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Tauber-Tweet zu Minijobs
"Das Problem mit dem Tweet ist, dass er 'was Falsches suggeriert"

Wenn ein Generalsekretär der Union über Minijobs twittert, dann erwarte sie, dass er keine falschen Fakten verbreite, sagte "Vice"-Chefredakteurin Laura Himmelreich im Dlf. Wenn er die Fakten nicht parat habe, "dann soll er das lieber lassen". Er dürfe Leuten ihre Ausbildung nicht absprechen, so die Onlinejournalistin.

Laura Himmelreich im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.07.2017
    Die Journalistin Laura Himmelreich, Chefredakteurin des Onlinemagazins "Vice".
    Die Journalistin Laura Himmelreich, Chefredakteurin des Onlinemagazins "Vice". (VICE Grey Hutton)
    Christoph Heinemann: "Beeindruckend, wie man auf 75 Zeichen 2,5 Millionen Wähler beleidigen kann. Peter Tauber ist übrigens ausgebildeter Historiker". Das twitterte Laura Himmelreich, Kollegin, ehemalige "Stern"-Journalistin. Sie ist Chefredakteurin des Online-Magazins "Vice". In dem Porträt "Der Herrenwitz" im "Stern" schilderte sie 2013 eine anzügliche Bemerkung eines Spitzenpolitikers ihr gegenüber. Dieser Bericht hatte eine Debatte über Sexismus ausgelöst. Insofern ist sie mit sprachlichen Entgleisungen in der Politik vertraut. – Guten Tag.
    Laura Himmelreich: Guten Tag.
    Heinemann: Frau Himmelreich, was antworten Sie jenen, die sagen könnten, in der Sache hat der Mann doch recht, wer etwas Ordentliches lernt, der ist auf Minijobs nicht angewiesen?
    !Himmelreich:!! Da würde ich sagen: Nein, das ist nicht korrekt. In der Sache hat der Mann nicht recht. 61 Prozent aller Frauen, die einen Minijob haben – und es sind vor allen Dingen Frauen -, 61 Prozent haben eine abgeschlossene Ausbildung. Bei den Männern sind es 50 Prozent, sogar über 50 Prozent. Die Mehrheit hat eine abgeschlossene Ausbildung und ist trotzdem auf einen Minijob angewiesen.
    Heinemann: Was folgt daraus?
    "Das hat nichts mit Ausbildung zu tun oder einer schlechten Qualifikation"
    Himmelreich: Es folgt daraus, dass die Annahme völlig falsch ist, von der er ausgeht. Dieser Tweet suggeriert ja – und das ist das, was mich aufgeregt hat, als ich ihn gestern Nacht gelesen habe -, dieser Tweet suggeriert: Wenn man sich nur gut genug qualifiziert, wenn man nur fit genug ist für den Arbeitsmarkt, dann ist man darauf nicht angewiesen. Und das ist einfach hanebüchen, weil die Politik, auch die Politik der Union daran schuld ist, dass so viele Leute in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind. Der Großteil der Leute in Minijobs sind Frauen, sind ältere Frauen, die nach der Kinderpause wieder einsteigen müssen in Jobs und einfach durch ihre Auszeiten oder durch mangelnde Kinderbetreuung nicht die Möglichkeit haben, Vollzeit zu arbeiten oder eine volle Beschäftigung zu finden.
    Heinemann: Nun kann man sagen, ein Minijob ist immer noch besser als gar kein Job, getreu der Philosophie der Kanzlerin, sozial ist, was Arbeit schafft.
    Himmelreich: Das ist sicher nicht falsch. Das Problem ist allerdings die Intention, mit der Minijobs geschaffen worden sind und mit der die Minijobs ausgeweitet worden sind. Minijobs wurden gedacht, um Leuten ein Sprungbrett zu ermöglichen, in volle sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Statt aber ein Sprungbrett zu schaffen, hat man die Leute in eine Sackgasse geschickt, und es ist wahnsinnig schwer, daraus wieder zu kommen. Ich finde, dass diese Grundannahme falsch war. Darüber wird zu wenig geredet und auch darüber, dass die Politik auch die Bedingungen schaffen muss, Leuten eine volle Beschäftigung zu ermöglichen, sei es durch Kinderbetreuung, sei es durch Frauen fördern, in Erwerbsarbeit zu bleiben und einen schnellen Einstieg wieder in einen Job zu finden, und das hat die Politik jahrelang verschlafen und das hat nichts mit Ausbildung zu tun oder einer schlechten Qualifikation der Leute.
    Heinemann: Soweit zur inhaltlichen Seite. Müssen sich, Frau Himmelreich, Politiker immer politisch korrekt äußern?
    "Wenn er nicht die Fakten parat hat, dann soll er das lieber ganz lassen"
    Himmelreich: Ich bin offen dafür, wenn die mal einen Witz machen, und ein Witz kann auch mal schiefgehen oder so. Aber ich erwarte von einem Generalsekretär der Union, wenn er über Minijobs twittert, dass er keine falschen Fakten twittert, dass er nicht Leuten ihre Ausbildung abspricht, die sie haben. Das, finde ich, ist das, wofür man ihn vehement kritisieren kann, und wenn er nicht die Fakten parat hat – ich weiß nicht, wann er das getwittert hat, um zehn oder elf Uhr nachts -, dann soll er das lieber ganz lassen. Ich verstehe, dass er da provoziert wurde durch jemanden, der gerne mal auch rechte Tweets absondert, aber dann soll man darauf nicht eingehen, bevor man irgendeinen Unsinn twittert.
    Heinemann: Verführt das Netz zu solchen Äußerungen, zu solchen schnellen Reaktionen?
    Himmelreich: Nicht, wenn man sich einigermaßen unter Kontrolle hat und wenn man, egal in welcher Situation man ist, darauf achtet, dass die Fakten stimmen. Ich finde, dafür gibt es keine Entschuldigung.
    Heinemann: Aber es gibt berühmte Beispiele, Donald Trump zum Beispiel.
    Himmelreich: Den wollen Sie jetzt als leuchtendes Beispiel nennen?
    Heinemann: Nein, als ein Typus Politiker, der sozusagen die Regeln etwas verschoben hat und die Grenzen.
    "Ich möchte Politiker, die keine falschen Fakten twittern"
    Himmelreich: Ja. Aber die Frage ist, wollen wir solche Politiker in Deutschland haben. Ich möchte es nicht und ich möchte Politiker, die keine falschen Fakten in der Nacht twittern.
    Heinemann: Aber das ist das Wesen des Mediums möglicherweise.
    Himmelreich: Das ist nicht meine Auffassung. Ich finde, Politiker sollten, egal wo sie sich äußern, darauf achten, dass die Fakten stimmen und dass der Tonfall angemessen ist. Und ich finde, das Wesen des Mediums, nur weil es im Internet eine kleine, laute Minderheit gibt, die Hass verbreitet und dieses Trolltum zelebriert, ist noch keine Rechtfertigung, dass vernünftige Menschen und schon gar nicht Volksrepräsentanten darauf einsteigen.
    Heinemann: Es geht nicht um Rechtfertigung. Es geht um die Frage, ob die sogenannten sozialen Medien da vielleicht verführen zu.
    Himmelreich: Ich finde nicht. Es geht um das Schreiben von Fakten.
    Heinemann: Wenn wir Herrn Taubers Botschaft mal übersetzen, dann könnten wir sagen, wir fordern eine bessere Nutzung von Bildungsangeboten für geringer qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am unteren Ende der Einkommensskala. Das hätte vermutlich kein Mensch verstanden. Es hätte auch nichts Neues bedeutet. Deshalb noch mal die Frage: Ändert sich in dieser Welt, auch in dieser Bilder geprägten Welt vielleicht auch die Wortwahl?
    "Wir sollten grundsätzlich darüber reden, wo Minijobs in Deutschland hinführen"
    Himmelreich: Das Problem ist mit dem Tweet, dass er was Falsches suggeriert, dass er sagt, wenn man eine gute Ausbildung hat, dann braucht man keine Minijobs, und das ist einfach faktisch falsch und das ist das Problem, auch nur, weil man sich auf 140 Zeichen beschränken muss. Natürlich ist das eine Herausforderung, so wie wir Journalisten die Herausforderung haben, Überschriften zu machen, die trotzdem stimmen. Aber das muss trotzdem stimmen und ich finde die Verkürzung und die knappe Zeichenzahl und den Wunsch, irgendwie catchy zu sein, ist keine Begründung dafür, Menschen was vorzuwerfen, was einfach falsch ist.
    Heinemann: Schauen wir auf die andere Seite. Tobias Zihn hat das eben berichtet. Peter Tauber hat sich entschuldigt, aber es geht munter weiter. Kennen soziale Medien keine Gnade?
    Himmelreich: Vermutlich wird sich die Debatte wieder legen, vielleicht sogar schon im Laufe des heutigen Tages. Was ich mir wünschen würde ist, dass wir grundsätzlich darüber reden, wo Minijobs in Deutschland hinführen sollten, was das Problem ist. Das wäre jetzt mein Wunsch, dass sich die Debatte irgendwann löst von Herrn Tauber und zur Sache geht, weil da hat Deutschland genug Probleme, über die es sich lohnen würde zu reden und über die meiner Meinung nach auch zu wenig geredet wurde. Das ist dann die Aufgabe von Journalisten, dieses Thema weiterzutreiben, und ich hoffe da auf die Kollegen, vielleicht ja auch im Deutschlandfunk heute Abend ein Beitrag über Minijobs.
    Heinemann: Das wäre zum Beispiel eine gute Idee. Wir können das noch mal ausweiten auf diese Debatte und auf die entsprechende Plattform. Ist Twitter eigentlich eine richtige Plattform, eine geeignete Plattform für politische Diskussionen?
    "Twitter ist gerade für Medienleute und Politiker eine super Plattform"
    Himmelreich: Ich denke schon, auch um Statements, dass Politiker ohne Autorisierungsprozesse sehr aktuell Statements abgeben können, dass sie auf Sachen hinweisen können. Ich glaube, dass Twitter gerade für Medienleute und Politiker eine super Plattform bietet. Aber man muss halt auch wissen, wie man es benutzt.
    Heinemann: Wie nutzen Sie es?
    Himmelreich: Bedingt. Ich twittere nicht. Ich bin jetzt keine tägliche Twitter-Nutzerin. Aber ich twittere die Artikel, die wir bei VICE.com machen, auf die ich besonders stolz bin. Ich retweete meine Kollegen, wenn sie auf ihre Artikel stolz sind. Und ab und zu, wenn ich in Wallung bin politisch wie gestern Nacht, setze ich auch mal ein Statement ab. Aber ich bin jetzt nicht ständig auf Senden gepolt.
    Heinemann: Da geht es Ihnen ja wie Herrn Tauber?
    Himmelreich: Auf jeden Fall.
    Heinemann: Wie machen Sie das denn mit sehr komplexen Zusammenhängen, wenn Sie etwas sehr Komplexes zusammenfassen sollen auf Twitter?
    "Wenn ich es nicht hinkriege, dann lasse ich es lieber sein"
    Himmelreich: Dann überlege ich eine Weile. Ich schreibe oft den Tweet dann länger und kürze ihn runter, einfach um zu gucken: Ich formuliere es erst so, wie ich es idealerweise formulieren würde, und dann versuche ich, wie ich es irgendwie auf 140 Zeichen runter bekomme. Manchmal klappt es und wenn ich es überhaupt nicht hinkriege, dann lasse ich es lieber sein.
    Heinemann: Das ist die Lehre, die wir sozusagen mitnehmen aus diesem Gespräch. – Laura Himmelreich, die Chefredakteurin des Online-Magazins "VICE". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Himmelreich: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.