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Terror und Salafismus
"Die Bedrohung hat sich verstärkt"

Die steigende Bedrohung durch salafistische Dschihadisten sei eng mit dem Syrien-Krieg verbunden. Das sagte der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik, Joachim Krause, im DLF. Er forderte zudem eine schnelle Einführung der Vorratsdatenspeicherung.

Joachim Krause im Gespräch mit Martin Zagatta | 16.01.2015
    Sondereinsatzkommando bei einer Durchsuchung in Berlin
    Sondereinsatzkommando bei einer Durchsuchung in Berlin (Paul Zinken/dpa)
    Martin Zagatta: Einen Großeinsatz gegen Terrorverdächtige hat es heute Morgen in Berlin gegeben. Dabei sind offenbar zwei Männer festgenommen worden, die mit anderen verdächtigt werden, Gewalttaten in Syrien vorbereitet zu haben. So jedenfalls hieß es in ersten Informationen. Mitgehört hat Professor Joachim Krause. Er ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel und ausgewiesener Terrorismusexperte. Unter anderem ist er der Herausgeber des "Jahrbuch Terrorismus", das sich mit internationalem Terrorismus auch insbesondere beschäftigt. Guten Tag, Herr Krause.
    Joachim Krause: Ja, guten Tag!
    Zagatta: Herr Krause, Anti-Terror-Aktionen in Belgien, in Deutschland gibt es jetzt Verhaftungen, wir hören gerade von unseren Korrespondentinnen, dass es da keinen Zusammenhang geben soll. Wie schätzen Sie das ein? Bereiten Dschihadisten da jetzt eine Welle von Angriffen vor, oder nehmen Sicherheitsbehörden jetzt die Morde von Paris vielleicht auch zum Anlass, jetzt ganz besonders stark oder stärker gegen Verdächtige vorzugehen?
    Krause: Nein. Der Hintergrund ist eigentlich der, dass sich in den letzten drei Jahren - und das hängt eng mit dem Syrien-Krieg zusammen - die Bedrohung durch salafistische Dschihadisten bei uns auch verstärkt hat. Dieser Krieg hat eine enorme Mobilisierungswirkung auf radikale Islamisten gehabt und er hat viele Leute auch zur Radikalisierung gebracht, und das sind häufig Leute, die in kleinen Netzwerken arbeiten, die aber den Kontakt suchen zum Islamischen Staat oder zu Al Kaida und von dort auch eine zusätzliche Radikalisierung erhalten und auch oftmals Anleitungen, hier oder dort einen Anschlag zu machen. Der Anschlag gegen „Charlie Hebdo" war offensichtlich von Al-Kaida im Jemen angeordnet oder zumindest angeregt worden.
    Die Zahl dieser Leute - das sind ja meistens junge Männer, meist mit einem Migrationshintergrund, nicht unbedingt immer Leute mit einem muslimischen Hintergrund; das ist auch interessant. Aber die werden von dieser gewaltsamen salafistischen Ideologie eingefangen und sie werden radikalisiert und sind bereit, große Gewalttaten zu machen. Und die Zahl dieser Männer ist bedeutend gestiegen in den letzten drei Jahren.
    Diese Art von Terrorismus ist "ein Abfallprodukt des Bürgerkrieges in Syrien"
    Zagatta: Und dass sich das jetzt so häuft innerhalb von wenigen Tagen, die Anschläge von Paris, jetzt diese Vorfälle gestern mit Toten in Belgien, Verhaftungen in Deutschland ja nicht nur in Berlin - wir haben es gehört aus Dinslaken, in Wolfsburg soll eine Zelle ausgehoben worden sein -, ist das jetzt reiner Zufall?
    Krause: Nein, das ist kein Zufall. Es zeigt, dass diese Bedrohung durch diese Art von Terrorismus - man nannte das auch 'homegrown terrorism', aber das ist ein bisschen irreführend, weil es ist letztendlich doch ein Abfallprodukt des Bürgerkrieges in Syrien und im Übrigen auch des Bürgerkrieges in Tschetschenien -, diese Sachen, die werden einfach größer von der Dimension her. Und der Anschlag auf 'Charlie Hebdo' hat natürlich die Problematik bei vielen Sicherheitsbehörden sehr deutlich werden lassen und hat dazu geführt, dass man in einigen Fällen, in denen man einige Leute sehr genau beobachtet hat, jetzt zugeschlagen hat, auch um zu verhindern, dass noch mal etwas Vergleichbares passiert.
    Zagatta: Von Experten haben wir jetzt in den letzten Tagen auch gerade nach den Anschlägen in Frankreich sehr Unterschiedliches gehört. Da hatte man größte Befürchtungen für Deutschland, weil es zum einen hieß, der Sicherheitsapparat in Frankreich sei viel besser aufgestellt als in Deutschland. Umgekehrt vertreten andere Experten genau die gegenteilige Meinung. Wie sehen Sie das? Sind wir in Deutschland gut aufgestellt?
    Krause: Ich denke mal, wir sind nicht besser und nicht schlechter aufgestellt als in Frankreich. Ich halte diese schnellen Vergleiche immer für sehr problematisch. Aber in allen Sicherheitsdiensten gibt es auch Probleme. Es werden auch Fehler gemacht, es werden Dinge übersehen. Ich würde das nicht so generalisieren.
    Wir sind eigentlich in den letzten Jahren ganz gut aufgestellt gewesen. Aber wie gesagt, die Dimension, allein die quantitative Dimension hat eine Größenordnung erreicht, wo man befürchten muss, dass das, was unsere Sicherheitsdienste leisten können, einfach nicht mehr zu leisten ist.
    "Nicht immer alle Muslime mit in die Verantwortung ziehen"
    Zagatta: Wie kommt es dann bei Ihnen an, wenn wir jetzt aus der deutschen Politik hören, etwa von dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, von Herrn Oppermann, die Sicherheitsdienste sollten jetzt, wenn nötig, alle Syrien-Rückkehrer 24 Stunden am Tag überwachen?
    Krause: Wie das möglich sein soll, das kann ich mir nicht vorstellen. Dazu müssten wir dann sehr viele Leute einstellen und die erst mal ausbilden. Das geht gar nicht. Das ist ja das Problem. Wir können vom Rechtsstaat nur Leute verurteilen, denen man nachweisen kann, dass sie zu Al-Kaida oder zu IS gehören oder für die tätig sind. Dann ist das im Sinne des Strafgesetzbuches strafbar. Und alle anderen Verdächtigen können wir nur beobachten. Aber wir haben inzwischen, wenn wir es mal genau nehmen, über tausend Verdächtige in Deutschland. Die Zahl ist nach oben hin offen. Und es wird sehr schwierig sein, tausend Leute 24 Stunden lang zu beobachten. Da liegen ja die Probleme, dass die Sicherheitsbehörden hier an die Grenzen ihrer Kapazitäten geraten, und das kann man nicht einfach durch solche Forderungen auflösen. Und man kann auch nicht einfach tausend Stellen mehr schaffen für die Sicherheitsdienste. Die Leute müssen auch erst mal ausgebildet werden.
    Zagatta: Aus Ihrer Sicht, haben denn die Vertreter der Polizei oder Vertreter der Kriminalpolizei, die bei uns im Programm oder überall in den Medien im Moment die Befürchtung äußern, sie würden von der Politik nahezu im Stich gelassen, haben die recht aus Ihrer Sicht?
    Krause: Ja, das kann man, kann ich nachvollziehen, weil in der Politik wird ja meistens über ganz andere Dinge geredet. In der Politik wird geredet darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Das ist philosophisch gesehen sehr interessant, aber es geht hier um eine ganz, ganz spezifische radikale Auslegung des Islam, und da sollte man nicht immer alle Muslime gleich mit in die Verantwortung ziehen. Oder es wird darüber geredet, wie schlimm die Vorratsdatenspeicherung sei, obwohl das Bundesverfassungsgericht eigentlich sehr genau gezeigt hat, was man da machen kann und was man nicht machen darf. Die politischen Diskussionen bewegen sich meines Erachtens zum Teil in einer Sphäre, die ich nicht mehr nachvollziehen kann.
    "Probleme, die es bei der Integration von Ausländern gibt, werden von uns tabuisiert"
    Zagatta: Was wäre aus Ihrer Sicht nötig? Ich höre bei Ihnen jetzt heraus, Sie wären dafür, die Vorratsdatenspeicherung so schnell wie möglich einzuführen, verfassungsgemäß.
    Krause: Ja! In einer Art und Weise, wie sie vom Grundgesetz für verfassungswidrig gehalten wird. Und was tut die Bundesregierung? Sie versteckt sich jetzt hinter der Europäischen Kommission und sagt, wir warten erst, bis die Kommission einen Vorschlag macht, und dann tun wir was. Das ist wieder eine unendliche Hinausschiebung einer Problematik, die wir uns eigentlich nicht leisten können, denn die Vorratsdatenspeicherung, wenn sie verfassungsgemäß gemacht wird, kann dazu führen, dass Netzwerke aufgeklärt werden, und das ist ganz wesentlich, weil es hier immer Netzwerke gibt bei diesen Terroristen oder bei diesen Terrorverdächtigen.
    Was wir auch noch brauchen ist natürlich eine Verstärkung der Bundesbehörden und der Landesbehörden, die sich mit der Terrorbekämpfung befassen. Und was wir noch viel wichtiger brauchen ist, dass wir endlich diese salafistischen Milieus, die es bei uns gibt, in, ich sage mal, irgendwelchen Nebenmoschees oder um bestimmte Hassprediger herum oder in bestimmten Orten - Verviers' gibt es in Deutschland nämlich auch sehr viele -, dass wir diese Dinge angehen und dass wir dahinter stehenden Probleme, die hauptsächlich Probleme von Migranten sind, die hier nicht richtig integriert werden können oder nicht integriert werden wollen, dass wir diese Probleme stärker angehen. Aber das ist auch so ein Bereich, wo die Politik immer nur darüber redet, wie schön es eigentlich ist, dass wir Ausländer haben, aber nicht über die Probleme redet. Die Probleme, die es bei der Integration von Ausländern gibt, werden von uns eigentlich eher tabuisiert.
    Zagatta: Professor Joachim Krause, der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Herr Krause, danke schön für das Gespräch.
    Krause: Ja, gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.