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Technik gegen Terror
Sicher Explosivstoffe erkennen

Ein Sprengstoff-Detektor, mit dem sich herrenlose Koffer aus sicherer Distanz untersuchen lassen: Das war das Ziel mehrerer Forschungsprojekte. Mit weit über 100.000 Euro war der Prototyp als Tatort-Werkzeug für Bomben-Entschärfer allerdings zu teuer. Eine abgespeckte Version könnte aber schon bald zum Einsatz kommen.

Von Ralf Krauter | 13.03.2017
Der portable IR-Sprengstoffdetektor wird genutzt
Der portable IR-Sprengstoffdetektor ist gut transportierbar. (Fraunhofer UK)
Ein Sprengstoffdetektor mit Weitblick, der Explosivstoffe aus sicherer Entfernung erkennt: Das war das Ziel des Projektes IRLDEX, das 2008 begann. Koordiniert wurde es am Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik in Freiburg. Professor Joachim Wagner, heute geschäftsführender Leiter dieses Institut, erklärte 2010 die Hintergründe:
Bomebdetektor vor braunen Vorhang
Das Ziel des Projekts IRLDEX: Der Bombendetektor mit Weitblick. (Fraunhofer IAF)
"Das Ganze basiert auf der Erkenntnis, dass wenn Sie improvisierte Sprengkörper herstellen, Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit geringe Spuren von Explosivstoff auf der Oberfläche des Behältnisses hinterlassen werden – zum Beispiel übertragen durch Fingerabdrücke."
Jeder Stoff strahlt unterschiedliche Spektren zurück
Mit Infrarotlasern lassen sich solche Sprengstoffkrümel auf einem Koffer oder Rucksack aus einigen Metern Abstand erkennen. Dazu wird das verdächtige Gepäckstück mit Wärmestrahlung beleuchtet und gemessen, welche Wellenlängen die Probe reflektiert und welche nicht. Explosivstoffe erzeugen verräterische Muster in diesen Infrarotspektren.
"Also die Spektren, die man sieht, sind sehr sehr charakteristisch für die verschiedenen Substanzen," erklärt Jan-Philip Jarvis bei einem Besuch am Fraunhofer IAF. Aktuell sind dort zwei Messgeräte zu sehen, die auf den Arbeiten im IRLDEX-Projekt aufbauen. Das erste besteht aus einem Spiegelteleskop und einer hüfthohen Transportbox voller Elektronik. Bei Feldversuchen im Rahmen des EU-Projektes Hyperion hatten die Forscher 2015 beides auf einem Anhänger montiert und sind damit nach Schweden gefahren. Auf einem Testgelände dort zündeten Sprengstoffexperten eine Autobombe.
"Eine halbe Stunde nach der Detonation waren wir messbereit mit unserem System in dem Anhänger. Konnten also vorfahren, haben einen Abstand gehalten von ca. 20 Meter und konnten auf diesem angesprengten Auto das Ammoniumnitrat, das verwendet wurde für die Bombe, nachweisen."
Ammoniumnitrat ist ein leicht zu beschaffender Sprengstoff. Bei den Versuchen in Schweden konnte der Sprengstoffdetektor mit Weitblick Konzentrationen von unter 10 Mikrogramm pro Quadratzentimeter nachweisen. Eine zweite Bombe anderer Bauart, die in der Szene versteckt war, spürte der Demonstrator ebenfalls auf.
Da seine empfindliche Infrarotkamera über 100.000 Euro kostet, ist das Gerät aber viel zu teuer, um als Tatort-Werkzeug für Bombenentschärfer und Forensiker zu taugen. Im 2015 gestarteten EU-Forschungsprojekt Chequers haben die Freiburger deshalb eine abgespeckte Version entwickelt. Statt Infrarot-Bilder aufzunehmen, misst das neue Gerät nur an einer Stelle und benötigt deshalb nur einen relativ simplen Detektor.
Kompakte Infrarotlaserquelle auf Handfläche
Die kompakte Infrarot-Laserquelle passt auf eine Handfläche. (Fraunhofer IAF)
"Die handgehaltene Version, die in Echtzeit misst, ist jetzt ausgelegt auf Abstände von ein bis zwei Meter und soll letztlich noch in Richtung 5 Meter entwickelt werden. Aber so wie’s jetzt gerade steht, können wir auf ein bis zwei Meter gut messen."
Der in knalligem rot und gelb gehaltene Demonstrator ähnelt einer futuristischen Strahlenkanone. Bevor Jan Jarvis sie mit beiden Händen vom Tisch hebt, holt er eine Box mit Sprengstoffproben aus einer Schublade.
"Das ist jetzt ein Jeansstoff, ausgeschnitten aus einer Jeans. Darauf platziert haben wir jetzt in dem Fall Spuren von TNT. Das wurde einfach mit so einem Stempel da drauf gedrückt, also leichte Rückstände, man sieht sie halt gerade."
Auch Proben mit Fingerabdruckspuren anderer Sprengstoffe wie RDX oder PETN sind für Testzwecke griffbereit. Jan Jarvis zielt mit der Infrarot-Kanone auf die grauen Flecken mit den Sprengstoffkrümeln.
"Ich halte hier drauf. Wenn sie auf den Bildschirm gucken, sehen sie, dass da die Substanzen angezeigt werden. Dann haben wir hier Ammoniumnitrat."
Hohe Nachweisempfindlichkeit
Eine Sekunde nachdem der verdächtige Fleck im Visier war, zeigt der Monitor die korrekte Bezeichnung der Substanz: Ammoniumnitrat, Aspirin, TNT, Traubenzucker. Der Abgleich der gemessenen Infrarotspektren mit einer Datenbank macht’s möglich, in der die optischen Fingerabdrücke zahlreicher Substanzen hinterlegt sind. Die Nachweisempfindlichkeit liege im Mikrogrammbereich, sagt Jan Jarvis. Und die Querempfindlichkeiten, die beim Vorläufer-Projekt IRLDEX noch Probleme machten, weil sie für Fehlalarme sorgen, habe man inzwischen im Griff.
Jan Jarvis erklärt: "Wir haben große Fortschritte gemacht seitdem. Die Substanzdatenbank ist viel viel größer geworden. Wir haben erheblich mehr Gefahrstoffe, die wir jetzt detektieren können. Wir haben viel Erfahrung gesammelt, was man mit den Daten machen muss. Wir haben diese schnell durchstimmbare Lichtquelle. Ohne die würde es in Echtzeit gar nicht gehen. Von daher würde ich auf jeden Fall sagen, dass wir da sehr nah an einem möglichen Produkt sind."
Ein Team vom Bundeskriminalamt war eben zu Besuch und sehr angetan, sagt Jan Jarvis. Von den 20 Substanzen, die die Sprengstoff-Experten in ihrem Koffer hatten, habe man alle schnell und korrekt identifiziert. Für die Risikoabschätzung vor Ort wäre das hilfreich - ob bei einer mutmaßlichen Kofferbombe am Bahnsteig oder in einer eben entdeckten Bombenküche, wo Haufen mit weißen Pulvern herumliegen.
"Zurzeit ist es eben so, dass sie Wischproben nehmen müssen. Das heißt, sie müssen relativ nah an die Substanzen ran. Und das ist immer ein Risikofaktor. Um den möglichst eliminieren zu können, wollen sie abstandsfähig schon mal eine Vorauswahl treffen können: Wo kann ich hingehen, wo kann ich mich bewegen und wie muss ich mich da verhalten?"
Anfängliche Idee lässt sich nicht umsetzen
Die ursprüngliche Vision, Passanten am Bahnhof oder Flughafen unbemerkt auf Sprengstoff- oder Drogenspuren an Kleidung oder Gepäck zu untersuchen, lässt sich mit der punktweisen Abtastung nicht verwirklichen. Kritiker, die bei diesem Szenario die Privatsphäre gefährdet sehen, dürfte das freuen. Dr. Ralf Ostendorf, Leiter des Geschäftsfeldes Halbleiterlaser, hat aber andere Einsatzbereiche ausgemacht.
"Gerade in der letzten Zeit zeichnet sich ab, dass diese Technologie im Bereich Drogenscanning eingesetzt werden kann. Aber auch natürlich auch im Bereich der Prozessanalytik, wo man halt schnell Medikamente untersuchen möchte. Wenn sie sich vorstellen, sie haben jetzt ein Transportband, auf dem die Tabletten fahren, und sie möchten wissen: Ist der Wirkstoff auch tatsächlich drin, der in einer Tablette drin sein soll. Das können sie mit dieser Technologie halt wirklich in Echtzeit abscannen. Und von daher gibt’s da sehr viele Möglichkeiten."