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Tarifvertrag für Pflegekräfte
Der komplizierte Weg zum Einheitslohn

Weil nur wenige Beschäftigte in der Pflege von Tarifverträgen profitieren, wollen Bund und Sozialverbände einen allgemein verbindlichen Branchentarif. Der Weg aber ist kompliziert. Es fehlt an einem Arbeitgeberverband, die Träger sind zerstritten bei dem Thema.

Von Volker Finthammer | 27.12.2019
Eine Altenpflegerin hält die Hand einer Bewohnerin.
Nur 20 Prozent der Altenpflegekräfte arbeiten tarifgebunden (EyeEm / Prakasit Khuansuwan)
Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm das will. Diese alte Formel der großen Industriegewerkschaften geht bei den Pflegeberufen nicht auf, obwohl in der Branche knapp 1,2 Millionen Menschen beschäftigt sind.
"Wir werden es aus eigener Kraft nicht schaffen! Das ist nicht schön, das ich das sagen muss. Viel lieber würde ich Tarifverhandlungen führen. Aber wenn es auf der Arbeitgeberseite niemanden gibt, mit dem man einen Branchentarifvertrag oder mindestens für viele Einrichtungen verhandeln kann, kann man eine Branche nicht ordnen", sagt ver.di Vorstandsmitglied Silvia Bühler.
Branche ist traditionell gewerkschaftlich schlecht organisiert
Aber bei nüchterner Betrachtung bleibt das auch ein Wunschtraum der Gewerkschafter. Denn die Branche ist von jeher stark zersplittert und schlecht organisiert, sodass die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kaum Fuß fassen kann. Nur für ein Fünftel der Beschäftigten gibt es tarifliche Arbeitsbedingungen. Die privaten Träger, die rund die Hälfte des Markts bestimmen, wehren sich; die kirchlichen gehen auch in Zukunft per Gesetz weitgehend einen eigenen Weg; und mittendrin gibt es Versuche, die Branche doch noch auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.
Seit dem vergangenen Juni gibt es eine neue Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche, die sich zum Ziel gesetzt hat, einen Tarifvertrag für die gesamte Branche auszuhandeln.
"In diesem kurzen Zeitraum sind wir zuständig geworden für über 300 Mitgliedsunternehmen mit einer Vielzahl von Einrichtungen. Dementsprechend haben wir die Tarifkommission gründen können und Tarifverhandlungen aufgenommen. Und deswegen habe ich überhaupt keinen Zweifel, dass unser Tarifvertrag ein sehr repräsentativer sein wird. Ich sehe auch gar keinen anderen", gibt sich Gero Kettler, als Vorstandsmitglied des neuen Verbandes zuversichtlich.
Gesetz sieht zwei Möglichkeiten vor
Mit dem Ende November in Kraft getretenen Gesetz für bessere Löhne in der Pflege gibt die Bundesregierung der Branche zwei Möglichkeiten vor. Entweder schließen die potentiellen Tarifpartner einen flächendeckenden Tarifvertrag ab, den das Bundesarbeitsministerium nach den Regeln des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes dann auf alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Pflege erstreckt; oder aber eine Kommission arbeitet Vorschläge für künftige Mindestlöhne für Fach- und Hilfskräfte aus, die dann vom Arbeitsministerium als allgemeinverbindlich festgelegt werden.
Kirchliche Träger haben weiter Sonderstatus
Die privaten Pflegeunternehmen fürchten ein taktisches Bündnis der kirchlichen Träger, also Caritas und Diakonie, mit den sozialen Trägern wie AWO und die Volksolidarität.
"Die Kirchen werden dafür sorgen durch ihre Zustimmung, dass eine Allgemeinverbindlichkeit ermöglicht wird. Aber die Kirchen selber sind nicht an das Ergebnis gebunden", sagt Thomas Greiner, vom privaten Arbeitgeberverband Pflege.
Denn in dem dem Gesetz bleibt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gewahrt, die in Eigenregie über die Annahme des möglichen Tarifvertrages entscheiden können. Der Verband der privaten Arbeitgeber, lehnt das Verfahren ab und würde stattdessen verbindliche Lohuntergrenzen bevorzugen.
Spahn will schnelle Lösung
"Ich möchte auch, dass wir zu Jahresanfang Klarheit darüber haben, welchen dieser beiden Wege wir nun gehen. Auch das ist eine Debatte die nicht ins unendliche gehen sollte, sondern die Pflegekräfte in der Altenpflege erwarten zu Recht, dass es jetzt zügig zu Entscheidungen kommt", betont Gesundheitsminister Jens Spahn.
Weil man auch erst dann über die Kosten der Reform sprechen kann, was neue Fragen aufwirft. Denn nach den geltenden Verfahren werden die Mehrausgaben wesentlich auf die Eigenanteile der Pflegebedürftigen umgewälzt.
"Aus meiner Sicht werden die Zuzahlungen, die die alten Menschen oder ihre Angehörigen leisten müssen schnell steigen. Und bis heute hat die Politik dafür keine Lösung", klagt Thomas Greiner.
Allerdings wird vor dem Hintergrund der absehbar steigenden Kosten bereits über eine Reform der Pflegeversicherung diskutiert.