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Tauende Permafrostböden bedrohen das Klima

Klima.- Fast zwei Billionen Tonnen Kohlenstoff sind in den Permafrostböden der Arktis verborgen. Sollte der eigentlich dauerhaft gefrorene Boden doch einmal auftauen und Kohlenstoff in Form von Treibhausgasen freisetzen, könnte das die Klimaerwärmung zusätzlich befeuern.

Von Volker Mrasek | 01.12.2011
    Edward Schuur ist Professor für Biologie an der Universität von Florida in Gainesville in den USA. Selbst für ihn ist kaum fassbar, wie viel Kohlenstoff in den Permafrostböden der Arktis lagert:

    "Es sind 1,7 Billionen Tonnen – das kriegt man nur schwer in den Kopf! Gefroren im Boden steckt doppelt so viel Kohlenstoff wie in der Erdatmosphäre."

    Schuur und andere Experten haben sich vor kurzem zu einem Permafrost-Forschungsnetzwerk zusammengeschlossen. Mitte des Jahres traf sich der Zirkel zu einem Workshop. Die Diskussionen drehten sich um eine Frage, die viele beschäftigt: Wie viel Kohlenstoff könnte in Form von Treibhausgasen frei werden, wenn die arktischen Böden in Zukunft auftauen? Und wie stark würde das die Klimaerwärmung zusätzlich befeuern?

    In der neuen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" ist das Ergebnis dieses Brainstormings jetzt nachzulesen. In einem Kommentar bringen die Permafrost-Spezialisten ihre Sorge zum Ausdruck:

    "Sehr wahrscheinlich unterschätzen wir die Folgen, die die Freisetzung von Kohlenstoff aus Permafrost-Regionen für das Klima haben wird."

    Der russische Mathematiker und Klimaforscher Viktor Brovkin vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Auch er gehört dem Permafrost-Forschungsnetzwerk an.

    Selbst wenn nur Bruchteile der fast zwei Billionen Tonnen Kohlenstoff aus der Arktis in die Atmosphäre gerieten, wäre der Effekt dennoch immens, betont Edward Schuur:

    "Die übereinstimmende Meinung der Experten ist tatsächlich, dass nur ein geringer Teil dieser Kohlenstoff-Vorräte im Laufe dieses Jahrhunderts frei werden könnte. Im schlimmsten Fall sieben bis elf Prozent nach unseren Schätzungen. Selbst dann sind die absoluten Mengen Kohlenstoff, der freigesetzt wird, aber gewaltig. Wir fürchten daher, dass die Emissionen aus Permafrost-Böden sogar die aus der weltweiten Abholzung von Wäldern übertreffen könnten."

    Computermodelle, mit denen die Forscher das Klima simulieren, werden von Jahr zu Jahr leistungsfähiger. Manche von ihnen beinhalten heute auch schon den Kohlenstoff-Kreislauf in hohen nördlichen Breiten. Doch laut Schuur steht die Entwicklung hier erst am Anfang. Es gebe Prozesse, die die Permafrost-Schmelze stark beschleunigten. Doch in den Modellen seien sie noch nicht enthalten:

    "Sobald der Boden zu tauen beginnt, kommen interne Prozesse in Gang. Oberflächenwasser versickert, Wärme wird im Boden transportiert. Dadurch kann die Temperatur im Untergrund viel schneller steigen als die Temperatur der Außenluft. Die Folge sind abrupte Tau-Ereignisse und Landabsenkungen, wie wir sie in der Arktis inzwischen beobachten können. In die Modelle müssen diese Prozesse aber erst noch eingebaut werden."

    Das soll nun beschleunigt geschehen. Im Moment hinken die Modelle der Entwicklung stark hinterher, wie die Forscher vermuten. Sie gehen davon aus, dass die Permafrostböden Ende des Jahrhunderts etwa zwei bis fünf Mal mehr Kohlendioxid und Methan freisetzen könnten, als es die heutigen Computermodelle nahelegen. Das würde den Treibhauseffekt zusätzlich forcieren, und zwar in erheblichem Ausmaß.

    Viktor Brovkin möchte aber nichts dramatisieren.

    "Wenn Permafrostboden taut, wird nicht nur Kohlenstoff frei, sondern auch Nährstoffe, die von den Pflanzen aufgenommen werden können, die dort wachsen. Es könnte also sein, dass die Vegetation üppiger wird und der Kohlenstoff wieder in Biomasse eingebaut wird. Im Moment wissen wir das einfach noch nicht."

    Die Wissenschaftler wollen ihren Artikel aber auf jeden Fall als Warnung verstanden wissen. Das Risiko durch auftauende Permafrostböden sei größer als gedacht. Die Arktis könne mehr Klimagase freisetzen als nach bisherigen Schätzungen.