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Telefonieren, wenn die Leitung tot ist

Telekommunikation.- Im Katastrophenfall werden Mobilfunknetze oftmals überlastet und fallen aus. Für die Rettung von Personen ist das eine schlechte Voraussetzung. Darmstädter Forscher haben nun das sogenannte Overlay-Hybrid-Netz (OHN) getestet. Es soll eine autonome Kommunikation zwischen Smartphones ermöglichen.

Von Klaus Herbst | 08.10.2011
    Informatiker suchen nach vernünftigen Applikationen für Smartphones. Darmstädter Wissenschaftler haben nun ein neuartiges Netzwerk aufgebaut und im Labor der Technischen Universität getestet - ein Ad-hoc-Netzwerk für Smartphones als Helfer im Katastrophenfall.
    "Was wir jetzt hier konkret in einer Simulationsumgebung ausprobiert haben, sind Szenarien wie Haiti beispielsweise, also Erdbeben mit großer Fläche oder halt Erdbeben in Japan. Und wenn man davon ausgeht, dass das Gerät und die Person nahe zueinander sind, auch im Katastrophenszenario, und wenn das Gerät halt Funken kann, vielleicht ist die Person bewusstlos, aber das Gerät schickt halt die Lokation-Information an die Einsatzkräfte, dann können Sie halt diese Person schneller erreichen. Also unsere Simulationsergebnisse zeigen sehr deutlich eine Verbesserung der Informationslage für Einsatzkräfte”",
    sagt Parag Mogre vom Fachgebiet Multimedia und Kommunikation. Die meisten Geräte sind ab Werk mit GPS, Bewegungssensor und Kompass ausgestattet. Johannes Wowra ist Elektro- und Informationstechniker mit Schwerpunkt Datentechnik, er ist auf Kommunikationsnetze spezialisiert. In der Gruppe Mobilkommunikation und Sensornetze optimiert er die technische Plattform für den Katastrophenfall.
    ""Das Besondere ist, dass die Geräte von selbst ein Netzwerk aufbauen, indem sie schauen, zum Beispiel per Bluetooth oder per WLAN, wer ist in meiner Umgebung? Und dann Kontakt herstellen zu diesen anderen Geräten, sich die Informationen über diese Geräte holen, zum Beispiel: Welches Gerät kann was? Welches Gerät hat einen GPS-Sensor? Welches Gerät hat eine Kamera? Welches Gerät kann Audioaufnahmen machen?, und anhand dieser Informationen die Aufgaben an diese Geräte verteilen. Man könnte sich natürlich vorstellen, wenn ein Gerät eine Verbindung zum Internet hat, dass dieses Gerät die Informationen, die es hat, auf einen Server weiterleitet. Und da könnte man diese Informationen dann visualisieren. Der Einsatzleiter in der Zentrale könnte dann sehen, da sind Personen, dort sind Personen und könnte den Helfern dann Anweisungen geben, wer wohin laufen muss."

    Die Funkmasten der Service-Provider stoßen schnell an ihre Kapazitätsgrenzen. Im Notfall waren Diensteanbieter kaum noch zu erreichen, das ist die Lehre aus vergangenen Katastrophen. Smartphones würden, ausgelöst durch ein digitales SOS-Signal, über alle noch verfügbaren Kanäle sofort den Kontakt untereinander aufnehmen. Die Schwarmintelligenz der Smartphones würde es auch erkennen, sollte der Akku eines einzelnen Gerätes in die Knie gehen - und würde das Gerät schonen.
    ""Es gibt einen Hauptknoten, der sich Informationen von allen umliegenden Knoten nimmt und dann anhand dieser Informationen die Aufgaben so verteilt, dass die Energie am wenigsten verbraucht wird. Also dass jetzt zum Beispiel ein Handy, was jetzt einen sehr niedrigen Batteriestand hat, jetzt nicht die Aufgaben bekommt, die am meisten Energie verbrauchen, sondern eher die Telefone, die einen hohen Batteriestand haben.”"
    Ein Jahr Entwicklungs-Arbeit, und die neue Rettungsarchitektur funktioniert bereits im Labor - zurzeit nur mit 20 Smartphones, hat Parag Mogre gezählt. Im Ernstfall wäre die Nutzerzahl beliebig erweiterbar. Von zentraler Bedeutung sei die sogenannte ‘Task-Allocation’, also die optimierte Verteilung der Aufgaben über das autonome, automatische und mobile Netzwerk. Ein Gerät koordiniert die Verteilung, im Labor der ‘Bluetooth-Master’. Der ‘Master’ verteilt die Tasks an alle angeschlossenen ‘Slaves’, also an alle untergeordneten Endgeräte. Sollte ein ‘Master’ selbst in Gefahr kommen, ließe sich auch dies rechtzeitig und sicher erkennen. Ein anderes Gerät würde einspringen. Die Datenverbindung muss vor allem sicher sein und robust, sie darf nicht von außen gestört werden können und sollte störungsfrei arbeiten.

    ""Hier haben wir als Prototyp Bluetooth benutzt, weil das halt weniger Energie verbraucht. Für Nahkommunikation ist das ganz praktisch und funktioniert auch ganz gut. Weil da in dem Standard selber drin ist, dass ein Bluetooth ein ‘Master’ ist, und die anderen, die sind halt die ‘Slaves’. Aber im Prinzip könnte man das auch alles rein über WLAN machen oder über alle möglichen Funkverbindungen, die wir jetzt zur Verfügung haben.”"
    Sogar die notfallmäßige Integration in GSM und UMTS-Netze wäre technisch möglich, sie wird aber nicht angestrebt. Moderne Smartphones seien aber auch aus anderen Gründen tauglich für den Notfalleinsatz. Parag Mogre:
    ""Was vor allem diese Android-Geräte mit sich bringen, sind diese Google-Maps und Map-Anwendungen. Wenn man halt so eine Karte gezeigt bekommt, okay, Sie sind hier und da ist Gefahr, da ist auch Gefahr, aber hier ist es sicher. Jeder kriegt so ein persönliches Navi-Gerät in dem Handy, das sagt ‘Hier soll man hin, da ist Sicherheit, in der anderen Richtung, da ist es gefährlich.”"
    Erst recht bei Gefahr sollen die kleinen Rechner für die optimale Informationslage sorgen. Auf ein verschlüsseltes SOS-Kommando agieren die Geräte innerhalb des Netzwerkes selbstständig, sie handeln ad hoc aus, welches gerade Daten sammelt und überträgt. Sie vermeiden den Datenstau, Informationsflut darf bei einem Notfallszenario nicht vorkommem. Die Gerätehersteller haben Interesse an sinnvollen Apps:
    ""Das wäre so die Idee, dass man halt die Software zur Verfügung stellt in dem Marketplace, und dass die Nutzer halt das installieren können. Oder was halt noch besser wäre, wenn dieser Notfallmodus mitgeliefert wird jedem Gerät, damit die Einsatzkräfte einfach, ohne dass der Nutzer aktiv da vorinstallieren muss, weil die Katastrophe kommt nicht mit Vorhersage.”"