Freitag, 19. April 2024


Teil III: Ungarn

Weiße Rosen bedecken das Denkmal auf dem alten Friedhof in Budaörs oder Wudersch. In der Budapest nahen Gemeinde wurde zum ersten Mal in Ungarn eine zentrale Gedenkstätte eingeweiht. Stein und Bronze sollen an jene Deutschen erinnern, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ungarn vertrieben wurden. Heute verneigen Opfer ihr Haupt vor einem Denkmal, das längst überfällig war - behauptet Dr. Friedrich Zimmermann, Bundesvorsitzender der Landsmannschaften der Deutschen aus Ungarn.

Von Harriett Ferenczi | 03.09.2006
    "Der Grundstein wurde 1996 gelegt. Und das hat sich dann zehn Jahre hingezogen. Und stellen Sie sich vor, wie viele nicht mehr unter uns sind von der Erlebnisgeneration. Ich bin Erlebnisgeneration mit elf Jahren. Meine Eltern alle haben eigentlich gewartet, auf ein Landesdenkmal, wo das Land sich bekennt. Und man kann nun endlich die Wahrheit sagen, man hat ja früher nicht die Wahrheit gesagt. "

    Zur Wahrheit gehört, dass ab 1946 rund 200.000 Vertreter der deutschen Volksgruppe aus Ungarn vertrieben wurden. Dafür sorgte der Beschluss der Siegermächte der Potsdamer Konferenz, sorgte weiter eine Verordnung der ungarischen Regierung, die besagte: Alle Bürger, die sich zur deutschen Nationalität bekannten, die Wehrdienst in einer bewaffneten deutschen Einheit leisteten, die Mitglieder im Volksbund der Ungarndeutschen waren, sollen ausgesiedelt werden.

    "Und es waren ja nicht die Kommunisten, sondern es waren die Konservativen, die diesen Beschluss gefasst haben: Sicherlich da Potsdam das beschlossen hatte. Potsdam hat gesagt, man kann. Man muss nicht. Und Ungarn hat immer gesagt - auf Zwang der Russen. Das stimmt ja nicht. Im Mai 45 wurde an Russland der Antrag gestellt, kollektiv die Deutschen zu vertreiben. Amerikaner und die Engländer haben es abgelehnt, und Russland kam es gelegen. So haben Russen das in Potsdam durchgedrückt."
    Auf dem alten Friedhof in Budaörs oder Wudersch treffen sich Vertriebene, zeigen alte Familienfotos, bedauern, dass ihre Kinder, die bereits in Deutschland geboren wurden, nicht mit nach Ungarn reisten:

    "Die haben gar kein Heimatgefühl mehr, die Kinder. Die sind dort geboren, sind dort aufgewachsen, alles ja."
    Anlässlich des 60. Jahrestages der Vertreibung finden Gedenkfeiern in ganz Ungarn statt. Franz Reiter, Sohn eines Vertriebenen, ist aus Deutschland angereist. Mein Vater lebt nicht mehr, wir wollen den Kontakt zu seinem Heimatdorf trotzdem wahren - erklärt Franz Reiter:

    "Das wird die Generation nie vergessen. So vom erzählen, von zuhause, wie das alles war. Also sie waren immerhin hier, sind hier aufgewachsen. Die Kindheit steckt halt in einem drin. Und die Jahre, die man eigentlich am ehesten mit sich rumträgt, bis in das hohe Alter. Ich erzähl das auch heute in Deutschland immer, meinen nicht-ungarischen Verwandten. Oder meinen Kindern. Stellt euch das mal vor, wir sitzen hier im Wohnzimmer, es kommt jemand und es heißt - nächste Woche müsst ihr packen. 80 Kilo irgendwo im Gepäck mitzunehmen - und dann ist Ende - und das gehört uns dann nicht mehr. Das muss man ja irgendwo verkraften können. Das ist nicht so einfach. "
    Bei der letzten Volkszählung 1941 in Ungarn bekannten sich 470.000 Menschen zu ihrem Deutschtum. Sie sollten nach Kriegsende Ungarn verlassen.

    Otto Heineck, Vorsitzender der Landesvertretung der Ungarndeutschen:

    "Es gibt einen berüchtigten Spruch des damaligen Führers der Nationalen Bauernpartei: Die Deutschen sind mit einem Bündel nach Ungarn gekommen und sie sollen auch mit einem Bündel gehen. "

    Bei den Gedenkveranstaltungen anlässlich des 60. Jahrestages der Vertreibung heißt es immer wieder: Vergeben - aber nicht vergessen. Dabei gab es auch Gesten der Versöhnung nach der politischen Wende. Der Budapester Zeitgeschichtler Zoltan Kiszely:

    "Das Unrecht, das nicht nur den Deutschen, sondern auch allen anderen durch die Gewaltherrschaft seit 1938 angetan wurde, wurde durch das Entschädigungsgesetz nach dem Systemwechsel gutgemacht. Es gab eine Art materielle Entschädigung, was bei weitem dem Wert nicht wieder wettmacht, der durch das Unrecht dann weggenommen wurde. "

    Dennoch haben die Ungarn die Erblast der Vertreibung moralisch bewältigt. Das ungarische Parlament hat im März 1990 die Vertreibung verurteilt und sich bei den Opfern und Nachkommen entschuldigt. Es wurde ihnen für den Fall der Rückkehr sogar die ungarische Staatsbürgerschaft angeboten. Das Recht auf Entschädigung erhielt jeder, der als ungarischer Staatsbürger Unrecht erlitten hatte, also auch die Ungarndeutschen, in Form von Entschädigungsscheinen. Diese Entschädigung wurde von den Opfern als Geste anerkannt.

    Kiszely: "Sie konnten diese Scheine für Aktien staatlicher Betriebe verwenden. Und auch kommunale Wohnungen kaufen, insofern sie in Ungarn gewohnt haben. Die meisten haben die Scheine für einen Bruchteil des Wertes weiterverkauft an Anlagefonds und die haben damit spekuliert. Also der kleine Mann, der durch das Unrecht betroffen wurde, konnte nur im äußersten Fall davon profitieren. "

    Gedenkfeiern ohne dramatische Momente, denn Ungarn habe die Geschichte mit Entschädigung und Rückkehrangeboten aufgearbeitet.

    "Moralisch gab es natürlich öfters Entschuldigungen seitens des Staates - gegenüber allen Opfern der Gewaltherrschaft. Der Staatspräsident Solyom hat sich jetzt extra zum Jahrestag des Beginns der Vertreibungen gegenüber den Ungarndeutschen als Vertreter des ungarischen Staates entschuldigt. Also er hat sie offiziell noch einmal hervorgehoben, aus dieser Masse des Unrechts die Ungarndeutschen als spezielle Opfergruppe. "
    Was wir nicht mir Nachdruck verurteilen, wird in aller Stille von der vergehenden Zeit legalisiert - schreibt eine Budapester Zeitung anlässlich des Jahrestages der Vertreibung. Wenn wir die kollektive Verfolgung nicht als tragisches Verbrechen eines tragischen Zeitalters bewerten, so wächst sie sich zur harmlosen Möglichkeit aus. Zugleich schwinden die Erinnerungen.

    Kiszely: "Die Leute mögen sich nicht an diese Zeiten zurückerinnern. Das ist eine Kette des Unrechts, das den Juden angetan wurde, das was den Deutschen angetan wurde, was den Ungarn angetan wurde, die gegen das System waren oder einfach nur enteignet wurden. Und wenn man eine Opfergruppe heraushebt, dann befinden sich die anderen benachteiligt. Und deswegen ist es so eine kollektive Übereinstimmung, die Leute mögen sich nicht daran erinnern, man möchte die Wunden nicht wieder aufreißen. "