Donnerstag, 25. April 2024

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Teil der Musikgeschichte
Digitaler Platz für das Studio für elektronische Musik

Seit den 50er-Jahren haben Komponisten wie Karlheinz Stockhausen im Studio für elektronische Musik des WDR Musik aus Strom gemacht, 2001 wurde es abgebaut und in einen Keller verfrachtet. Nun kann das Studio mit der Webanwendung Google Arts and Culture entdeckt werden.

Von Niklas Rudolph | 15.03.2021
Karlheinz Stockhausen circa 1960 bei Versuchen im Studio für elektronische Musik in Köln
Das Studio für elektronische Musik in Köln des WDR ist vor allem mit Karlheinz Stockhause verbunden. Er leitete das Studio von 1963 bis 1989 (dpa/picture alliance - akg)
Knabenstimmen, fieberhaft entstellt, wie in einem Horrorfilm - so apokalyptisch klingt ein Meisterwerk der elektronischen Musik. In 13 Minuten erzählt der Komponist Karlheinz Stockhausen die biblische Geschichte von den Jünglingen im Feuerofen.
Auf fünf Tonspuren mischt Stockhausen Knabenstimmen und Sinus-Töne zu einem akustischen Fiebertraum. Eine technische Herausforderung. Denn Mitte der 50er-Jahre beherrschten noch Schallplatten den Markt, die nur eine einzige Spur wiedergeben konnten. 1951 entstand in Köln ein Studio, das diese neuartige Aufnahmetechniken möglich machte – das Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks.
Volker Müller: "Wenn man einen zweistimmigen Klang haben wollte, dann musste er erst auf einer Platte von diesem Riesen-Generator den ersten Ton aufnehmen. Dann konnte er den Abspielen von der Platte und einen zweiten Ton an dem Generator einstellen, die beiden mischen und jetzt das erste Mal die hören."
Historische Aufnahme von Karlheinz Stockhausen bei Versuchen im Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln. Foto um 1960.
Was wird aus dem WDR-Studio für elektronische Musik?
Stockhausen, Boulez, Cage: Im Studio für elektronische Musik des WDR entstanden legendäre Werke der elektronischen Musik. Heute lagern die Überbleibsel des Studios in Kölner Kellerräumen.

Einstiger Hausherr des Studios für elektronische Musik

Von den 70er-Jahren bis zur Auflösung des Studios 2001 war Volker Müller Hausherr im Studio für elektronische Musik. Auf der Kunst-Plattform Google Arts & Culture kann man ihn von den Pionierzeiten der elektronischen Musik erzählen hören.
Volker Müller: "Das war eine große Hoffnung, dass man jetzt die Klangfarben, also wie der Ton klingt, also nicht welche Tonhöhe, sondern was für eine Farbe hat, dass man die würde komponieren können."
Die Mischpulte, Synthesizer und Rauschgeneratoren lockten viele internationale Komponisten-Größen an den Rhein: Pierre Boulez, György Ligeti, Mauricio Kagel. Monatelang konnten sie im Kölner Funkhaus des WDR mit Rauschgeneratoren und Oktavfiltern spielen.
Volker Müller: "Stockhausen liebte es zum Beispiel ein Mischpult zu haben, was hier auf Höhe von seinen Knien war, wie ein Cellist."

Digitaler Rundgang durch das Studio möglich

In einem 360-Grad-Rundgang kann man sich auf Google Arts & Culture ein Bild von den Apparaten im Studio machen. Es sieht aus wie die Bodenstation einer Mars-Mission: graue Kisten mit flackernden Monitoren, losen Steckern; Abspiel-Möglichkeiten für Tonbänder und immer wieder handliche Regler, mit denen sich Töne künstlich erzeugen und verändern lassen.
Volker Müller: "Und das war ja nicht so selbstverständlich wie heute, wo wir die Regler überall virtuell schon auf den Handys haben und so was. So richtige Regler gibt's ja kaum mehr."
Die Technik kam langsam in die Jahre, modernere Studios in Utrecht, Tokio oder New York setzten neue Standards. Deshalb wollte der WDR das Studio schließlich 2001 aufgegeben, die Gerätschaften verschrotten. Von einem "Skandal" sprach der Komponist György Ligeti. Auf Google Arts & Culture erfahren die Userinnen und User, wie der damalige Leiter des Kulturradios WDR 3 das gerade noch verhindern konnte.
"Das Studio war bereits abgebaut, in Kartons verpackt", erinnert sich der damalige WDR-3-Wellenchef Karl Karst. "Und es hat sich dann ergeben, erfreulicherweise, dass das Studio hier in Köln-Ossendorf in einem angemieteten Gebäude des Westdeutschen Rundfunks aufgebaut werden konnte. Und erfreulicherweise hat Volker Müller als langjähriger Ingenieur des Studios so viel behalten und erinnert, dass er den Aufbau auch relativ professionell und original gerecht realisieren konnte."

Ein Stück Musikgeschichte: Studio für elektronische Musik

In einem Keller in einem Kölner Gewerbegebiet machte Volker Müller das Studio wieder funktionstüchtig: zum einen, um die kostbaren Tonbestände zu digitalisieren. Zum anderen um sein kostbares Wissen weiterzugeben: an Studierende, Forscherinnen und Forscher; Künstlerinnen und Künstler. Auf der Online-Plattform Google Arts & Culture kann man Volker Müller und vielen weiteren Protagonisten dabei zusehen, wie sie Musikgeschichte lebendig machen. Da sollte man vielleicht noch sagen, dass hier Herbert Eimert zu hören ist!
Herbert Eimert: "Musikalische Geisterstimmen, wie man sie in unserer Musik noch nicht kennt."
So klang die erste Sendung über das Studio für Elektronische Musik, aus dem Jahr 1951. Der Journalist Florian Kinast erzählt auf Google Arts & Culture die Geschichten aus der Hochzeit des Studios. Zum Beispiel als der Komponist Karlheinz Stockhausen in einer Livesendung Hörerpost vorliest. Denn die Meinungen über die neue, elektronische Musik gingen bei den Hörerinnen und Hörern des WDR weit auseinander: "Gewiss, über Geschmack und Musikverständnis lässt sich streiten, aber man wird hier kaum noch von Musik sprechen. Ich glaube, dass bestimmt zahlreiche Hörer der gleichen Meinung sind. Vielleicht sind wir alle zu dumm um diese ‚Kunst‘ – in Anführungsstrichen – zu verstehen."

"Es ging von Köln in die Welt raus"

Auf über 100 Fotos können Userinnen und User die Geschichte des Studios selbst erkunden. Der WDR ist einer von über 50 Partnern aus 15 Ländern, die für Google Arts & Culture ihre Schatzkammern geöffnet haben. Auch das ZKM Karlsruhe oder die Philharmonie in Paris tragen mit zahlreichen Objekten zu dieser Geschichte der Elektronischen Musik bei. Das Kölner Studio nimmt darin einen besonderen Platz ein.
Volker Müller: "Es ging von Köln in die Welt raus. Es gab ganz viele Folge-Gründungen. Daran anschließend und nachdem Stockhausen dann auch mal eine Tournee über die Hochschulen an der amerikanischen Westküste gemacht hatte, wurden überall an den Hochschulen solche Studios gegründet."
Noch immer ist nicht geklärt, wo die technischen Apparaturen des Studios für Elektronische Musik eine dauerhafte Bleibe finden. Alle Versuche dahingehend sind bisher gescheitert, zuletzt ein geplanter Umzug ins Haus Mödrath, wo Karlheinz Stockhausen zur Welt kam. Inzwischen gibt es neue Verhandlungen mit der Stadt Köln mit ungewissem Ausgang.

Was mit dem Studio passierten wird, ist derzeit ungeklärt

Noch einmal Karl Karst: "Im Moment haben wir eine offene Situation und ich hoffe für mich und für das Studio und für alle Fans, dass wir es wirklich schaffen, in absehbarer Zeit endlich die Lösung zu haben, dass der WDR dieses Studio schenken kann, der Öffentlichkeit und auch einer Nutzung zuführen kann, die für meine Begriffe einfach, also unabdingbar ist und nicht vergeudet oder ungenutzt verbleiben kann."
Mit der Google-Initiative erhält das Studio einen festen Platz – zumindest im Internet. Auch Techniker Volker Müller bleibt dem Studio über die Online-Ausstellung erhalten. Der langjährige Hüter des WDR-Studios für elektronische Musik ist im Februar im Alter von 78 Jahren gestorben. In der Ausstellung lebt er fort.