Donnerstag, 25. April 2024


Taxi in Salvador

Morgens in Salvador da Bahia, der alten Hauptstadt Brasiliens. Der Taxifahrer heißt Hamilton und ist nach eigener Auskunft ein echter "soteropolitano" - ein Bürger von Salvador. Hamilton bringt uns vor unserer Reise nach Boipeba für eine Stunde in die Altstadt.

Von Jörg-Christian Schillmöller mit Fotos von Dirk Gebhardt | 22.07.2013
    Er ist pensioniert und verdient - wenn es gut läuft - 250 Reais am Tag, etwa 100 Euro. Für das Taxifahren zahlt er aber nicht so richtig Steuern - und das Finanzamt sollte von all dem auch besser nichts erfahren.

    Hamilton zeigt uns einige Sehenswürdigkeiten - zum Beispiel ein weißes Kreuz an der Küste. Das hier, sagt er, ist der zweite Ort, an dem die Portugiesen landeten. Der erste Ort war Porto Seguro, und das, sagt er, das liegt auch hier im Bundesstaat Bahia. Wir landen schnell bei der Politik. Dilma Rousseff, unsere Präsidentin, hatte auch schon bessere Tage, sagt Hamilton. Er sieht das Problem seines Landes beim Geld: Davon sei eigentlich genug da, es gerate nur leider in die falschen Hände. Wir fragen Hamilton, wie er über die Gesundheitsversorgung in Brasilien denkt - eines der großen Themen der Protestbewegung. Statt uns zu antworten, biegt er plötzlich links ab, fährt eine Straße hinauf und deutet mit der Hand aus dem Fenster.

    Dort auf dem Bürgersteig stehen in einer endlosen Schlange mehr als 200 Menschen. Alte Leute, junge Leute, Mütter mit Kleinkindern, Männer mit Töchtern, ein Querschnitt der Gesellschaft. Die Menschen stehen an, um eine Nummer zu bekommen für einen Arztbesuch - so wie beim Einwohnermeldeamt in Deutschland. "Manche kommen schon morgens um drei", sagt Hamilton. Beim Arzt selbst müssen sie später dann noch mal Schlange stehen. Wir sind sprachlos.

    Ein kurzer Gang durch die steilen Gassen der Altstadt - des Pelorinho - zum "Praça da Sé" mit der Kathedrale von Salvador. Auf dem Platz am Brunnen schläft auf nacktem Stein ein Junge - und das vor der Kulisse von bestens renovierten Kolonialzeit-Häusern in bunten Farben: wieder so ein Bild für die brasilianischen Gegensätze 2013.

    Schlafender Junge in Salvador di Bahia
    Schlafender Junge in Salvador di Bahia (Dirk Gebhardt)

    Auf dem Platz hält ein freundlicher Militärpolizist Wache. Er ist gesprächig und räumt ein: Wenn er gedurft hätte, dann wäre er mitgegangen bei den Demonstrationen vor einigen Wochen. "Brasilien hat das gebraucht", sagt er. Und noch diesen Satz: "Die Politiker haben das aber noch nicht verstanden."
    Ein Militärpolizist in Salvador da Bahia
    Ein Militärpolizist in Salvador da Bahia (Dirk Gebhardt)
    "Die Drogenbarone haben großen Einfluss hier"
    Eindrücke aus Salvador da Bahia, morgens vor neun Uhr. Wir müssen zurück zum Hotel, denn um 11 brechen wir auf nach Boipeba, dem Ziel unserer Reise. Wieder nehmen wir ein Taxi - und hören noch eine Geschichte: die unseres Fahrers Zelito. "Früher habe ich Drogen genommen" sagt er unumwunden ins Mikrofon. Kokain und Marihuana. Und andere halluzinogene Substanzen. Bis heute lebt Zelito in einer Favela. "Die Drogenbarone haben großen Einfluss hier", sagt er. "Sie besitzen das Recht über Leben und Tod." Die Polizei wisse genau, wo die Barone seien, wo das Geld sei - und wo die Drogen. "Aber", meint Zelito: "Die Polizei nimmt diese Leute nicht fest: Die Beamten sind zu schlecht bezahlt, sie sind nicht motiviert."

    Bei den Demonstrationen im Juni ist Zelito Taxi gefahren. Und hat zusehen müssen, wie hart die Polizei durchgriff. Wie Polizisten sogar alte Leute verprügelten. Aber auch wie Demonstranten parkende Autos und Geschäfte demolierten. "So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt Zelito. "Aber ich war auf der Seite der Guten", betont er. Die Guten: das sind die friedlichen Demonstranten. Die dafür auf die Straße gehen, dass sich etwas ändert im Land. Und wieder sind es drei Begriffe, die Zelito nennt, als wir ihn fragen, was Brasilien gerade fehlt: "Sicherheit, Gesundheit, Bildung".

    Zu den weiteren Beiträgen des Blogs

    Karte von Boipeba


    Jörg-Christian Schillmöller
    ist seit 2001 Nachrichtenredakteur beim Deutschlandfunk. Er war mehrfach für den Sender im Ausland auf Reportage-Reisen - zuletzt 2012 mit Dirk Gebhardt im Iran. Brasilien hat er im vergangenen Jahr entdeckt.

    Dirk Gebhardt ist Fotograf und Professor für Bildjournalismus an der FH Dortmund. Er arbeitet seit Frühjahr 2012 an einer Langzeit-Dokumentation über den Sertão, eine Trockenwüste im Nordosten Brasiliens. Fotografiert hat er neben Südamerika auch in Afrika und auf dem Balkan.