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Teilchentherapie
Schnelle Teilchen gegen Krebs

Die Bestrahlung ist eine wesentlicher Teil der Tumortherapie. Etwa jeder zweite Krebspatient wird heute damit behandelt. Üblicherweise passiert das mit Röntgenstrahlung. Doch seit einigen Jahren nutzen manche Mediziner auch eine Alternative, bei der sie die Tumore mit Strahlen aus schnellen Teilchen beschießen.

Von Frank Grotelüschen | 30.06.2015
    Behandlungraum für Ionentherapie
    Ein Behandlungsraum zu klinische Ionentherapie, die zum Beispiel Krebspatienten hilft. (deutschlandradio / Frank Grotelüschen)
    "Das ist das, was der Patient nicht sieht."
    Heidelberg, das Ionenstrahl-Therapiezentrum der Universität. In einem der Behandlungsräume hat der Physiker Andreas Peters eine Tür geöffnet und zeigt das Innenleben der Anlage. Ein Ungetüm aus Stahl, ein Gewirr von Trägern, Streben und Metallgelenken. Das Gebilde dient einem einzigen Zweck: Es lenkt einen gebündelten Teilchenstrahl so ins benachbarte Behandlungszimmer, dass er den Tumor des Patienten möglichst optimal trifft.
    Das Heidelberger Zentrum ist eine der wenigen Anlagen in Deutschland, die Krebspatienten nicht mit Röntgenstrahlen behandeln, sondern mit Ionen, das sind elektrisch geladene Teilchen. Der Aufwand dafür ist beträchtlich, sagt Prof. Jürgen Debus, der Chef der Einrichtung. Denn das Kernstück der Anlage ist ein 20 Meter großer Beschleunigerring.
    "Wie beschleunigen darin die Teilchen auf etwa 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit."
    Dann bündeln Magneten die Teilchen zu einem feinen Strahl und lenken ihn zielgenau auf den Tumor des Patienten. Der Vorteil der Methode:
    "Das Besondere der Strahlentherapie mit Ionen liegt darin, dass diese Teilchen präzise im Tumor gestoppt werden können. Sodass hinter dem Tumor eine geringere Dosis verabreicht wird und auch auf dem Weg zum Tumor die Dosis geringer ist im Vergleich zur Röntgentherapie. Die Hypothese ist, dass wir eine wesentlich höhere Wirkung im Tumor erreichen und gleichzeitig das umgebende Gewebe schonen."
    2009 ging seine Anlage in Heidelberg in Betrieb, seitdem hat man dort knapp 3.000 Patienten behandelt , die meisten in klinischen Studien. Das Zwischenresümee von Jürgen Debus:
    "Wir können sagen, dass das ein sehr sicheres Verfahren ist, dass auch die akute Verträglichkeit sehr gut ist."
    Und für manche Tumorarten hat sich auch schon gezeigt, dass die Teilchentherapie tatsächlich bessere Ergebnisse bringt als die Röntgenbestrahlung. Etwa für bestimmte Geschwüre in der Schädelbasis, die gegenüber Röntgenstrahlung überaus unempfindlich sind. Die schnellen Teilchen dagegen bringen soviel Energie in den Tumor, dass dessen Zellen zugrunde gehen. Die Folge:
    "Dort hat sich das Verfahren schon zu einem gewissen Standard entwickelt."
    Bessere Behandelbarkeit von Kindern und Schwangeren
    Ähnlich bei Tumoren, die extrem dicht am Sehnerv liegen. Eine Behandlung mit Röntgenstrahlen droht den Sehnerv zu schädigen, im Extremfall kann der Patient erblinden. Teilchenstrahlen dagegen lassen sich deutlich besser zielen, der Sehnerv bleibt verschont – weshalb sich diese Methode mittlerweile durchgesetzt hat. Und auch in anderen Fällen gelten die Teilchenstrahlen als überlegen, sagt Jürgen Debus, und zwar:
    "Wenn wir Kinder bestrahlen. Der Vorteil liegt darin, dass wir das umgebende Gewebe, was typischerweise bei einem Kind noch wächst, sehr gut schonen können. Oder wenn wir Schwangere überstrahlen müssen. Eine ganz kritische Situation, weil dort das werdende Leben besonders empfindlich ist."
    Bei einer Strahlentherapie wird unweigerlich auch immer gesundes Gewebe mitbestrahlt. Und das kann besonders bei Kindern zu massiven Nebenwirkungen führen – zu Wachstums- und Leistungsstörungen, oder es können neue Tumoren entstehen. Die Teilchentherapie dürfte dieses Risiko verringern, denn Teilchen belasten das den Tumor umgebende Gewebe weniger als Röntgenstrahlen. Wie groß die Vorteile jedoch genau sind, wissen die Mediziner noch nicht, das können nur Langzeitstudien klären. Ähnliches gilt für die Behandlung von weiteren Krebsarten, etwa bestimmten Formen von Lungen-, Darm- und Prostatakrebs. Dass hier die Teilchentherapie zu besseren Heilungsraten führt, liegt zwar nahe, ist aber noch nicht bewiesen, meint Prof. Michael Baumann vom Universitätsklinikum Dresden.
    "Was wir jetzt rausfinden müssen ist, bei welchen Patienten der Vorteil so groß ist, dass der Mehraufwand dieser Therapie gerechtfertigt ist."
    Für einige Krebsarten wie seltene Augen- und Schädeltumoren sei das zwar schon bewiesen. Aber:
    "Bei anderen Patienten müssen wir das noch genauer definieren. Und für viele Patienten wird es nicht so sein."
    Immerhin: Auch wenn die meisten Studien noch nicht abgeschlossen sind, übernehmen die Krankenkassen für viele Fälle bereits die Behandlungskosten. Angeboten wird die Teilchentherapie bislang nur von wenigen Zentren. Neben Heidelberg sind es Dresden, Essen, München, Berlin und demnächst auch Marburg.