Dienstag, 19. März 2024

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Termin für Kohleausstieg
"Wir wollen Sicherheit für die Regionen"

Der CDU-Energiepolitiker Andreas Lämmel hat sich im Dlf gegen einen früheren Kohleausstieg ausgesprochen. Es gehe um die Sicherheit für die Regionen und um neue Perspektive für die Mitarbeiter. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte einen Ausstieg bis 2030 ins Gespräch gebracht.

Andreas Lämmel im Gespräch mit Sandra Schulz | 24.06.2019
Ein Schaufelradbagger im Braunkohletagebau in der Lausitz
Spätestens 2038 wird Schluss sein mit dem Braunkohletagebau in der Lausitz (Patrick Pleul / ZB / Picture Alliance)
Sandra Schulz: Nach den breiten Protesten für einen schnelleren Kohleausstieg im rheinischen Revier am Wochenende gehen die Diskussionen um die Kohle jetzt weiter, oder vielleicht auch erst so richtig los. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen bei der Räumung im Tagebau Garzweiler, der von zirka 2000 Aktivisten des Aktionsbündnisses "Ende Gelände" besetzt war. Umweltaktivisten und Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt. Beide Seiten machen sich jetzt gegenseitig Vorwürfe.
Ein ganz interessanter Beitrag zum Thema kam am Wochenende vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder. Er bringt im "Münchener Merkur" einen Kohleausstieg bis 2030 ins Gespräch. Das ist acht Jahre früher als nach dem bisher angestrebten Kohlekompromiss, der von 2038 spricht.
Darüber konnte ich vorhin mit dem sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Lämmel sprechen. Er ist der Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Ausschuss Wirtschaft und Energie. Ihn habe ich gefragt, ob die Fridays for Future-Demos und Markus Söder recht haben und der Ausstieg aus der Kohle früher kommen muss.
Andreas Lämmel: Ich glaube, sie haben nicht recht, und ich weiß auch nicht, woher der Herr Söder seine Weisheit nimmt. Denn wir haben im letzten halben Jahr die Kommission für Wachstum und Beschäftigung gehabt, in der alle relevanten Gruppen, auch die Umweltverbände und Umweltgruppen mit an den Gesprächen teilgenommen haben.
Meines Wissens oder meiner Kenntnis nach - ich habe ja dort selbst ohne Stimmberechtigung teilgenommen - hat auch die CSU diesem Kohlekompromiss zugestimmt, und das ist jetzt für uns bindend. Denn man kann auch nicht innerhalb eines halben Jahres ständig die Spielregeln verändern. Man sollte auch daran denken, dass die Leute in den Regionen, in den Bergbauregionen auch endlich mal Sicherheit brauchen, wie nun der Prozess ablaufen soll.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas G. Lämmel spricht bei einer Plenarsitzung.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas G. Lämmel (picture alliance/Carsten Koall/dpa)
"Ausgleichsgelder sind dafür da, um neue Strukturen aufzubauen"
Schulz: Das Argument von Markus Söder ist ja, dass die Spielregeln, so wie sie justiert sind, einfach nicht mehr zur aktuellen Diskussion passen. Er geht ja noch den Schritt weiter: Er sagt, die Ausgleichszahlungen - da ist ja ein zweistelliger Milliardenbetrag geplant, die an die Kohleländer gehen sollen -, die muss man auch noch mal diskutieren. Was sagen Sie dazu?
Lämmel: Ja, es ist manchmal so. Wenn es nicht um Bayern geht, wird alles wieder auf die Tagesordnung geschrieben. Ich halte die Diskussion für ziemlich verwegen, denn dann kann man klar sagen, dann gilt der Kohlekompromiss für niemanden mehr. Und es ist ja nicht nur, dass man sich jetzt über das Enddatum der Kohle verständigt hat, sondern man musste ja auch sich die Frage stellen, wie die Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet ist, wenn man jetzt eher aussteigen wollte.
Schulz: Bei der Versorgungssicherheit gehen die Meinungen auseinander. Experten sagen schon seit vielen Jahren auch, das Thema Versorgungssicherheit ist nicht das zentrale Problem. Jetzt würde ich gerne noch mal bei Markus Söder bleiben und Ihnen noch mal genauer zitieren, was er dem "Münchener Merkur" gesagt hat.
Er sagt, es könnten nicht einfach 40 Milliarden Euro nur als Ausgleich in die Bergbauregionen gehen. Das Geld sei in der Forschung für erneuerbare Energien besser aufgehoben und würde Jobs in ganz Deutschland halten. Ist es nicht so, dass auch den Menschen bei Ihnen in Sachsen, in der Lausitz mit Zukunftsjobs wirklich mehr geholfen wäre?
Lämmel: Was glauben Sie denn sonst, für welche Zwecke diese 40 Milliarden Ausgleichszahlungen verwendet werden? Die werden doch nicht an die Bundesländer bezahlt oder an die Kohleländer bezahlt, um dort im Haushalt zu versickern, sondern diese Ausgleichsgelder sind genau dafür da, neue Strukturen aufzubauen, neue Industriezweige aufzubauen, und das Thema Forschung und Entwicklung steht dabei ganz oben an der Spitze.
Braunkohlebagger vor orangenem Himmel im Braunkohletagebau Welzow
Bald geht auch für den Braunkohletagebau in der Lausitz das Licht aus. (picture alliance / dpa)
Schulz: Sagen Sie uns das noch mal genauer, was Sie mit dem sächsischen Anteil vorhaben? Das ist ja jetzt recht abstrakt, wie Sie es schildern.
Lämmel: Ja. Der sächsische Anteil oder auch der Anteil in anderen Regionen wird eingesetzt für den Ausbau der Infrastruktur. Er wird eingesetzt für den Ausbau der Infrastruktur bei Forschung und Entwicklung. Und er wird eingesetzt, um neue Industriezweige in der Region zu entwickeln.
"Wenn wir alle Kohlekraftwerke abstellen, würde das weltweit niemand merken"
Schulz: Welche?
Lämmel: Zum Beispiel die Region Lausitz will ja auch weiterhin Energieregion bleiben, aber nicht mehr im Sinne der Braunkohle, sondern im Sinne der erneuerbaren Energien.
Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf den konkreten Streit schauen. Die Klimaschützer mahnen ja schon seit langem, dass 2038, das Datum, das der Kohlekompromiss vorsieht, einfach zu spät sei, weil ja ein ganz erheblicher Anteil der CO2-Emissionen aufs Konto der Kohleverstromung geht. Es sind Zehntausende von Wissenschaftlern, die das sagen. Warum hat das Wort der Experten so ein geringes Gewicht?
Lämmel: Wir haben in der Kohlekommission über ein halbes Jahr hin alle Argumente zehnmal hoch- und runter diskutiert. Zum ersten muss man feststellen, selbst wenn wir über Nacht in Deutschland alle Kohlekraftwerke sofort abstellen würden, würde das weltweit niemand merken, weil die Emissionen prozentual so gering sind, dass sie weltweit überhaupt nicht ins Gewicht fallen.
Zum zweiten sind natürlich auch die Enddaten hoch- und runterdiskutiert worden. Und dass letztendlich die Kommission zu dem Schluss gekommen ist, dass 2038 das Abschaltdatum für das letzte Kraftwerk ist, hat ja alles seine fundierte Berechtigung. Natürlich werden Sie immer einen Wissenschaftler finden, der sagt, das kann alles viel schneller gehen, aber in der Kohlekommission wurden mehr als 100 Experten angehört. Die Kommission hat wirklich extrem viel Sacharbeit geleistet und man kann das nicht einfach jetzt mit einem Interview in der Zeitung auf den Kopf stellen.
Drei Demonstranten haben Bäume auf ihre nackten Rücken gemalt. Sie sitzen nebeneinander und umarmen sich.
Demonstranten von "Fridays for Future" nahe Garzweiler (AFP/Ina Fassbender )
Schulz: Ich will mich mit Ihnen jetzt nicht über Zahlen streiten, aber es ist nicht ein Wissenschaftler, sondern es sind mehr als 10.000, die sich bei den Scientists 4 Future so geäußert haben. Jetzt ist diese Einigung aus dem Kohlekompromiss natürlich schon einige Tage alt. Wir haben jetzt ein neues Anwachsen dieser Fridays for Future-Demonstrationen, bei denen teilweise auch nicht mehr nur die jungen Leute, sondern auch deren Eltern und Lehrer und Professoren mitgehen.
Und das haben wir auch bei der Europawahl Ende Mai gesehen. Da hat eine Mehrheit der Wähler den Klimaschutz als wichtigstes Thema benannt. Die Botschaft kommt bei Ihnen nicht an?
Lämmel: Es ist doch unbestritten, dass der Klimaschutz auch bei uns eine große Rolle hat. Aber freitags demonstrieren zu gehen, ersetzt noch keine Sachargumente. Ich treffe mich im Übrigen heute mit einer Gruppe dieser Demonstranten, um genau diese Fragen noch mal zu erörtern. Ich habe bisher keine neuen Argumente gehört, die wir nicht alle schon auch in der Kohlekommission diskutiert hätten.
Schulz: Was machen Sie dann aus dem, was Markus Söder jetzt macht mit seinem Vorstoß vom Wochenende? Ist das ein taktisches Foul?
Lämmel: Ich würde das so bezeichnen, denn ich meine, wir stehen vor Landtagswahlen in Sachsen und wenn man die Menschen in den Regionen noch richtig stark verunsichern möchte, dann soll man so weitermachen.
"Wir wollen Sicherheit für die Regionen"
Schulz: Wird das der nächste Großkonflikt zwischen den Schwesterparteien?
Lämmel: Das glaube ich nicht. Das glaube ich nicht, weil ja auch Mitglieder der CSU in der Kohlekommission waren, und die Mitglieder der CSU wissen ganz genau, dass wir das alles hoch- und runterdiskutiert haben und dass es keine neuen Erkenntnisse gibt, die eine Veränderung dieses Kompromisses erforderlich machten.
Wir warten jetzt, dass die Bundesregierung das Gesetz auf den Weg bringt und dass wir nach der Sommerpause jetzt über das Gesetz über den Kohleausstieg diskutieren können.
Schulz: Das ist politisch jetzt ja auch eine ganz interessante Entwicklung. Wir hatten im vergangenen Jahr die Flüchtlingsdiskussion. Da hat die CSU ganz stark gedrängt auf Zurückweisung von Flüchtlingen, auf eine Obergrenze für Flüchtlinge - mit dem Kalkül, rechts von der Union keinen Platz zu lassen im demokratischen Spektrum.
Jetzt bewegt sich Markus Söder ja mit seiner Forderung ganz klar auf die Grünen zu. Was machen Sie daraus im Wahlkampf in Sachsen?
Lämmel: Wir wollen Sicherheit. Wir wollen Sicherheit für die Regionen. Wir wollen den Menschen eine klare Perspektive zeigen, dass sie in ihrer Region bleiben können. Wir haben in den letzten 30 Jahren auch gelernt, dass Strukturwandel-Prozesse, die sind eben nicht mit dem Lichtschalter aus- oder anzuknipsen, sondern die brauchen Zeit.
Und wir brauchen jetzt die Zeit, die in der Kohlekommission festgeschrieben worden ist, um in der Region für neue Arbeitsplätze zu sorgen und den Umstieg in die regenerativen Energien zu schaffen.
Schulz: Wie wollen Sie diese Sicherheit versprechen, wenn Markus Söder jetzt nicht zurückrudert? Sie berufen sich gerade auf CSU-Mitglieder. Was spricht denn dafür, dass die die Parteilinie festlegen und nicht der Parteichef?
Lämmel: Ja, gut! Wenn es dazu käme, dass plötzlich dieser Kohlekompromiss wieder aufgeschnürt werden sollte, dann muss man ganz klar sagen, dann können wir uns auch nicht mehr daran halten, und dann gilt für uns das Fortlaufen der Kohlekraftwerke, solange bis die Braunkohlepläne erfüllt sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.