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Technik
Forscher geben Gegenständen ein Gedächtnis

Forscher haben ein Kunststoffhäschen gedruckt, das seinen eigenen Bauplan in sich trägt. Dieser ist in Form von DNA im Kunststoff enthalten. Die Technologie soll dabei helfen, dass Informationen nicht verloren gehen. Sie könnte zudem auch nützlich werden, um sensible Informationen zu verstecken.

Von Pitor Heller | 10.12.2019
Ein 3D-Drucker druckt einen Kunststoffhasen. Im Kunststoff sind DNA-Moleküle enthalten, in denen die Druckanleitung kodiert ist.
Das Kunststoffhäschen enthält seine eigene Bauanleitung, gespeichert in DNA-Molekülen (ETH Zürich / Julian Koch)
DNA ist nicht nur das biologische Molekül, in dem das Erbgut von Lebewesen gespeichert ist. Heutzutage kann man DNA künstlich herstellen und beliebige Informationen darin kodieren. Robert Grass – ein Chemiker von der ETH Zürich – hat zum Beispiel vor Jahren DNA-Barcodes entwickelt: Informationsschnipsel in DNA-Form, die man etwa auf Baumwolle aufsprühen kann. Wenn aus der Baumwolle irgendwann ein T-Shirt wird, kann man die DNA darauf finden und das Produkt zurückverfolgen. Jetzt ist Grass einen Schritt weiter gegangen. Er hat große Datenmengen in DNA-Form mit Gegenständen verschmolzen. Mit seinen Kollegen hat er die Technik am Beispiel eines Hasen demonstriert. Dazu haben die Forscher erstmal Computerdateien genommen…
"… die sozusagen die dreidimensionale Information des Hasen beinhalten - diese Information genommen und in DNA übersetzt. Und das ist dann eine lange Liste von DNA Strängen, und die haben wir dann von einer Firma synthetisieren lassen. Und von dieser Firma bekommen wir zurück einen kleinen Tropfen Wasser in der diese DNA drinnen ist."
Informationen werden in DNA übersetzt
Diese DNA aus dem Wasser haben sie in mikroskopischen Glaskügelchen gekapselt, um sie haltbarer zu machen, und in einen Kunststoff eingebracht, der als Rohmaterial für 3D-Drucker dient.
"Und mit dem drucken wir dann das eigentliche Häschen. Und dann hat man wirklich ein Häschen mit einer gewissen dreidimensionalen Struktur…"
Das Häschen hockt übrigens auf allen Vieren und schaut zur Seite.
"Und der Bauplan des Häschens ist drinnen im Plastik enthalten als DNA."
Wenn man ein neues Häschen will, kann man ein Stück Plastik – etwa vom Ohr – abtrennen, das Plastik auflösen, die DNA auslesen. Dann hat man wieder den Bauplan des Häschens.
"Und mit dem kann ich jetzt mit einem Handelsüblichen 3D-Drucker ein neues Häschen herstellen."
Aber dieser neue Hase soll auch seinen eigenen Bauplan als DNA in sich tragen. Kein Problem:
"Dann kann ich die DNA-Probe nehmen und amplifizieren. Ein großer Vorteil von DNA ist, dass wir so einfach Kopien davon herstellen können."
Diese Kopien packt man wieder in das Rohmaterial des 3D-Druckers. Damit trägt auch das nächste Häschen seinen Bauplan in sich. So haben es die Forscher gemacht, fünf Mal hintereinander, fünf Häschen-Generationen. Aber wozu? Wozu Gegenstände mit einem Gedächtnis bauen?
Jeder Gegenstand kann Informationen beinhalten
"In unserer Vision leben wir in einer zukünftigen Welt, wo jeder Zugang zu DNA-Schreibgerät und DNA-Lesegerät hat. Sodass jeder Gegenstand Informationen beinhalten kann. Vielleicht die Bedienungsanleitung von einem Gegenstand oder Qualitätsdaten, die wirklich ein integraler Bestandteil sind von dem eigentlichen Gegenstand."
Das könnte etwa bei Baumaterialen interessant sein. Selbst nach Jahrzehnten, wenn alle Dokumente verloren sind, könnte man eine DNA-Probe des Betons oder des Klebstoffs oder des Stahls nehmen und direkt die Qualitätsinfos herauslesen.
"Solange das Produkt da ist, ist die Information auch da."
Mehr noch: Die Information ist versteckt. Diesen Aspekt wollten die Forscher auch vorführen.
"Und dann wollten wir ein Beispiel nehmen, wo das in der Geschichte schon gemacht wurde, wo Informationen physikalisch versteckt wurden. Und mein Kollaborator Yaniv Erlich ist Israeli und ihm ist sofort dieses Ringelblum-Archiv eingefallen."
Das Ringelblum-Archiv. Eigentlich Oneg Schabbat genannt. Wer mehr darüber erfahren will, kann bei Youtube Oneg Schabbat eintippen.
Dort erscheint dann ein Video der UNESCO. Es zeigt zunächst rostige Milchkannen. Diese Milchkannen stammen aus dem Warschauer Ghetto. Eine Gruppe von Gefangenen um den Historiker Emanuel Ringelblum hat darin Dokumente versteckt: Bilder, Fotos, Notizen, die das Schicksal der 400.000 Menschen dort widerspiegelten. Die Männer und Frauen haben ihr Leben riskiert, um diesen Teil des Holocaust zu dokumentieren.
"Es ist ein geschichtliches Beispiel, das hier gut passt."
Robert Grass und Yaniv Erlich haben dieses UNESCO-Video, also die Video-Datei, in DNA übersetzt und wollten es in einem Alltagsgegenstand verstecken. Um ein eindrucksvolles Beispiel zu haben, suchten sie nach einem unwahrscheinlichen Versteck.
Das Ringelblum-Archiv versteckt in einer Lesebrille
"Diese Sachen entstehen an vielen Diskussionen hier zwischen dem Yaniv Erlich und meinen Studenten: Was ist denn technisch möglich? Man kann es durchsichtig machen! Wo ist es wichtig, etwas durchsichtiges zu haben? Und da sind wir dann sozusagen auf die Lesebrille gekommen."
Die Forscher haben das Video über das Ringelblum-Archiv also in DNA-Form im Acryl eines Lesebrillenglases eingebettet. Man sieht es dem Glas nicht an, so klein sind die DNA-Kügelchen. Die Brille – also ausgerechnet ein Gegenstand, den man direkt vor den Augen hat – trägt jetzt dieses unsichtbare Geheimnis in sich. Diese Technologie könnte irgendwann mal – wenn es wirklich darauf ankommt – dabei helfen, noch ganz andere Informationen in Gegenständen zu verstecken.