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Teepflücken in Darjeeling
Knochenjob im Paradies

Darjeeling ist der Name einer Provinz im Nordosten Indiens, einer Stadt am Fuße des Himalajas und einer Teesorte, die in der Region angebaut wird. "Zwei Blätter und eine Knospe von jedem Trieb" heißt die Pflück-Regel, an der sich seit 1841 nichts geändert hat. Dahinter steckt ein echter Knochenjob.

Von Marta Kupiec | 30.07.2017
    Eine Frau des Darjeeling Tea Research Centre von Tea Bord India befreit auf einer Teeplantage die Teebäume von Wildpflanzen und schneidet sie zurecht.
    Bis der Darjeeling bei uns im Laden zu kaufen ist, ist es ein weiter Weg. (imago / Kai Horstmann)
    Unzählige Serpentinen führen in die nordindische Himalaja-Region - Darjeeling. Selbst in den frühen Morgenstunden, als der Nebel und der Dunst über der Stadt langsam steigen, herrscht in den schmalen Straßen reger Verkehr. Kein Wunder - 120.000 Menschen wohnen hier, meist in einfachen, wellblechartigen Behausungen, zwischen buddhistischen Tempeln, hinduistischen Heiligtümern und etwas maroden Bauten im Kolonialstil. Diese Schönheiten sind stumme Zeugen jener Zeit, als die Briten hier noch das Sagen hatten. Viele wurden inzwischen zu noblen Hotels umgebaut. Auch "Mayfair" - eine Anlage mit prächtigem Garten, in dem die Mutter Gottes Maria, der Baby-Buddha und der indische Elefantengott Ganesha gute Nachbarn sind.
    "Der Kern unserer Anlage ist ein Baudenkmal. Es wurde von einem Briten erbaut, dem eine Teeplantage gehörte. Das Haus ist fast 100 Jahre alt. In Darjeeling lebten viele Teeplantagenbesitzer. Auch Offiziere der britischen Armee kamen hierher, um sich zu erholen. Kalkutta war das politische Zentrum: Darjeeling dagegen ein Rückzugsort."
    Urenkel der ehemaligen Kolonialherren seien dort oft zu Gast, sagt der Hotelmanager, Sabyasachi Mohanty. Dabei fällt sein Blick auf eine Tasse mit goldfarbigem Sud und alten schwarz-weißen Fotos, auf denen nepalesische Pflückerinnen eine Schmalspurbahn ins Auge stechen. Der Bau einer Bahnstrecke in das Teeparadies begann vor 140 Jahren, sagt Bhupendra, der als Schaffner arbeitet.
    "Wir nennen unsere Himalaja-Eisenbahn 'Toy Train'. Sie wurde im Jahre 1999 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Der Zug wird von der ältesten Dampflok der Welt gezogen. Ursprünglich haben die Engländer damit diverse Güter von Siliguri nach Darjeeling transportiert. Heute ist es kein Güterzug mehr. Nur Menschen fahren damit."
    Baumpflanzaktionen gegen Erdrutsche
    90 Kilometer lang ist die gesamte Strecke, auf der sich Darjeeling zwischen den in der Luft hängenden Stromkabeln präsentiert. Ab und zu tauchen in der Betonlandschaft einzelne Bäume auf, von denen viele besonders in der Umgebung der Stadt wegen Teeanbau abgeholzt wurden. Um Erdrutsche zu verhindern, laufen in der Region Darjeeling Baumpflanzaktionen, erklärt Katrin Gassert, die das Nachhaltigkeitsprojekt der Potsdamer Teekampagne betreut.
    "Wer als Tourist nach Darjeeling kommt und die Fahrt mit dem Toy Train macht, der passiert in Ghum eine Schleife, Batasia Loop. Da ist ein Schaugarten angelegt von unserem Projekt. Da gibt es ein paar Bäume, da gibt es 'wormy composting' zu bestaunen, medizinische Pflanzen, die in der Region beheimatet sind."
    Fast drei Millionen Setzlinge wurden bisher gepflanzt, da wo alte chinesische Teesträucher fast 18.000 Hektar Land in Beschlag nehmen. Mitgebracht hat sie ein britischer Sanitätsoffizier, Dr. Archibald Campbell – inzwischen wachsen sie in 87 Gärten.
    Ein echter Knochenjob
    Seit mehr als 170 Jahren arbeiten überwiegend nepalesische Frauen im hüfthohen Gebüsch. In Windeseile pflücken sie mit beiden Händen nur "two leaves and a bud". In den obersten Blättern steckt das Ganze Teearoma, erklärt eine der Pflückerinnen.
    "Ich heiße Amrita, bin 26 Jahre alt und habe eine Tochter. Das Haus verlasse ich um halb sieben. Gegen 11:30 Uhr mache ich eine kleine Pause, danach arbeite ich bis vier. Das ist eine schwere Arbeit. Manchmal pflücke ich sogar 10 Kilo Blätter am Tag. Für meine Tochter wünsche ich mir einen anderen Job, denn dieser ist zu schwer."
    Teepflücken ist ein Knochenjob, besonders in einer Gegend, wo Maschinen tabu sind. Von ihren Gummistiefeln und einem Bambuskorb, den sie auf dem Rücken trägt, trennt sich Amrita erst an einer Sammelstelle. Auch wenn sie nur etwas mehr als zwei Euro am Tag verdient, beklagt sie sich nicht. In ihrer Zwei-Raum-Hütte mitten in der Plantage darf sie mietfrei wohnen. Auch die medizinische Betreuung ist kostenlos. Einige ihrer Verwandten arbeiten in der Teefabrik, sagt die junge Nepalesin, da wo das kostbare Grün verarbeitet wird.
    Feuchtigkeit entziehen, rollen – bis zu einem fertigen Tee dauert es eine Weile, erklärt der Manager der Chamong-Teefabrik, Indranil Gosh.
    "Der erste Schritt heißt Welken. Riesige Ventilatoren pumpen Luft in die Behälter, in denen die Blätter liegen. Das kann 14 bis 18 Stunden dauern. Am Ende verliert das Blattgrün etwa 70 Prozent seiner Feuchtigkeit –von 100 Kilo gepflückten Teeblättern bleiben nur 30 Kilo übrig."
    Sortieren, packen und eine Weltreise antreten
    Beim nächsten Schritt, dem Rollen, fangen die Blätter an zu fermentieren. So werden sie auch dunkel. Ein Gang in den Ofen unterbricht den Oxidations-Prozess. Zum Schluss heißt es sortieren, packen und eine Weltreise antreten. Damit der Geschmack stimmt, der je nach Erntezeit; Anbaugebiet und Wetterlage stark variieren kann, arbeiten Teegärten mit Tee-Testern zusammen.
    Bei der Arbeit eines Tee-Sommeliers wie Ajay Kichlu ist die Zunge längst nicht das wichtigste Werkzeug.
    "Da gibt es so viel zu beachten- die Farbe, den Geschmack. Auch der Geruch eines Suds muss stimmen. Die Aufgabe eines Tee-Testers besteht nicht darin, die Zubereitung einer Teesorte zu bestimmen, sondern für eine richtige Mischung und einen unverfälschten Geschmack zu sorgen."
    Das größte Problem sind die Fälschungen
    Da der Darjeeling-Tee zu den teuren schwarzen Tees gehört, gibt es ernst zu nehmende Probleme mit Fälschungen. Ab und zu betrifft es auch die bunten Paschmina-Schals aus echter Ziegenwolle, die rund um den Marktplatz von Darjeeling verkauft werden, sagt ein Händler.
    "Babykaschmir ist sehr weich, leicht und elegant. Die kleinen Kaschmirziegen bekommen solche flaumigen Haare nach der Geburt. Wir nehmen Haare aus der allerersten Kämmung, wenn die Tiere zwischen drei und zwölf Monaten alt sind. Unsere Schals haben geometrische und florale Muster."
    Rund um die Imbissbuden riecht es längst nicht nur nach Tee oder Reisgerichten mit Hähnchen. Immer wieder sind es die "momos", also gefüllte Dumplings, die über die Theke gehen. Diese kulinarischen Spezialitäten mit Fleisch oder Gemüsefüllung gibt es gleich in zwei Varianten - gekocht oder gebraten. Auch "momos" - mini-Beutelchen aus Teig - sind nepalesische Einwanderer und die beste Visitenkarte der Provinz, die mit ihren 70 Rhododendron-Sorten und 500 Orchideen-Arten einem Paradies auf Erden gleicht.
    In Teegärten, die auf bio umgestellt haben, wimmelt es von Amaryllis-Pflanzen, Insekten und bunt gefiederten Vögeln. Nach und nach erobern sich gefährdete Arten wie Schneeleopard, roter Panda oder Ameisenbär ihren alten Lebensraum zurück - in einem Erdstrich, wo bunte Saris, knielange Tunika und echte Paschmina-Schals für eine wahre Farbenorgie sorgen.