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Teatro por la Paz in Kolumbien
Theaterspielen für den Frieden

Auch fast drei Jahre nach Ende des bewaffneten Konflikts in Kolumbien ist der Friedensprozess zwischen Regierung und Streitkräften wackelig. In Cucuta an der venezolanischen Grenze spielen Flüchtlinge und Menschen aus den Armenvierteln Theater, um die schwierige Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Von Burkhard Birke | 10.06.2019
Teilnehmer des "Teatro por la Paz" in Kolumbien strecken die Arme in die Luft
Teilnehmer des "Teatro por la Paz" in Kolumbien: Menschen aus Problemvierteln lernen dort zu streiten statt zu kämpfen. (Bianca Bauer)
In das Herz des Anderen schauen: Das ist für die Sozialarbeiterin Sandybel die Essenz von "Theater für den Frieden".
Die junge Kolumbianerin animiert Menschen aus Problemvierteln, sich spontan in Szene zu setzen, Alltagskonflikte zu spielen.
Stures Beharren auf Regeln oder Flexibilität? Hier streiten zwei Schulmädchen mit einer Lehrerin. Sandybel:
"Wir setzen vor allem auf das Spielerische. Wir machen verschiedene Spiele und Übungen. Am Ende bilden wir immer einen Kreis, der es möglich macht, dass alle auf Augenhöhe miteinander sprechen. Das ist ganz wichtig - so wie in den indigenen Gemeinschaften, die sich immer rund ums Feuer versammeln."
Miteinander reden statt zu streiten und zu kämpfen! Das Projekt basiert auf der Idee von "Theater for Living" des Kanadiers David Diamond. Der nutzt sämtliche Techniken des partizipativen Theaters, um den sozialen Dialog zwischen den Menschen einer Gemeinde zu fördern.
In Cúcuta arbeiten Sandybel und der Deutsche Utz Evert mit Menschen in schwierigen Lebenslagen. Zigtausende Bürgerkriegsflüchtlinge und hunderttausende Venezolaner sind in der kolumbianischen Grenzstadt angelandet: Viele von ihnen traumatisiert durch Not, Elend und vor allem Gewalt.
Publikum schlüpft in die Rolle des Schauspielers
Manche Opfer schreien einfach nur ihren Schmerz hinaus, andere spielen spontan Lebenssituationen nach.
Die Rollen wechseln: Darsteller werden zu Zuschauern, das Publikum schlüpft in die Rolle des Schauspielers, erklärt Sandybel.
"Wir lassen eine Krisensituation spielen. Danach schlüpfen die Zuschauer in die Rolle der Darsteller und wir fragen: Welche Szene, welche Rolle wollt ihr ändern? Dann arbeiten wir damit."
Teilnehmer des "Teatro de la paz" in Kolumbien stehen in einer Reihe nebeneinander.
In das Herz des Anderen schauen ist für viele Mitstreiter die Essenz des „Theater für den Frieden“. (Bianca Bauer)
Der Konflikt der Schülerinnen wird durch eine weniger sture Lehrerin spielerisch gelöst. Die meisten der Darsteller haben in ihrem Leben weder ein Theater von innen gesehen noch jemals Theater gespielt. Es gibt kein Drehbuch, nur Ideen!
Die Beteiligten selbst entwickeln die Geschichte. Als Bühne dient oftmals ein Garten, ein großer Raum oder ein Gemeindesaal. Was zählt ist Spontanität und die Bereitschaft, sich zu öffnen. Mit dem von der katholischen Kirche unterstützen Programm sollen diese Menschen eine andere Form der Konfliktbewältigung lernen.
Entwicklungsgelder aus Deutschland fürs Theater
Abimael Bacca Vargas koordiniert im Auftrag der Diözese Cúcuta das auch mit Entwicklungsgeldern aus Deutschland unterstützte Projekt.
"‘Theater für den Frieden‘ ist eine Strategie für Versöhnung, um zu verhindern, dass Straftäter rückfällig werden und um das Zusammenleben in den Gemeinden zu fördern, um die Rechte von verletzlichen Menschen und Opfern des bewaffneten Konfliktes durchzusetzen."
Und zwar über Generationen hinweg. In der Gruppe ‚Olivos‘ spielen Kinder von acht Jahren neben Alten von 80 mit. Daneben gibt es ein Projekt speziell für Jugendliche in der Gemeinde Sardinata und eines für Sozialarbeiter, denen man neue Instrumente an die Hand geben will: Für den Alltag durch gespielten Alltag.
"Wir hatten Fälle von Fremdenfeindlichkeit und da haben die Leute gesagt: Nein! Wir sind doch alle Menschen und wollen entsprechend behandelt werden. Es gab auch Fälle, wo Personen ihre aggressive Haltung auf ein ruhiges Wort hin abgelegt haben."
Denn nur wenn der Friede im Kleinen, im Alltag funktioniert, kann auch das Projekt Frieden im Großen Realität werden. Sozialarbeiterin Sandybel hat jedenfalls ihre Zuversicht wiedergefunden.
"Ich glaube wieder an die Menschheit, wenn ich diese Leute sehe. Die Menschen wollen Frieden, auch wenn es einen bewaffneten Konflikt gibt und sich die Situation in Cúcuta durch die Flüchtlinge weiter zuspitzt. Der Friede beginnt aber im Alltag."