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Terroranschlag Breitscheidplatz
Neuer Untersuchungsausschuss auf Bundesebene im Fall Anis Amri

Zwei Ausschüsse gibt es bereits im Fall Anis Amri auf Landesebene - in NRW sowie in Berlin. Nun kommt ein dritter im Bundestag hinzu. 60 Aktenordner liegen bereits vor. Doch es braucht weit mehr als nur massig Dokumente. FDP-Politiker Marcel Luthe fordert Vernetzung und Austausch der drei Ausschüsse.

Von Claudia van Laak | 01.03.2018
    Ein Polizeifahrzeug steht am 14.12.2017 an einem Eingang zum Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin. Am 19. Dezember 2016 war der islamistische Attentäter Anis Amri mit einem gestohlenen Laster in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast. Bei dem bislang schwersten islamistischen Anschlag in Deutschland waren zwölf Menschen getötet und annähernd 100 Menschen verletzt worden. Foto: Stefan Jaitner/dpa/dpa-Zentralbild | Verwendung weltweit
    Bei dem bislang schwersten islamistischen Anschlag in Deutschland waren zwölf Menschen getötet und annähernd 100 Menschen verletzt worden. (dpa-Zentralbild)
    "Dann möchte ich Sie alle ganz herzlich begrüßen, Untersuchungsausschuss Terroranschlag Breitscheidplatz"
    So klingt es alle zwei Wochen freitags im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der CDU-Abgeordnete Burkard Dregger leitet die Sitzung. Mehr als 20 Zeugen wurden bislang geladen, zum Beispiel der frühere CDU-Innenstaatsekretär, der sich kurz vorher krank meldete und nicht erschien, allerdings zwei Tage später den Berlin-Marathon mitlief. Andere können sich nicht mehr richtig erinnern, wieder andere Zeugen widersprechen sich – der Ausschussvorsitzende Burkard Dregger.
    "Also wir haben in der Tat jetzt schon in zwei Sitzungen Zeugen aus NRW und Berlin gehabt, die sich nicht deckend geäußert haben. Und es gab wohl auch in der Zusammenarbeit erhebliche Schwierigkeiten, es gab auch erhebliche Kritik. Und da sind die Wahrnehmungen schon höchst unterschiedlich, das muss man sagen."
    Nur ungenügend oder gar nicht ausgetauscht
    So haben die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden den Attentäter vom Breitscheidplatz Anis Amri als weitaus gefährlicher eingeschätzt als ihre Kollegen in Berlin. Eines ist schon jetzt klar: Die vielen Behörden, die Amri in ihren Akten hatten, haben ihre Erkenntnisse nur ungenügend oder gar nicht ausgetauscht.
    "Als man zum Beispiel versucht hat seitens der nordrhein-westfälischen Behörden, den Amri abzuschieben, hat man nicht gewusst, dass die für die Abschiebung erforderlichen Handflächenabdrücke vorhanden waren. Die lagen nämlich in Freiburg vor, bei seiner Ersteinreise im Jahr 2015."
    Im Berliner LKA lief ebenfalls einiges schief. Die Anti-Terror-Fahnder seien seit Langem überlastet gewesen, so die Staatsschutzchefin im Landeskriminalamt vor dem Untersuchungsausschuss. Nach Medienberichten musste das LKA allerdings zugeben, dass der Chef des Islamismus-Dezernats diverse genehmigte Nebenjobs hatte.
    In Nordrhein-Westfalen läuft ebenfalls ein Untersuchungsausschuss – er will unter anderem die brisante Frage klären, ob ein V-Mann des Düsseldorfer Landeskriminalamtes Amri in dessen Radikalität bestärkt und möglicherweise zum Terroranschlag am Breitscheidplatz angestachelt hat.
    60 Aktenordner liegen bislang den Berliner Ausschussmitgliedern vor
    Zwei Ausschüsse auf Landesebene, ein dritter ab heute im Bundestag. Alle drei sind notwendig, sagt der Berliner FDP-Politiker und Innenexperte Marcel Luthe.
    "Sie haben letztendlich unterschiedliche Kontrollrechte bei den Landesparlamenten und im Bundestag. Sie haben zum Beispiel als Berliner Abgeordneter wenige Möglichkeiten, Auskünfte der nordrhein-westfälischen Behörden zu bekommen. Und auch der Bundestag kann auch nicht unmittelbar Auskünfte der nordrhein-westfälischen Polizei verlangen, sondern ist immer auf die Kooperation der Länder angewiesen. So ist das nun mal im Föderalismus. Und deswegen brauchen wir im Prinzip alle drei Ausschüsse, die sich aber idealerweise miteinander vernetzen und abstimmen."
    60 Aktenordner liegen bislang den Berliner Ausschussmitgliedern vor. Da gilt es, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, bei der Fülle des Materials den Überblick zu behalten und den Zeuginnen und Zeugen die richtigen Fragen zu stellen. FDP-Innenpolitiker Luthe reicht das vorliegende Material allerdings nicht aus, wichtige Erkenntnisse würden dem Berliner Ausschuss vorenthalten.
    Verweigerte Auskünfte
    "Wir scheitern im Wesentlichen bei der Sachverhaltsaufklärung daran, dass durch das Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts die anderen Einheiten, beispielsweise die Berliner Polizei sich auf sein Ermittlungsverfahren beziehen und daraufhin Auskünfte verweigern."
    Der Auftrag der Untersuchungsausschüsse endet nicht mit dem Tag des Anschlags, dem 19. Dezember 2016. So wird sich die Berliner Polizei fragen lassen müssen, warum sie eine sofortige Fahndung nach dem oder den Tätern unterließ – der bewaffnete Attentäter Amri konnte sich unbemerkt in einen Bus setzen und nach Italien reisen, wo er wenige Tage später erschossen wurde. Ein noch unveröffentlichter interner Untersuchungsbericht wirft den Einsatzkräften der Berliner Polizei zudem Führungsversagen vor. Zitat: "Die Kräfte am Anschlagsort handelten weitgehend intuitiv".