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Tarnmäntel und Steinaugen
Biologen entziffern Tricks der Natur

Der Lotoseffekt ist inzwischen allgemein bekannt und dieses Prinzip, dass Wasser abperlt und den Schmutz dabei mitnimmt, hat in der Farbenindustrie Einzug gehalten. Die Neugier der Biologen macht auch vor den Meeresbewohner nicht Halt. Im Wissenschaftsmagazin Science geht es dabei gleich um zwei ganz unterschiedliche Lebewesen: Stachelmakrelen und Käferschnecken.

Von Dagmar Röhrlich | 07.12.2015
    Auf den ersten Blick erinnern Käferschnecken am ehesten an Asseln ohne Augen und Beine. Denn diese Meeresbewohner besitzen kein klassisches Schneckenhaus, vielmehr verbergen sie ihre weichen Körper unter einer Reihe von einzelnen Panzerplatten. Die bieten Schutz, haben jedoch den Nachteil, dass man nicht durch sie hindurchsehen kann. Für dieses Problem haben die Käferschnecken jedoch einen Ausweg gefunden: In ihren Panzer sind Hunderte mikroskopisch kleiner Linsenaugen eingearbeitet:
    "Dieser ganze Panzer besteht ebenso wie die Linsen aus Calciumcarbonat. Diese Augen sind also ganz anders als unsere: Sie bestehen nicht aus organischen Substanzen, sondern im Grunde genommen aus Stein."
    Ein- und dasselbe Material im Körperpanzer schützt das Tier also und erlaubt es ihm, seine Umwelt wahrzunehmen, erklärt Ling Li von der Harvard University in Boston. Wie das funktioniert, fanden die Forscher mit CT-Scans des Panzers heraus:
    "Wie fast immer bei solchen multifunktionalen Systemen birgt auch diese Kombination Nachteile. Je größer die einzelnen Linsen sind und je mehr Augen die Tiere haben, desto besser kann sich das Tier zur Selbstverteidigung an den Fels klammern. Im Gegenzug leidet jedoch die mechanische Stabilität der Schale."
    Denn die Kristalle in den Linsenaugen sind größer und so angeordnet, dass sie einfallendes Licht bündeln: Dieser Aufbau macht sie jedoch schwächer als die übrige Panzerung. Wie die Tiere die Vor- und Nachteile ausbalancieren, um diese Doppelfunktion zu optimieren, macht die Käferschnecken interessant für Materialwissenschaftler:
    "Wir können von der Untersuchung der Käferschnecken lernen, wie die Tiere lokal die Struktur ihres Panzers kontrollieren und ein Optimum finden zwischen ihren sensorischen Fähigkeiten und der Schutzfunktion. Diese Erkenntnisse könnten für den 3-D-Druck interessant sein, um eines Tages beispielsweise Panzerungen mit eingearbeiteten Sensoren herzustellen, die ihre eigene strukturelle Integrität überwachen."
    Lösungsstrategien für technische Probleme lassen sich oft in der Natur finden. Deshalb ergeben sich aus der biologischen Grundlagenforschung immer wieder interessante Ansätze. Ein anderes Beispiel dafür ist die Frage, wie sich Fische im offenen Meer vor Fressfeinden schützen. Denn Verstecke gibt es dort nicht. Die Lösung, sie liege - im wahrsten Sinne des Wortes - im Auge des Betrachters, erläutert Molly Cummings von der University of Texas in Austin:
    "Uns erscheint das offene Meer als einförmig blau. Aber Wasser polarisiert Licht, verpasst ihm also bestimmte Schwingungsrichtungen. Wenn wir polarisiertes Licht wahrnehmen könnten, sähe das Meer aus wie ein Kaleidoskop mit zahllosen Farben, die - je Grad der Polarisierung - mal strahlender sind und mal blasser."
    Damit ist jedoch die klassische Annahme falsch, nach der sich Fische im offenen Wasser tarnen, indem sie mit ihren ihre silbrigen Körpern Licht reflektieren wie Spiegel. Das funktioniert im polarisierten Licht nicht. Der Grund: Durch die Reflexion im Spiegel verändert sich der Winkel des polarisierten Lichts - und damit würde sich die eigene Silhouette perfekt in der Umgebung abzeichnen, beschreibt Parish Brady von der University of Austin:
    "Wir haben deshalb zunächst im Labor und später im Meer eine Serie von Experimenten durchgeführt, und zwar an Arten von Stachelmakrelen, die im offenen Wasser leben und riffbewohnenden Arten".
    Das Ergebnis: Die Arten aus dem offenen Meer verschmelzen im polarisierten Licht sehr viel besser mit ihrer Umgebung als ihre Verwandten, die sich im Riff verstecken können. Der Grund dafür liegt in der Fischhaut:
    "Die Stachelmakrelen aus dem offenen Wasser besitzen in ihrer Haut spezialisierte Plättchen. Sie sind mikroskopisch klein und so aufgebaut und angeordnet, dass sie polarisiertes Licht nicht einfach reflektieren. Vielmehr passen sie die Reflexion in Polarisierungsrichtung und Intensität dem Umgebungslicht an."
    Auch für diese Tarnstrategie im polarisierten Unterwasser-Licht gibt es praktische Anwendungen:
    "Nicht nur Fische können polarisiertes Licht sehen, sondern auch Satelliten mit Polarisationskameras an Bord, die Ziele im Ozean aufspüren sollen. Wer das verhindern will - und wir wissen, welche Leute das wollen -, könnte die Technik dieser Fische nachahmen."