Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Terror aus dem Netz

Gegen "Stalking" - der permanenten Verfolgung einer Person - und "Flaming" - dem wüsten Beschimpfen und Verunglimpfen - im Internet ist kaum ein Kraut gewachsen, Prävention ist schwer. Die Bremer Polizei beschäftigt sich jetzt in einer eigenen Arbeitsgruppe mit diesem Thema.

Von Holger Bruns | 15.04.2006
    Wer sich in Chats herumtreibt oder in Foren und Newsgruppen mitdiskutiert, kennt die wechselseitigen Beschimpfungen aufgrund von Meinungsverschiedenheiten. Doch Vorsicht ist geboten, denn nicht jeder will einfach nur Dampf ablassen. Manchen Diskussionsteilnehmern geht es hier um deutlich mehr. Sie wollen ihre Gegner auch persönlich massiv verfolgen, sie öffentlich bloßstellen und schädigen. Diese Form der Belästigung heißt Internet-Stalking.

    "Die Täter suchen sich Newsgruppen aus. Sie bewegen sich in Foren, versuchen, über Foren oder Newsgruppen ihre Opfer zu identifizieren, um dann über den sonst eigentlich benutzten Nickname an die Echtpersonalie des Opfers heranzukommen, um es dann zu verfolgen."

    Stephan Rusch leitet die Präventionsstelle des Bremer Landeskriminalamtes und ist dort für das polizeiliche Stalkingprojekt zuständig, das sich mit Fällen massiver und fortgesetzter Belästigung und den damit verbundenen Straftaten befasst. In den fünf Jahren seines Bestehens hat das Bremer Stalkingprojekt rund 1000 Fälle bearbeitet. Zwar machen die Internetstalker nur einen kleinen Teil der Stalker insgesamt aus, aber ihre Opfer müssen sich dennoch auf einiges gefasst machen: zum Beispiel Hans-Jürgen L., dessen vollständiger Name der Redaktion bekannt ist. Er wird von einem Mann aus dem hessischen Dietzenbach nicht nur in Diskussionsforen, sondern auch über prangerartige Webseiten regelmäßig diffamiert.

    "Ich wurde also namentlich erwähnt von einer Person, die dann Geschichten schrieb, ich wäre Anführer einer paramilitärischen Terrororganisation namens "Judgementteam", die es sich zum Ziel gemacht hätte, Menschen zu verfolgen, vornehmlich Juden oder Ausländer."

    Hans-Jürgen L. ist ein absolut biederer Bürger und weder ein Terrorist, noch geht er auf Juden los, noch feindet er Ausländer an. Das ist dem Stalker völlig egal. Der Stalker fährt gerne Hunderte von Kilometern quer durch Deutschland: nicht nur, um diesem Mann aufzulauern. Es gibt inzwischen eine lange Liste von Betroffenen, die sich sogar mit Strafanzeigen zur Wehr setzten. Aber die Verfahren werden in der Regel eingestellt, es bestünde kein öffentliches Interesse. Stephan Rusch:

    "Ich glaube, da hat der Gesetzgeber auch erheblichen Nachholbedarf, weil es einfach nicht sein kann, dass sich Menschen völlig anonym auf bestimmten Datenautobahnen bewegen, ohne hier behelligt werden zu können, nur weil der Gesetzgeber vielleicht selber gar nicht weiß, wie man mit diesem ganzen Medium umgehen soll."

    Mit fatalen Folgen. Das Internet sei eben ein rechtsfreier Raum, mit dem sich die Justiz nur ungern beschäftigen würde - eine Auffassung, die gerade in den Newsgroups gerne vertreten wird. Diese zumindest scheinbare Schwäche der Justiz lässt sich ausnutzen. Die ganze Familie des Hans-Jürgen L. findet sich längst auf den Webseiten des Dietzenbacher Stalkers.

    "Da hieß es dann, mein Sohn hätte mit Rauschgift zu tun, wäre zu, was weiß ich, zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt worden."

    Der Sohn befand sich übrigens gerade auf Lehrstellensuche. Das wollte ihm der Stalker gründlich vermasseln. Zwar ohne Erfolg, aber öffentliche Diffamierungen sind ohnehin nur ein Vorspiel des Stalkers, der sich immer wieder auf seine Opfer fixiert. Stephan Rusch kennt die möglichen Konsequenzen:

    "Also, wer meint, nur weil es alles anonym sei, und sei alles nur im virtuellen Raum, sollte man nicht vergessen, dass die Täter schon das Ziel haben, sehr direkt an die Opfer heranzukommen. Und so kann aus dieser virtuellen Verfolgung sehr, sehr schnell eine doch sehr gegenwärtige körperliche werden."

    Auch der Stalker aus Dietzenbach hielt sich schon in der unmittelbaren Nähe der Wohnung der Familie seines Opfers auf, schoss dort Fotos und veröffentlichte diese im Internet. Außerdem präsentierte der Stalker per Website die Tochter seines Opfers als Prostituierte.

    "Bei dieser Gangbangmaus soll es sich um meine Tochter handeln. Es wurde also von diesem Mann eine Seite beworben, auf der angeblich meine Tochter ihre Dienste anbietet, sagen wir mal so."

    Natürlich mit ihrer Telefonnummer. Zwar gelang es der bedrängten Familie, die Seite wieder aus dem Netz zu bekommen, aber strafrechtliche Konsequenzen hatte die Attacke nicht. Dabei müssen solche Verfahren keinesfalls eingestellt werden, und es braucht hier auch keinen speziellen Stalkingparagraphen im Strafgesetzbuch, der möglicherweise schon in paar Monaten beschlossenes Gesetz ist, obwohl dies vieles leichter macht. Noch einmal Stephan Rusch:

    "Wir wissen ja, dass ein ganzes Konglomerat an Straftaten von diesen Leuten begangen wird. Wenn man jedes einzelne Delikt nur betrachten würde, dann hätten wir im Zweifel immer nur sehr, sehr geringe Strafandrohungen. In Bremen läuft es ganz, ganz anders. Die Staatsanwaltschaft in Bremen guckt schon sehr danach, welche Straftatbestände sind insgesamt erfüllt worden. Und danach wird dann auch eine Gesamtstrafe gebildet. Die Staatsanwaltschaft spricht sehr, sehr heftige Geldstrafen aus, oder mitunter auch Freiheitsstrafen."