz zweier Brüder bekannt wurde. Adolf gründete Adidas, nebenan ließ sich Rudolf mit Puma nieder. Diese Rivalität hat die Stadt reich gemacht.
Dieter Hagen ist einer der städtischen Gästeführer in Herzogenaurach. Er begrüßt mich auf dem zentralen Marktplatz: "Ich heiße Sie herzlich willkommen hier in Herzogenaurach. Herzogenaurach, unsere kleine Stadt in Mittelfranken."
Es ist Hagens erste Führung seit mehr als einem halben Jahr. Durch Corona stand auch hier vieles still. Jetzt plätschert der Georgsbrunnen, als sei nichts gewesen, die drei anliegenden Cafés sind geöffnet. Der EM-Ansturm kann kommen.
Dieter Hagen ist gerüstet, und das schon lange. "Wir haben seit einigen Jahren hier eine Zusatzausbildung machen dürfen, machen müssen, weil die Nachfrage nach Gästeführungen durch die Firmen hier immer größer wurde", erläutert er.

Ein Bungalowdorf beherbergt die Mannschaft

Mit ‚den Firmen’ meint Hagen die zwei Sportartikelhersteller Adidas und Puma, die rund drei Kilometer entfernt vom Marktplatz auf dem Gelände eines ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkts ihre Unternehmenszentralen haben, im heutigen Gemeindeteil "Herzo-Base".
Auf dem Firmengelände von Adidas in Herzogenaurach wird die deutsche Nationalmannschaft während der Europameisterschaft ab dem 11. Juni wohnen. Im Hintergrund ein Stadion.
Firmengelände von Adidas in Herzogenaurach: Hier wird die deutsche Nationalmannschaft während der Europameisterschaft ab dem 11. Juni wohnen.© Deutschlandfunk / Matthias von Lieben
Dort oben, im Norden der 25.000-Einwohner-Stadt, wird die Fußball-Nationalmannschaft während der Europameisterschaft auf dem Adidas-Firmengelände wohne, in einem Bungalowdorf, abgeschottet hinter hohen Zäunen, grünen Planen und dichten Büschen. Mehr weiß auch Dieter Hagen nicht.
"Wir wissen heute noch nicht, wie viele Leute nach Herzogenaurach kommen werden, um der Nationalmannschaft nahe zu sein. Kommen ganze Busse? Oder nur private Fans, die einfach in der Nähe ihrer Idole sein wollen? Wir Gästeführer wollen vorbereitet sein und haben für die Wochenenden hier mehrere offene Führungen geplant."

Puma wollte 1954 kein Geld geben

Viel mehr bleibt der Stadt auch nicht übrig. Die Hotelbuchungen lassen noch keine Rückschlüsse darauf zu, wie viele Fans kommen werden. Veranstaltungen wie das sonst beliebte und gemeinsam von der Stadt und Adidas organisierte Public Viewing fallen aufgrund der Pandemie flach.
Dass sich die Nationalelf trotzdem für den Adidas-Standort in der entschieden hat, das findet Dieter Hagen nur folgerichtig. Es gebe da eine historische Verbundenheit. Der Gästeführer erinnert an ein Ereignis kurz vor der Weltmeisterschaft in Deutschland 1954:
"Der damalige Bundestrainer Sepp Herberger ging zu Puma und wollte ein bisschen Geld haben für seine Nationalmannschaft. Und der Puma-Chef hat gesagt: ‚Hey Freunde, von mir gibt’s kein Geld.‘"
Stadtführer Dieter Hagen vor dem Schusterbrunnen in Herzogenaurach. Der Brunnsn ist ein Symbol für das Schuster-Handwerk und den Wettstreit von Adidas und Puma.
Stadtführer Dieter Hagen vor dem Schusterbrunnen in Herzogenaurach. Ein Symbol für das Schusterhandwerk und den Wettstreit von Adidas und Puma in der Stadt.© Deutschlandfunk / Mathias von Lieben
Nicht nur wegen dieser Anekdote sind Hagens Stadtführungen bei Touristen über die Jahre immer beliebter geworden. Die Unternehmensgeschichte der zwei Firmen der Gebrüder Adolf und Rudolf Dassler, Adidas und Puma, gleicht einem gnadenlosen Konkurrenzkampf. Der Schusterbrunnen in der Innenstadt steht sinnbildlich dafür. Er zeigt einen klassischen Schuster beim Verrichten seiner Arbeit. Und dahinter: zwei Kinderpaare beim Tauziehen.
"Dieses Tau soll das Spannungsverhältnis darstellen, das zwischen Adidas und Puma viele Jahre lang herrschte", erläutert der Stadtführer, "wenn man die Kinder genau anschaut, haben die einen Kinder Adidas-Schuhe an ihren Füßen und die anderen Puma-Schuhe. Und somit wird ganz deutlich ausgedrückt, dass in Herzogenaurach viele Jahre lang viele Leute nicht miteinander geredet haben und ein großes Problem im Ort herrschte."

Eine geteilte Stadt: zwei Brüder, zwei Konzerne

Die beiden Brüder Adolf und Rudolf Dassler gründeten ihre Schuhfabrik "Gebrüder Dassler" im Jahr 1923 in der mütterlichen Waschküche. Mit ihren leichten Leder-Sportschuhen hatten sie schnell Erfolg – auch weil sie als NSDAP-Mitglieder stets gute Kontakte zu wichtigen NS-Größen pflegten. Doch nach Kriegsende entbrannte ein unlösbarer Streit zwischen den Brüdern. Die Konsequenz: Tüftler Adolf gründete 1948 Adidas, Verkaufstalent Rudolf Puma.
Seitdem, sagt Historikerin Irene Lederer, Leiterin des Stadtmuseums in Herzogenaurach, trennte das kleine Flüsschen Aurach die zwei Firmenstandorte. "Der Belegschaft wurde die Wahl gelassen. Die mussten entscheiden, zu welchem der beiden Brüder sie wechseln wollten. Und dadurch entstand diese klassische Zweiteilung von Herzogenaurach. Von Familien, die zu Puma tendierten. Und anderen, die eben für Adidas waren."
Herzogenaurach, sagt Lederer, galt zu dieser Zeit oft als "Stadt des gesenkten Blickes". Denn der erste Blick der Menschen, so sagt man, ging immer auf das Schuhwerk des Gegenübers.
"Zu welcher Fraktion gehört der andere, hat der Adidas- oder Puma-Schuhe? Diese Trennung zog sich durch den ganzen Ort, auch durch die Vereine. Es gab zwei Vereine, der eine wurde von Puma gesponsert, der andere von Adidas. Bei solchen Lokalderbys, da ging es hoch her."

Matthäus gehört zum Verein von Puma

Etwas oberhalb vom Museum im Stadtsüden liegt das Vereinsgelände des 1. FC Herzogenaurach – der blaue Verein, in dem sich Lothar Matthäus einst zum Fußballprofi entwickelt hat, und der bis heute von Puma gesponsert wird. Der ASV Herzogenaurach, der rote Verein, liegt nur knapp dreißig Sekunden beziehungsweise eine steile Treppe nach unten entfernt. Traditioneller Sponsor ist hier Adidas.
An die Lokalderbys erinnert sich Matthäus-Freund Klaus Bauer noch genau. Er gehört zum blauen Lager: schwarze Puma-Jacke und grauer Schnauzbart, und er ist zweiter Vorstand des 1. FC Herzogenaurach. Schon in der Schule lernte er die ortstypische Rivalität kennen.
"Da waren die Standplätze der Zuschauer genau definiert. Der Puma-Verein steht da, der Adidas-Verein steht da. Da ist das zwischen den Zuschauern hin und her gegangen. Uns Schüler hat das nicht interessiert, wir sind ja zusammen in die Schule gegangen. Aber die Leute haben sich da richtig hineingesteigert. Teilweise hat man da richtige Hassreden gehört."
Im Fußball, sagt Kriminalpolizist Bauer, sei an die feindselige Konkurrenz zwischen den beiden Firmen nahtlos angeknüpft worden. Adidas gegen Puma. Auch im Sport sei das das alles dominierende Thema gewesen.
"Es war verpönt, vom einen Verein zum anderen zu wechseln. Es gab dann wirklich große Schwierigkeiten. Und man musste auch immer aufpassen, mit wem man sich sehen ließ, damit man nicht ins falsche Licht geriet und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bekam."

Die Konkurrenz wurde nie zu Hause erwähnt

Michael Dassler hat diesen Konflikt hautnah miterlebt. Dassler ist ein Enkel von Puma-Gründer Rudolf und ehemaliges CSU-Mitglied. Heute sitzt er für die FDP im Stadtrat, ist dritter Bürgermeister Herzogenaurachs und betreibt im Stadtzentrum eine Vinothek.
Er sitzt auf einem Barhocker und erinnert sich:"Bei uns zu Hause wurde der Name Adidas nie in den Mund genommen. Das war immer ‚NG’, für ‚nie gehört’. Ich kannte auch niemanden aus dem anderen Familienzweig. Die kannten mich auch nicht. Und das war schon, ich will jetzt nicht sagen Hass, aber mehr als eine gesunde Rivalität. Und es hat sich natürlich auch auf die Mitarbeiter übertragen."
Michael Dassler mit Frau Britta (FDP-Bundestagsabgeordnete) in der Innenstadt Herzogenaurach.
Michael Dassler, Enkel von Rudolf Dassler, mit seiner Frau Britta. Von der einstigen erbitterten Feindschaft zwischen Adidas und Puma sei heute nur noch wenig spürbar, sagt der FDP-Politiker.© Deutschlandfunk / Mathias von Lieben
Wie auch Klaus Bauer beteuert Dassler, dass die alte Feindschaft heute so gut wie keine Rolle mehr spiele – auch weil seine Eltern und die anderen Dassler-Erben ihre Anteile an beiden Unternehmen Anfang der 90er-Jahre verkauft haben.
Doch Dassler weiß auch: die Gegnerschaft der Dassler-Brüder ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Unternehmen heute zu den weltweit führenden Sportartikelherstellern gehören. Und dafür, dass es Herzogenaurach so gut geht: "Probleme? Eigentlich, wenn wir ehrlich sind, haben wir keine Probleme. Die ganze Region ist eine Insel der Glückseligen."

Adidas, Puma und Schäffler füllen die Stadtkasse

Das liegt nicht zuletzt an den drei größten Unternehmen der Stadt. Adidas und Puma eben – und Automobilzulieferer Schäffler, der an seiner Firmenzentrale mitten in der Stadt rund 8000 Mitarbeitende beschäftigt. Die Firma ist damit noch vor Adidas mit etwa 5000 und Puma mit 1000 Angestellten der größte Arbeitgeber der Stadt ist. Die Einnahmen, die die Stadt über die Gewerbesteuer der drei großen Unternehmen einnimmt, sorgen für einen üppig gefüllten Haushalt:
"Wir sind schuldenfrei, wir haben 60 Millionen Euro auf der hohen Kante. Obwohl wir gerade ein neues Rathaus bauen, obwohl die Stadt-Umland-Bahn kommen soll, obwohl wir eine Süd-Umgehung planen. Das bezahlen wir alles mit dem Geld, das wir haben. Schulden haben wir keine. Selbstverständlich profitieren wir von den dreien."
2009, als alle drei Unternehmen kriselten, geriet der Wohlstand kurzzeitig in Gefahr. Doch sie erholten sich und blieben Herzogenaurach treu – nicht zuletzt, weil der Gewerbesteuer-Hebesatz seit Jahrzehnten bei vergleichsweise sehr niedrigen 320 Prozent liegt. Und auch wenn die Einnahmen der Stadt pandemiebedingt eingebrochen sind, bietet sie ihren Bürgern eine funktionierende Infrastruktur. Vor Ort finden sich jegliche Schultypen, ausreichend Kinderbetreuungsplätze und Sportvereine.
Die Innenstadt ist restauriert, es gibt ein Freizeitbad und einen Stadtbus mit sechs Linien. Die Großstadt Nürnberg ist nur 20 Minuten mit dem Auto entfernt. Hat die Insel der Glückseligen überhaupt keine Probleme?

Zu viel Verkehr, zu wenig Wohnraum

"Der Verkehr ist unser Hauptproblem", räumt Michael Dassler ein. "Wir haben 25.000 Einwohner und genauso viele sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer in der Stadt. Jeden Tag 20.000 Einpendler ungefähr. Da kann man sich vorstellen, was hier an Verkehr rein und raus geht, morgens, abends."
Um dieses Problem zu lösen, ist nicht nur eine Stadt-Umland-Straßenbahn im Gespräch, die Herzogenaurach mit Nürnberg verbindet, um die fehlende Schienenanbindung zu beheben. Sondern auch eine von vielen Seiten kritisierte, neue Süd-Umgehungsstraße, die den innerstädtischen Verkehr zum Autozulieferer Schäffler entlastet.
Ein weiteres Problem spricht ein Bewohner an, der auf einer Bank auf dem Marktplatz sitzt: Die Stadt, sagt er, komme auch beim Wohnraum an die Grenzen ihres Wachstums, der vorhandene werde durch die Unternehmen und ihre oft internationalen Fachkräfte immer teurer.
"Naja sicherlich ist das so, dass der Adidas-Angestellte oder die Schäffler-Führungskraft die Preistreiber sind auf dem Grundstücksmarkt. Da gibt es auch Konfliktpotenzial. Der einfache Arbeits-Auszubildende hat sicherlich auf der Grundlage Probleme, hier Wohnraum zu finden."
Auf der städtischen Warteliste für geförderten Wohnraum stehen zurzeit 250 Menschen, die bisher nichts gefunden haben. Auch für neue, interessierte Gewerbetreibende ist derzeit kein Platz. Der Grund: Bauland fehlt. Herzogenaurach stößt bereits jetzt an die Stadtgrenzen von Fürth und Erlangen.

Fusion beider Fußball-Vereine? Nicht in 100 Jahren

Erst recht keinen Platz mehr gibt es für den Fußballklub 1. FC Herzogenaurach. Aufgrund starker Mitgliederzuwächse träumt der Club immer wieder von einem neuen, größeren Vereinsgelände am Stadtrand. Bürgermeister Michael Dassler sagt: Würden sich Blau und Rot, also der 1. FC und der ASV Herzogenaurach, zusammenschließen, wären die Kapazitäten deutlich größer.
Allein, ihm fehlt der Glaube daran: "Das wird auch die nächsten 100 Jahre nicht passieren. Da sitzen zu viele, die diese Rivalität noch gelebt haben. Das ist einfach so. Da kann auch ein Jogi nicht versöhnen. Nein, niemand. Von außen schon gleich gar nicht."
Fußball-Bundestrainer Joachim Löw und sein Team reisen also nächste Woche in eine Stadt, deren konfliktreiche Geschichte bis in die Gegenwart reicht.
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