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Terror-Vorbeugung
"Frankreich hat zu spät auf präventive Maßnahmen gesetzt"

Aus Sicht der Grünen-Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner hat Frankreich zu lange auf repressive Maßnahmen im Kampf gegen Terroristen gesetzt. Man hätte viele Menschen in der Jugend oder Kindheit schon abholen müssen mit präventiven Maßnahmen, um eine Radikalisierung zu verhindern, sagte sie im DLF.

Franziska Brantner im Gespräch mit Christiane Kaess | 14.06.2016
    Franziska Brantner von der Bundestagsfraktion der Grünen
    Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner erwartet in Frankreich eine neue Debatte über den Umgang mit Radikalisierten. (imago stock & people)
    "Ich glaube, dass Frankreich zu spät angefangen hat, auf präventive Maßnahmen zu setzen", sagte Brantner, die Mitglied der deutsch-französischen Parlamentariergruppe ist. Abschreckungsmaßnahmen - wie Gefängnisstrafen - seien nicht die richtige Antwort auf Radikalisierung.
    Brantner erwartet nun eine Debatte in Frankreich darüber, wie verhindert werden kann, dass Menschen zu islamistischen Attentätern werden oder wie sie wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden können. Auch nach dem jüngsten, tödlichen Angriff bei Paris auf einen Polizisten und dessen Frau werde sich die französische Regierung in der Debatte wieder viele Fragen stellen lassen müssen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es sollte eine sorglose EM werden in Frankreich. Aber zu den Gewaltexzessen der Hooligans an den vergangenen Tagen erreichte uns in der Nacht die Meldung, dass ein Mann einen Polizisten in der Nähe von Paris getötet hat. Auch dessen Lebensgefährtin, ebenfalls eine Polizistin, wurde tot aufgefunden. Der Täter soll sich zur Terrormiliz Islamischer Staat bekannt haben.
    Am Telefon ist jetzt Franziska Brantner von den Grünen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen, Frau Brantner.
    Franziska Brantner: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: So schlimm das klingt, gehört Terror in Frankreich mittlerweile zum Alltag?
    "Und dann kommt es doch schneller als gedacht"
    Brantner: Ja, es ist schlimm. Und was auf jeden Fall zum Alltag in Frankreich gehört ist die Angst vor dem Terror, und die ist, glaube ich, wirklich einfach jetzt immer präsent. Manchmal gibt es wieder Phasen, wo die Hoffnung da ist, vielleicht kommt doch nicht so schnell wieder das nächste Attentat, und dann kommt es doch schneller als gedacht. Von daher: Zu einem gewissen Grad, glaube ich, in den Alltag, in die Angst ist es auf jeden Fall von allen eingeschlichen.
    Kaess: Was läuft da falsch, Frau Brantner? Was macht vor allem die Politik falsch?
    Brantner: Was macht die Politik falsch? - Schwierige Frage, wie man gegen Radikalisierung vorgeht. Ich glaube, dass Frankreich auch zu spät angefangen hat, auf präventive Maßnahmen zu setzen, lange Zeit auf repressive Maßnahmen gesetzt hat, auf Gefängnisse, auf Abhören, und man viele wahrscheinlich früher hätte abholen müssen, in ihrer Jugend, in ihrer Kindheit wahrscheinlich schon, und dass Frankreich jetzt erst anfängt, auch stärker präventiv zu handeln, Deradikalisierung einzuführen. Das ist, glaube ich, richtig. Man kann nur hoffen, dass es irgendwie auch schnell wirkt. Andererseits: In dem internationalen Kontext weiß man auch nie, was übers Internet passiert, wie weit überhaupt das abschätzbar ist, wer sich radikalisiert. Zu einem gewissen Grad, glaube ich, wird man auch nie alles verhindern können.
    Kaess: Frau Brantner, wir müssen im Moment noch ein bisschen vorsichtig sein mit den Fakten zu diesem Fall. Aber nach allem, was wir bisher wissen, handelt es sich bei dem Täter um einen gebürtigen Franzosen, offenbar ohne Migrationshintergrund. Was bedeutet das denn für die politische Diskussion, die sich ja bisher sehr auf junge Migranten fokussiert hat?
    "Das sich komplett ausgeschlossen fühlen in der Gesellschaft"
    Brantner: Das zeigt ganz klar, dass es nicht nur eine Frage der Migration ist, auch nicht eine Frage der Religion oder Religionszugehörigkeit, sondern dieses sich komplett ausgeschlossen fühlen auch in der Gesellschaft, nicht dazugehörig zu sein, so einen starken Hass auch auf die Gesellschaft, dass man bereit ist, dann zu Waffen zu greifen und sich zu radikalisieren. Wir haben jetzt heute Morgen auch gehört, dass der Täter schon mal verurteilt wurde aufgrund von terroristischen Taten. Das ist natürlich noch mal sehr hart jetzt in Frankreich, dass man das Gefühl hat, man kannte ihn schon, er war sogar schon verurteilt, und das stellt natürlich diese Frage in den Raum, was macht man denn mit diesen Menschen, wenn sie einmal so radikalisiert sind. Wie schafft man die Deradikalisierung und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft? Ich glaube, da stehen alle Europäer noch am Anfang und fragen sich, wie gehen wir damit um, was sind gute Wege. Man weiß, dass das Gefängnis de facto die Menschen meistens eher noch weiter radikalisiert, statt sie zu integrieren in die Gesellschaft. Was ist der richtige Umgang? - Ich glaube, das sind die Fragen, die sich gerade viele Franzosen stellen: Was macht man. Es gab das Projekt, dass man diesen Menschen die französische Staatsbürgerschaft entziehen wollte. Das wurde ja geblockt im Senat, das wurde ja gestoppt. Diese Debatte wird jetzt sicher wieder aufflammen im Sinne von was macht man. Es war ja auch vorgesehen, dass die Franzosen, die keine zweite Staatsbürgerschaft haben, entlassen werden könnten aus der französischen Staatsbürgerschaft, gerade weil man gesagt hat, das ist nicht nur eine Migrationsfrage. Aber andererseits war es ja auch richtig zu sagen, was passiert dann mit den Menschen, die keine Staatsbürgerschaft mehr haben, das ist völkerrechtlich überhaupt nicht akzeptabel. Aber ich bin mir sicher, der Front National wird diese Fragen wieder nach vorne bringen, und das zu einer Zeit, wo Frankreich eh gerade in einer großen Krise ist mit den Demonstrationen. Für heute ist eine Großdemo angekündigt gewesen gegen das Arbeitsgesetz. Also weiter Destabilisierung, wie ich das gerade eher sehe.
    Kaess: In dem, was Sie angesprochen haben, Frau Brantner, dass manchmal die Täter vorher doch schon den Sicherheitsbehörden bekannt waren, in diesem Zusammenhang gab es ja viel Kritik an den französischen Behörden. Würden Sie von Versagen sprechen?
    "Es ist auch eine Herausforderung für die Gesellschaft"
    Brantner: Auf jeden Fall wird sich die französische Regierung auch wieder viele Fragen stellen lassen müssen im Sinne von, welche Maßnahmen wurden ergriffen, um diesen jungen Menschen dann auch den Wiedereinstieg in die Gesellschaft zu ermöglichen. Ich hoffe, dass auch solche Fragen gestellt werden, und nicht nur, warum wurde ihm nicht die Staatsbürgerschaft weggenommen, warum ist er jetzt nicht noch Jahre, jahrzehntelang im Gefängnis. Bestimmt von beiden Seiten wird es diese Debatte geben und Fragen an die Regierung, und die sind ja auch berechtigt, wenn man weiß, es gibt diese Informationen, der war verurteilt, und dann kann es trotzdem sein, dass wieder solche Attentate passieren. Aber wie gesagt, zu einem gewissen Grad, glaube ich, kann ja auch nicht die Antwort immer nur sein, alle dann für immer und ewig einzusperren oder des Landes zu verweisen. Am Ende ist es auch eine Herausforderung für die eigene Gesellschaft.
    Kaess: Franziska Brantner von den Grünen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der deutsch-französischen Parlamentariergruppe. Frau Brantner, vielen Dank, dass Sie so kurzfristig Zeit für uns hatten heute Morgen.
    Brantner: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.