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Terrorismus als Kommunikationsstrategie

Der Terror braucht die Medien, denn die Tat bedarf der medialen Verbreitung, um eine Wirkung zu erzielen. Dieser These geht der Medienwissenschaftler Andreas Elter in seinem Buch "Propaganda der Tat" anhand der abgeschlossenen Ära der "Roten Armee Fraktion" nach.

Von Günter Beyer | 02.04.2008
    Wir haben es schon hundertmal erklärt, dass es bei jeder Tat, welche die modernen Revolutionäre begehen, nicht auf diese selbst, sondern auf den propagandistischen Effekt, welcher damit erzielt werden kann, ankommt. Daher predigen wir ja nicht bloß die Tat an sich, sondern eben die Propaganda der Tat.

    Bereits 1885 hat Johannes Most, ein deutscher Anarchist, dieses Bekenntnis des politischen Terrorismus formuliert. Die ungebrochene Aktualität dieser Formel beweist nun Andreas Elter, Fernsehjournalist und Hochschullehrer für Journalistik in Köln. "Propaganda der Tat" heißt sein neues Buch, in dem er Öffentlichkeit als genuines Lebenselixier des Terrorismus diskutiert. Als perfide Kommunikationsstrategie war der Terrorismus bereits während des so genannten "deutschen Herbsts" vor 30 Jahren durchaus wahrgenommen worden. So schrieb der Journalist Sepp Binder ein Jahr nach der Schleyer-Entführung in einem Buch:

    Terrorismus sucht die Öffentlichkeit. Kommunikation ist unerlässlicher Bestandteil der terroristischen Gewalttat: Der Terrorist bewirkt für sich allein nichts, die Publizität hingegen alles.

    Diese These teilt Andreas Elter und verbindet sie mit einem Rückblick auf die Entwicklung des terroristischen Mordarsenals einerseits und der Kommunikationstechnik andererseits. Feierte der Anarchist des 19. Jahrhunderts noch Dynamit als "Emanzipator (...) in der Hand der Versklavten" und setzte darauf, dass die neu erfundenen Rotationsdruckmaschinen bald über den Anschlag berichten würden, bringen heute islamistische Attentäter Flugzeuge zum Absturz und können gewiss seit, dass weltweit live berichtet wird. Terroristen wie Osama Bin-Laden denken für die Medien gleich mit.

    Ursprünglich hatte Andreas Elter, Jahrgang 1968, vorgehabt, die medialen Strategien von El Kaida, Hisbollah und Roter Armee Fraktion miteinander zu vergleichen. Davon ist er abgerückt und nimmt die inzwischen abgeschlossene Ära der RAF als verallgemeinerbares Fallbeispiel.

    "Die RAF ist für mich ein sehr schönes Beispiel dafür, wie man Kommunikationsstrategien aufbaut als terroristische Gruppe. Deswegen habe ich sie als Beispiel genommen. Bei aktiven terroristischen Gruppen, können Sie sich natürlich gut ausmalen, dass das schwieriger wird. Da kommt man nicht unbedingt an Akten ran, oder da hat man auch keine Aussagen."

    Erstaunlicherweise fand Elter auch bisher unveröffentlichtes Quellenmaterial zur RAF, namentlich beim Hamburger Institut für Sozialforschung.

    "Da gibt es zum Teil "Nachlässe", wenn man so will, Schriftwechsel, Briefe, aber zum Beispiel auch Schulungsmaterial, das intern verwendet worden ist, Korrespondenz zwischen den Verteidigern der Terroristen damals und Medienvertretern, all so etwas kann man da finden, und zum Teil ist das wirklich noch unveröffentlicht gewesen, und da habe ich dann darauf zurückgegriffen."

    Der Stuttgarter Rechtsanwalt Klaus Croissant zum Beispiel habe sich regelrecht als PR-Manager der inhaftierten RAF-Mitglieder betätigt und - durchaus erfolgreich - eine permanente Medienöffentlichkeit für Meinhof, Baader & Co. inszeniert. So hatten sich die Häftlinge - mit Croissants Hilfe - in einem Brief an den französischen Philosophen Jean Paul Sartre gewandt mit der Bitte, sie in Stammheim zu besuchen.

    "Der ist nämlich noch mal etwas ausführlicher, als er normalerweise zitiert wurde, und daraus wiederum geht hervor, dass eigentlich, wenn Sartre aufmerksam gelesen hätte, er schon herausfinden hätte können, dass die RAF natürlich auch seinen Besuch gerne medial ausschlachten wollte. Also insofern hätte er durchaus wissen können, dass die RAF "mit ihm Werbung macht", würde ich jetzt mal so salopp sagen."

    Der RAF konzediert Elter hohe "Medienkompetenz". Als ehemalige Chefredakteurin von "konkret" war Ulrike Meinhof eine bekannte Journalistin. Sie war Dozentin für Publizistik an der Freien Universität und ließ sich noch als Gefangene Bücher über Medienthemen in die Zelle bringen. Holger Meins hatte an der Berliner Film- und Fernsehakademie studiert. Aufmerksam verfolgte die Terrorgruppe medientechnische Erfindungen und verstand sie rasch für ihre Zwecke zu nutzen. Als Hanns Martin Schleyer entführt wurde, waren etwa Videokameras und -rekorder noch neu. Für Andreas Elter sind die Schleyer-Videos, die die bisher bei Entführungen üblichen Polaroid-Fotos ersetzten, ein "Quantensprung in der terroristischen Kommunikation": Der ehedem mächtige Arbeitgeberpräsident, bekleidet mit einem Unterhemd, kann im so genannten "Volksgefängnis" der RAF vorgeführt werden.

    ".. die Gelegenheit, um meiner Familie, allen Freunden und Kollegen für die Unterstützung zu danken. Ich frage mich in meiner jetzigen Situation: Muss denn wirklich noch etwas geschehen, um in Bonn eine Entscheidung zu ermöglichen?"

    Die Wirkung solcher Videos auf die Zeitgenossen blieb nicht aus. Die Bilder seien das Erschütterndste, was er je in seinem Leben gesehen habe, erklärte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Helmut Kohl. Und die "Bild"-Zeitung schrieb: "Ein Bild, bei dem man weinen möchte."

    Apropos "Bild": Wie kein anderes Blatt trug die "Bild"-Zeitung dazu bei, die "Baader-Meinhof-Bande" zu dämonisieren. Für Andreas Elter stellt sich die Beziehung zwischen RAF und Springer-Presse als eine Symbiose zu beider Nutzen dar:

    "Springer gab der RAF die Popularität, die sie haben wollte, auch wenn es eine negative war, und umgekehrt lieferte die RAF Springer immer wieder Anlass dazu, oder der "Bild"-Zeitung in dem Fall, was zu schreiben."

    Elters Buch endet mit einem Ausblick auf den Terrorismus von heute. Dank Internet können Terroristen den so genannten "Medienfilter" ausschalten: Während in den Siebzigerjahren die wenigen, öffentlich-rechtlichen Fernsehsender die Ausstrahlung eines Bekennervideos noch verhindern, zensieren oder nach politischer Opportunität verzögern konnten, finden in der globalisierten Medienwelt alle Bilder, selbst Videos von Hinrichtungen, immer einen Weg in die Öffentlichkeit.

    Das Internet, urteilt Andreas Elter, ist das ideale Medium für den Terrorismus, weil das World Wide Web den immanenten Widerspruch aufhebt, "klandestin [...] operieren und gleichzeitig öffentlich wirken" zu wollen. Für die konkrete Planung neuer Anschläge wird der erfahrene Terrorist dagegen das Internet meiden, weil die elektronischen Datenspuren für Fahnder allzu leicht lesbar wären. Die hierzulande von der Regierungskoalition betriebene Online-Durchsuchung privater Computer durch das Bundeskriminalamt zielt deshalb - so Elter - eher auf die Schaffung einer Orwellschen Ideen- und Gedankenpolizei, die das tatsächliche oder vermutete terroristische Umfeld auskundschaftet, als darauf, "tatsächliche Terroristen dingfest zu machen".

    Andreas Elter: "Propaganda der Tat. Die RAF und die Medien". Edition Suhrkamp Frankfurt am Main 2008