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Terrorgefahr und Polizeiseelsorge
Wo bleibt die moralische Infrastruktur?

Auch Streifenpolizisten werden darauf vorbereitet, gegen Terroristen vorzugehen. Doch was machen die Konzepte zur inneren Sicherheit mit dem Innenleben? Polizeipfarrer Werner Schiewek findet: Mehr Personal und eine bessere Ausrüstung reichen nicht. Man muss auch über Moral reden.

Von Gerwald Herter | 12.02.2018
    Einheiten der KSB, der BFE+ und der GSG9 führen am 25.09.2017 auf dem Bahnhof Lichtenberg in Berlin eine Übung durch. Die Einsatzkräfte wurden mit Anschlagsszenario konfrontiert, bei dem bewaffnete Attentäter mit Schnellfeuergewehren und Explosionsmitteln Reisende, Benutzer der Bahnanlagen und Sicherheitskräfte angreifen.
    Einheiten der KSB, der BFE+ und der GSG9 führen am 25.09.2017 auf dem Bahnhof Lichtenberg in Berlin eine Übung durch. (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Helme, die auch Geschossen standhalten, schwere Schutzwesten und Waffen mit hoher Durchschlagskraft: angesichts der Terrorgefahr werden viele Polizeieinheiten in Deutschland besser ausgerüstet und speziell trainiert. Polizistinnen und Polizisten sollen sich wirksam gegen Terroristen wehren und sie im Einsatzfall bekämpfen können. Der Schaden, den Terroristen anrichten soll möglichst gering bleiben, das ist das Ziel, also möglichst wenig Tote und Verletzte. Es geht deshalb darum, den oder die Täter am Anschlagsort "zu binden", wie es polizeitaktisch heißt. Angesichts der Brutalität mit der gerade Islamistische Terroristen vorgehen, kann das bedeuten, gezielt auf sie zu schießen, damit Schlimmeres verhindert werden kann.
    Die Terrorgefahr hält in Deutschland an. Politiker und Vertreter der Sicherheitsbehörden zweifeln nicht daran, dass auch hier weitere Anschläge stattfinden werden. Das hat viele Auswirkungen, von denen einige erst langsam in den Blick geraten und es birgt auch Gefahren.
    Angst kontaminiert
    Der evangelische Polizeipfarrer Werner Schiewek spricht immer wieder mit Polizistinnen und Polizisten, die ihm Zweifel oder Ängste anvertrauen. Er ist davon überzeugt, dass die Terrorgefahr letztlich auch unsere "moralische Infrastruktur" bedrohe:
    "Wichtige Besitzstände, was unser Freiheitsverständnis angeht, was unser polizeiliches Handeln und auch die Techniken, rechtliche Grundlagen, auch das Verhältnis der Bürger untereinander, wird möglicherweise durch die dadurch verursachte Angst kontaminiert".
    Rund einhundert evangelische und katholische Polizeipfarrer arbeiten in Deutschland, so wie Werner Schiewek. Er sagt, dass sich Polizistinnen und Polizisten aller Konfessionen an ihn wenden und auch Muslime oder Atheisten. Schiewek ist Seelsorger und damit kein Polizist, der normalerweise Streife fährt oder im Wach- und Wechseldienst tätig wäre.
    Er sieht seine Aufgabe darin, anderen Gefahren zu begegnen. Gefahren, die weniger deutlich sind, die Polizisten aber auch bedrohen. Nicht mehr nur Mitglieder von Spezial-Einheiten müssen sich inzwischen mit Einsatzlagen befassen, die früher weit entfernt schienen. "Terrorlagen" werden zunehmend vorgestellt, besprochen, geübt:
    "Man hat eine schwere Ausrüstung an, man hat eine ziemlich schlagkräftige Ausrüstung, auch was die Feuerkraft vielleicht der Waffen angeht, die man mitführt. Man macht sich Sorgen um Kollegen, man soll quasi sehr auf den Täter zugehen und versuchen den zu binden und möglichst festzunehmen oder kampfunfähig zu machen - durch welche Art auch immer. Sich diesem Druck ausgesetzt zu fühlen, möglicherweise zu scheitern, möglicherweise zu sehen: im Training werde ich verletzt, möglicherweise, wenn das ein echter Schuss gewesen wäre, auch tödlich oder anderweitig schwer verletzt. Das ist eine sehr schwere Erfahrung, vielleicht auch die eigene Begrenztheit der Möglichkeit und die Macht der Situation, so unmittelbar zu spüren."
    Neue Übungen - neue Ausrüstung
    Wenn Polizisten zum Beispiel daran zweifeln, ob sie überhaupt schießen könnten, so ist das mehr als Kriminalfilm-Klischee. Schiewek jedenfalls kennt auch diese Angst, obwohl er davon überzeugt ist, dass sie in den meisten Fällen unberechtigt sein dürfte:
    "Aber, wer genau dazu in der Lage wäre und wer auch nicht dazu in der Lage wäre, das könnte auch eine große Überraschung für die beteilige Person selbst sein. Man weiß es letztlich nicht. Man kann sich gut darauf vorbereiten, es erhöht Chancen handlungsfähig zu bleiben, aber es gibt keine letztendliche Sicherheit."
    Die scheint es für Polizistinnen und Polizisten in keiner Hinsicht zu geben. Polizeigewerkschaften drängen fast unablässig auf bessere Ausrüstung. In Nordrhein-Westfalen werden gerade neue, größere Dienstwagen erprobt. Damit sich Helme und Schutzwesten auch transportieren lassen. In Hessen, wie in anderen Bundesländern trainieren viele Polizisten den Terror-Einsatz-Fall in dreitätigen Übungen. Im Leipziger Hauptbahnhof fand im letzten Jahr eine Anti-Terror-Übung statt, an der sich auch Feuerwehrleute, Rettungsdienste und der Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn beteiligten. Auf Seiten der Polizei ging es ausdrücklich nicht um den Einsatz von Spezialeinheiten, sondern um andere Beamte, weil sie auch im realen Einsatz vermutlich früher vor Ort wären als ihre SEK-Kollegen.
    Polizeipfarrer wie Werner Schiewek kümmern sich auch um die Folgen solcher Trainings-Einsätze für einzelne Polizistinnen und Polizisten. "Täter binden", das kann auch heißen, sich zunächst nicht um Verletzte zu kümmern, obwohl sie schreiend am Boden liegen und in Lebensgefahr schweben. Es kann Ergebnis einer Übung sein, dass der Fehler eines Polizisten für einen anderen tödlich gewesen wäre.
    An Gesetze gebunden
    Viele Faktoren, die ängstlich, statt zuversichtlich machen könnten. Schieweks Vorschlag ist es deshalb, Ängste zu akzeptieren, sie aber zu entmachten:
    "Das wäre die Forderung oder das Training, worauf es ankäme, sich nicht von der Angst beherrschen zu lassen, sondern die Angst einzuhegen oder zu kontrollieren, ohne sie letztlich Wegdrücken zu können. Das wäre ein hoffnungsloses Unterfangen oder sogar kontraproduktiv. An der Stelle ist ein gewisses Maß an Angst natürlich und sogar hilfreich, glaube ich."
    Polizeipfarrer Schiewek sieht noch eine andere Gefahr für moralische Infrastrukturen: Das Gefühl der Unterlegenheit. Während für Terroristen überhaupt keine Regeln zu gelten scheinen, sind Polizistinnen und Polizisten an Gesetze gebunden. Gerade das sollte ihnen aus Schieweks Sicht aber keine Angst machen:
    "Das ist eigentlich eine Forderung an die ganze Gesellschaft. Ich hoffe, dass sie lernen kann und lernfähig, aber auch lernwillig ist, zu merken, dass sie in ihren Mitteln sich beschränken sollte, aber trotzdem nicht hilflos ist. Gerade diese Beschränkung, sie durchzuhalten und auch in Extremsituationen durchzuhalten, ist eine Stärke. Ich glaube der Terrorismus ist, sagen wir in jedenfalls Europa nicht in der Lage uns so zu bedrohen, dass wir diese Beschränkung in irgendeiner Weise fallen lassen müssten. Wir können an ihnen festhalten. Ich glaube, das ist der Gewinn unserer Gesellschaften und das ist der Verlust des Terrorismus, weil er uns das nicht wird nehmen können, so hoffe ich jedenfalls."