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Technikpoesie

Eine große Ausstellung im Martin-Gropius-Bau gilt dem Schaffen von Rebecca Horn. Damit wird der international bekannten Künstlerin, die in Berlin lebt, zum ersten Mal seit 1994 wieder eine umfassende Werkschau gewidmet. Installationen, Skulpturen und Filme, die alle wieder wackeln und klappern, aber auch Zeichnungen von 1964 bis heute sind daher jetzt im Erdgeschoss des Berliner Martin-Gropius-Baus zu sehen.

Von Carsten Probst | 09.10.2006
    Eine schlanke, mit einem schwarzen, enganliegenden Tanzkostüm bekleidete Frau fordert einen älteren, vielleicht blinden Mann in weißem Anzug zum Tango auf. Erst scheint er zu zögern, doch die Frau, geduldig und zuvorkommend, hilft ein wenig nach und plaziert seine Hände an ihrem Körper dort, wo sie für den Tanz liegen müssen, und dann beginnen sie sich die beiden auch schon zu drehen. Der Mann ein wenig steif, eher ist es die Frau, die führt - doch nach und nach gewinnt er an Leichtigkeit.

    Dieser Tango, den Rebecca Horn in einem wunderbaren Video von 1978 in ihrem New Yorker Atelier tanzt, hat nichts von der ganz großen Emotion, der diesem Tanz so sprichwörtlich eigen sein sollte - und doch, in seiner Stilisiertheit, wirkt er auf seine Weise wie ein zartes und ungemein erotisches Spiel. Denn die Frau nimmt ihren ungelenken Partner anscheinend so, wie er ist, und erst damit bringen die beiden die Verhältnisse buchstäblich zum tanzen: Denn vor der großen Leinwand, auf der das Video läuft, steht ein runder kleiner Tangotisch, der plötzlich, als der Film zuende ist, selbst seine Beine zu einem Tangoschritt bewegt.

    Der eigentümlich zarte, sinnliche, immer höchst präzise berechnete Zauber ihrer Choreographien begleitet Rebecca Horns Werk fast vom Beginn an und ist zweifellos ein Hauptgrund für den Weltruhm der gebürtigen Odenwalderin. Viele ihrer Installationen sind eigentlich komplexe Kompositionen aus verschiedenen feinmechanischen oder elektrischen Abläufen, Geräuschen und Musik, Lichterspiel und wechselnden Perspektiven. Fast scheint es, als sei es Horns spezieller Ehrgeiz, immer wieder auf filigrane Art nachzuweisen, dass sich aus vielen subtilen Elementen immer wieder eine Einheit bilden lässt. Kleine, spitze Hämmerchen schlagen im langsamen Takt auf Steine ein, die daraufhin rötliche Farbe absondern, als wären sie unter ihrer schroffen Steinhaut lebendige Wesen. Schwarze Rabenfedern spreizen sich zu unheimlichen Fächern. Eine so genannte "Painting Machine" verspritzt rote Farbe an eine Wand, die in langen Schlieren herunterrinnt.

    Das Tänzerisch-Rhythmische verschwistert sich gern mit dem Dämonischen, den rohrschachtestartigen Zufallsgestalten, die die vielen kleinen Apparate in Horns Werk wie zwanghafte Wesen produzieren. Je weiter man in der Chronologie ihrer Werke zurückgeht, desto spürbarer wird die Qual, das körperlich Schmerzhafte, das mitunter an die fantastischen und grausamen Körperkonstruktionen einer Frida Kahlo erinnert.

    Horn selbst sagt von sich, dass sie sich gleichsam in die Welt, in die Wirklichkeit des Lebens hat vor-arbeiten müssen. Nicht nur als Künstlerin, als sie einst mit den gutbürgerlichen Vorstellungen ihrer wohlhabenden Familie brach, um Kunst zu studieren; sondern auch als körperliche Schmerzerfahrung. Davon zeugen noch heute die vielen frühen Aktionen der so genannten "Extensionen", der irgendwie anschnallbaren Körpererweiterungen, die auch auf ihre Herkunft aus einer Textilfabrikantenfamilie anspielen.

    Gleich zu Beginn der Ausstellung sieht man das unglaublich eindringliche, qualvolle Kurzvideo der "Bleistiftmaske", bei der die Künstlerin eine Anzahl um den Kopf geschnallter Bleistifte durch Kopfdrehungen an einer Wand hin- und herbewegt, so dass nicht nur ein wirres Muster, sondern vor allem das stumpfe Geräusch verzweifelten Scharrens und Grabens entsteht, wie bei einem gefangenen Tier. Verlängerte Körperteile, Arme, Finger, Rümpfe setzen in Horns frühen Performances und Videos die allmählich tastende Raumeroberung fort, die dann in die großen, losgelösten Maschinchen-Installationen seit den siebziger Jahren münden. Prothesen und Ersatzkörper waren für Rebecca Horn immer beides: Hilfe und Gefängnis, Stütze und Gewalttat für den lebenshungrigen, gebrechlichen Körper.

    In den letzten Jahren setzt sich immer spürbarer ein betont spiritueller Einfluss in Horns Werk durch, der früher allenfalls in der harmonischen Ausgewogenheit ihrer Kompositionen und in ihren Gedichten zu erahnen war. Mittlerweile kommen einem überall explizit Versatzstücke fernöstlicher Weisheitslehren, mystische Lichtspiele, Yin und Yang-Symbolik, kosmogonische und liebesphilosophische Motti entgegen. Einige Kritiker sprechen bereits von einem milde gewordenen Alterswerk. Aber auch, wenn Rebecca Horns Werk in letzter Zeit ein wenig an Intensität verloren haben mag, wenn es zuweilen auch einmal zum kunstvollen Ornament neigt - es zu unterschätzen, verbietet sich von ganz allein.