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Tarifverhandlungen der Sozialdienste
"Wir werden zu neuen Streikformen greifen"

Die Mitarbeiter der Sozialdienste haben sich im Tarifstreit gegen den Schlichterspruch von Ende Juni entschieden. Das Ergebnis der Abstimmung müsse man akzeptieren und nun über neue Streikformen nachdenken, sagte Gabriele Schmidt, Landesvorsitzende von Verdi in Nordrhein-Westfalen, im DLF.

Gabriele Schmidt im Gespräch mit Christiane Kaess | 10.08.2015
    Spielplatz in einer Kita.
    Gabriele Schmidt (Verdi NRW): "Die Arbeitgeber treiben den Konflikt in die Frage Verdi gegen die Eltern." (Sabine Demmer/Deutschlandradio)
    Christiane Kaess: Gehaltserhöhungen zwischen zwei und 4,5 Prozent, das war den Mitarbeitern aus den Sozial- und Erziehungsdiensten zu wenig. Sie haben mit großer Mehrheit gegen den Schlichterspruch von Ende Juni gestimmt. Frank Bsirske, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, hat daraufhin die Schlichtung für insgesamt rund 240.000 Erzieher und Sozialarbeiter für gescheitert erklärt. Seine Drohung: Der Streik wird fortgesetzt, falls die Arbeitgeber nicht kräftig nachlegen.
    Am Telefon ist jetzt Gabriele Schmidt. Sie ist die Landesleiterin von Verdi Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Frau Schmidt.
    Gabriele Schmidt: Ja, guten Tag.
    Kaess: Frau Schmidt, warum haben sich denn die Gewerkschaften überhaupt auf den Schlichterspruch eingelassen?
    Schmidt: Wir haben eine Verhandlungskommission, die bei der Schlichtung dabei war und die dann über zwei Tage Verhandlungen zum Ergebnis gekommen ist, dass ein Kompromiss mit den Arbeitgebern zu dem Zeitpunkt nicht möglich war, und deshalb haben sie zum damaligen Zeitpunkt gesagt, okay, das ist es jetzt, was man rausholen kann mit den Arbeitgebern, und das muss mit den Streikdelegierten diskutiert werden.
    "Das Mitglieder-Votum ist für uns maßgeblich"
    Kaess: Jetzt ist dagegen gestimmt worden. Hat Verdi-Chef Frank Bsirske hier seine eigenen Mitglieder völlig unterschätzt?
    Schmidt: Wir haben in dieser Situation, glaube ich, ein Novum. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in irgendeiner Tarifrunde bei uns oder anderen Gewerkschaften eine solche Situation schon mal gab, dass sich sowohl unsere Mitglieder als auch die Mitglieder der GEW und des DBB mehrheitlich mit so einem hohen Quorum gegen ein Ergebnis ausgesprochen hat.
    Das ist schon beachtlich. Da muss man mit umgehen. Das haben wir jetzt getan am Wochenende, indem wir mit den Streikdelegierten noch mal diskutiert haben. Wir sind eine Mitgliederorganisation, das Mitgliedervotum ist für uns maßgeblich.
    Kaess: Aber auf der anderen Seite, Frau Schmidt: Zwei bis viereinhalb Prozent, das ist ja weit unter den geforderten zehn Prozent gewesen. Diese Ablehnung war doch zu erwarten.
    Schmidt: Ja, ich glaube, das ist jetzt, mal abgesehen von dem Materiellen, wo wir nach unseren Berechnungen auch zu anderen Ergebnissen kommen. Wir sind bei 3,3 Prozent im Durchschnitt. Aber das Problem ist: Wenn man im Detail hinguckt und dann feststellt, dass einige Bereiche, zum Beispiel die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, zum überwiegenden Teil null Erhöhung bekommen, dass es bei den Erzieherinnen, die in der Regeleingruppierung sind, um eine Bruttoerhöhung von 60 Euro und, da wir in diesem Bereich ganz viele Teilzeitbeschäftigte haben, real um 30 Euro geht in den meisten Fällen. Wenn man dann sich anschaut, was davon netto übrig bleibt, dann kommen die Kolleginnen natürlich zum Ergebnis, das hat mit Aufwertung jetzt aber gar nichts mehr zu tun.
    "Frank Bsirske ist aus meiner Sicht gar nicht angeschlagen"
    Kaess: Dann gab es offenbar tatsächlich eine Fehleinschätzung nach diesem Schlichterspruch. Wie sehr ist Frank Bsirske durch diese Fehleinschätzung angeschlagen?
    Schmidt: Frank ist aus meiner Sicht gar nicht angeschlagen. Ich finde, es ist ein Zeichen von Stärke, dass ein Vorsitzender auch zugeben kann, es hat in der Zeitschiene eine Fehleinschätzung gegeben, und unsere Mitglieder sind die maßgeblichen und er steht zu dem, was die Mitglieder wollen.
    "Die Arbeitgeber treiben den Konflikt in die Frage Verdi gegen die Eltern"
    Kaess: Wie soll es denn aber jetzt weitergehen, denn die Arbeitgeber haben ja schon gesagt, Luft nach oben gibt es nicht?
    Schmidt: Ich finde, die Arbeitgeber machen es sich ziemlich einfach. Sie stellen sich dahin, als wenn sie mit dem Konflikt überhaupt nichts zu tun haben. Sie reden von "den Streikenden". Es sind auch ihre Beschäftigten und sie kennen die Belastungen in den Bereichen. Die Arbeitgeber sagen pauschal, es ist kein Geld mehr da, obwohl wir alle wissen, dass die Steuereinnahmen in der letzten Zeit massiv gestiegen sind und da Spielräume vorhanden sind.
    Die Arbeitgeber treiben den Konflikt in die Frage Verdi gegen die Eltern, anstatt selbst zu gucken, an welchen Stellen hakt es denn genau und sind nicht doch die Forderungen der Beschäftigten genau an den Stellen berechtigt.
    Kaess: Sie haben gerade den Unmut der Eltern schon angesprochen. Das ist ja tatsächlich so, dass der jetzt wächst und dass auch das Verständnis, das lange da war, schwindet. Wie wollen Sie damit umgehen?
    Schmidt: Wir haben jetzt am Wochenende beraten, dass wir mit der Streikstrategie, mit der wir angefangen haben, so nicht weiterkommen. Wir haben den Streik ja begonnen, haben dauerhaft aufgerufen. Das hat zum Ergebnis geführt, dass wir so keinen zufriedenstellenden Tarifkompromiss erreichen konnten.
    Wir haben 2009 mit einer tageweisen Streikstrategie auch sehr lange gestreikt und haben festgestellt, das ist nicht die glücklichste Streikvariante, und wir haben am Wochenende diskutiert, dass wir andere Streikvarianten brauchen. Das werden wir jetzt vor Ort diskutieren an der Basis und werden entsprechend zu neuen Streikformen greifen.
    Kaess: Noch kurz zum Schluss: Frank Bsirske spricht in diesem Zusammenhang von unkonventionellen Streikformen. Was ist da vorstellbar?
    Schmidt: Es werden Streikformen sein, die nicht berechenbar sind für die Arbeitgeber.
    Kaess: Und auch nicht für die Eltern?
    Schmidt: Den Eltern werden wir das vorher ankündigen. - ... , wo wir aber auch den Arbeitgebern deutlich machen, dass ihre Richtung, wir sparen viel Geld, wenn die Kollegen streiken, nicht mehr funktioniert.
    Kaess: ... sagt Gabriele Schmidt, Landesleiterin von Verdi Nordrhein-Westfalen. Wir haben gesprochen über die erneut drohenden Streiks in den Kitas. Danke schön!
    Schmidt: Ja, ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.