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Terror-Risiko Smart Citys
Wenn nichts mehr sicher ist

Terroristen können Kraftwerke hacken, Autos und Bahnen lahmlegen, Ampelanlagen und Telefonnetze manipulieren – heute schon. Zukünftig werde das Risiko digitaler Angriffe aber drastisch wachsen, schreibt Florian Rötzer in "Smart Cities im Cyberwar". Die zu Megacitys verschmelzenden Städte böten Angriffsflächen von ungeahntem Ausmaß.

Von Mirko Smiljanic | 31.08.2015
    Zahlreiche Menschen strömen durch eine Einkaufsstraße in Myeongdong
    Einkaufsstraße in Myeongdong (Innenstadt von Seoul): Mit den vernetzten Megacities wachsen auch die Gefahren von Cyberattacken. (dpa / picture alliance / Daniel Kalker)
    Black out! Das Stromnetz kollabiert! Ausfallende Energie- und Kommunikationsnetze sind Horrorszenarien für Sicherheitspolitiker – und für die betroffenen Bürger natürlich auch. Glücklicherweise treten sie selten ein. Doch das kann sich ändern, schreibt Florian Rötzer in seinem Buch "Smart Cities im Cyberwar". Und Stromausfälle seien keineswegs das einzige Problem. Schadsoftware könne die Kühlung von Atomkraftwerken unterbrechen oder die Überwachungssysteme auf Intensivstationen kapern; der E-Mailverkehr ließe sich lahmlegen; Flugzeuge müssten am Boden bleiben, weil die Funknetze streiken, und so weiter. Einzeln mögen diese Probleme beherrschbar sein, vor dem Hintergrund ständig wachsender Städte sind sie es nicht mehr.
    "Dort werden die Netze verdichtet, werden immer mehr Geräte zugeschaltet, werden die Prozesse immer komplexer und von daher unübersichtlicher. Von daher kann es dort, wenn ein kleiner Teil mal ausfällt, ob es jetzt gehackt wird oder eine Panne ist, zu einem Lawineneffekt führen, der dann großflächig alles lahmlegt. Das ist natürlich eine Dimension, die wir so noch nicht gehabt haben."
    In 22 Kapiteln und einem Glossar inklusive ausführlicher Quellennachweise beschreibt Florian Rötzer, wo und warum "Smart Cities" – also hochvernetzte, große Metropolen – so verletzlich sind. Im ersten Drittel des Buches beschäftigt den Chefredakteur des Online-Magazins "Telepolis" zunächst das Verhältnis von "realer" und "virtueller" Stadt. Ein fast vergessener Diskurs aus den Anfängen des Internetzeitalters, als Visionäre prognostizierten, der dreidimensionale Raum spiele in der "Cybercity" keine Rolle mehr, weil ihre "Bewohner" über das Netz von überall auf alles zugreifen könnten. Das können sie heute tatsächlich, der Metropole mit ihren Gebäuden und Plätzen hat das aber keinen Abbruch getan.
    "Wir sprechen ja von einer 'Renaissance der Städte', wobei man natürlich vorsichtig sein muss, es gibt Städte, die sehr stark wachsen, und es gibt Städte, wir wissen das aus dem Osten Deutschlands oder aus dem Ruhrgebiet, die einen Schrumpfungsprozess haben, aber dieser Prozess, dass die Städte, vor allem die Universitätsstädte, weiter wachsen und die Jugend anziehen, ist etwas, was wir damals nicht wirklich vorhersehen konnten."
    Arbeiten im Netz, Wohnort und Lebenserwartung, Mobilität in Metropolen, Segregation der Generationen, das Sterben der Innenstädte – klassische stadtsoziologische Themen handelt Rötzer aus der Perspektive totaler Digitalisierung ab. Manche Schlussfolgerungen lassen sich heute mehr erahnen als beobachten, Teil der gesellschaftspolitischen Diskussion sind sie aber allemal. Die Innenstädte stürben aus, schreibt er, immer mehr Kunden bestellten Waren im Internet.
    Beispiele für Cyberwar
    "In der 24/7-Gesellschaft, in der alles möglichst sofort zur Verfügung stehen soll, (...) haben auch die großen Geschäfte einen Nachteil, weil ihr Warenangebot räumlich bedingt immer beschränkt sein muss und mehr und mehr Menschen direkt online einkaufen gehen, um sich die Waren ins Haus liefern zu lassen. Versandhändler wie Amazon können ihre riesigen Verteil- oder Logistikzentren auf billigem Grund mit gutem Anschluss an Autobahn und Flughafen bauen oder relativ günstig mieten, während Geschäfte in Innenstadtbereichen mit hohen Immobilienpreisen konfrontiert und schon deswegen im Nachteil sind."
    Nun sind solche Konflikte harmlos im Vergleich zum gefürchteten "Cyberwar", also gezielten Angriffen auf Computernetze und Infrastruktur von Metropolen. Wie rasch solche Angriffe eskalieren können, zeigte dieses Beispiel.
    "Bei einem Angriff auf die Computersysteme von Sony Pictures Ende November 2014, der vermutlich als Reaktion auf die Filmkomödie "The Interview" ausgeführt wurde (...) wurden konzerneigene Daten geklaut und gelöscht, und das Computersystem des Konzerns zeitweise lahmgelegt. Die US-Regierung beschuldigte Nordkorea des Angriffs und belegte das Land schließlich mit Sanktionen. Anschließend brach in Nordkorea das Internet vorübergehend komplett zusammen. Den Internet-Blackout will eine Hackergruppe verursacht haben, die sich als Cyberterroristen bezeichnen, aber möglichweise ging der Angriff auch von der US-Regierung selbst aus. Manche sprachen bereits vom Beginn eines Cyberwar."
    Angriffe auf Computernetze zählen in Deutschland mittlerweile zum Alltag. 3.000 Hacks wehren alleine die Computernetze des Bundes ab – pro Tag! Eine Handvoll davon gehe von russischen oder chinesischen Geheimdiensten aus, so Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Würde tatsächlich die gesamte Infrastruktur einer Stadt digital gekapert, helfe nur eines: Die Metropole müsse von außen zurückerobert werden.
    "Die neue Strategie ist eigentlich die, dass man versuchen will, Städte ganz in den Griff zu bekommen, alle Kommunikationswege kontrollieren zu können und von daher die einzelnen Widerstandsnester ausheben zu können. Das ist eine Idee, eine Vorstellung, die erst am Wachsen ist, aber darauf hinweist, dass Städte, die 'Smart Cities' sind, am gefährdetsten sind, weil dort die Überwachung am besten funktioniert."
    Technisch – also durch bessere Hard- und Software – lässt sich das Problem auf breiter Basis nicht lösen, kaum jemand hat die Ressourcen und finanziellen Mittel, alle Systeme gegen Eingriffe von außen zu schützen.
    "Ein mit der Architektur des Internets zusammenhängendes Problem ist, dass Cyber-Angriffe nicht oder nur sehr schwer zurückverfolgbar sind, und vor allem, dass auch kleine Gruppen oder Einzelne immense Schäden anrichten können. Es braucht kein hochgerüstetes Militär mit Massenheeren und (auffälligen sowie teuren) schweren Waffen mehr, um einen Cyberwar zu führen."
    "Smart Cities im Cyberwar" hebt die Diskussion über die allgegenwärtige Verletzlichkeit digitaler Systeme auf eine neue Ebene. Vom martialischen Titel sollte sich niemand stören lassen: Das Buch ist keine Kampfschrift, sondern ein sauber geführter Diskurs der Bedrohungslagen moderner Städte. Unbedingt lesen!
    Florian Rötzer: "Smart Cities im Cyberwar". Westend Verlag; 256 Seiten, 14,99.