Dienstag, 23. April 2024

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Terrorismus, Flüchtlinge, Syrien-Krieg
"Die Türkei steht vor den Scherben ihrer Außenpolitik"

In der Türkei wird an vielen Fronten gekämpft: im Inneren gegen PKK und Gülen-Bewegung, im Äußeren gegen IS. In diese Situation habe sich das Land auch selbst manövriert, sagte Kristian Brakel, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, im DLF. Ein Problem seien die unterschiedlichen Interessen des Landes.

Kristian Brakel im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker     | 23.08.2016
    Ein Panzer fährt an der türkisch-syrischen Grenze nahe Reyhanli in der Provinz Hatay.
    Ein Panzer fährt an der türkisch-syrischen Grenze nahe Reyhanli in der Provinz Hatay. (dpa-Bildfunk / EPA / TOLGA BOZOGLU)
    Ann-Kathrin Büüsker: Über die türkisch-syrische Grenze gehen derzeit die Geschosse hin und her, aus Syrien in die Türkei und vor allem zurück. Den ganzen Morgen gingen entsprechende Meldungen hier bei uns ein. Seit gestern Abend geht das so. Die Türkei greift seit gestern Ziele im türkischen Grenzgebiet an, kurdische Ziele, aber auch Stellungen von Daesh, dem selbst ernannten Islamischen Staat. Über die türkische Außenpolitik mit Blick auf Syrien möchte ich nun mit Kristian Brakel sprechen, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Guten Tag, Herr Brakel.
    Kristian Brakel: Guten Tag.
    Büüsker: Herr Brakel, wer ist aus Sicht der Türkei das größere Problem im Norden Syriens, die Kurden oder Daesh?
    Brakel: Ganz lange war die Rhetorik in Ankara ganz eindeutig. Da hat man gesagt, die PKK ist das größere Problem. Das ist sicherlich ein Reflex, auf den man zurückfällt. Darauf hat sich das Sicherheits-Establishment in der Türkei seit vielen Jahrzehnten eingeschossen. Und jetzt langsam hat man realisiert, dass man beider Gefahren Herr werden wird, denn die Terroranschläge in der Türkei gehen ja von beiden Gruppierungen aus.
    "Es wäre möglich, auf die PKK zuzugehen"
    Büüsker: Aber die Kurden, die kämpfen ja im Norden Syriens auch gegen Daesh. Da ist es doch irgendwie kontraproduktiv, wenn die Türkei jetzt weiterhin auf die schießt.
    Brakel: Ja. Die Türkei hat das Problem, dass sie sehr unterschiedliche Interessen hat. Sie hat wie gesagt ein Terrorproblem in der Türkei, das von PKK-Gruppierungen ausgeht, der türkischen PKK, und dann aber auch von Daesh selber, und man kann das sehr schwierig zusammenbringen. Öffentlich sagen sie immer, dass sie gegen jede Form von Terrorismus sind. Das ist natürlich eine Überdeckung der Tatsachen, dass natürlich diese beiden Gruppierungen sehr viel unterscheidet und dass es zum Beispiel auch möglich wäre für die türkische Regierung, auf die PKK zuzugehen in der Türkei und dadurch eine Befriedung herbeizurufen. Etwas, was mit Daesh so natürlich nicht möglich ist.
    Büüsker: Das heißt, es gibt gar keine klar erkennbare Strategie?
    Brakel: Es gibt eine Strategie, aber es ist ein Herummanövrieren, und Sie wissen natürlich auch jetzt nach dem Putschversuch in der Türkei, in der das Militär stark umstrukturiert wird, steht die Türkei selber vor den Scherben ihrer Außenpolitik der letzten Jahre, und sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch hat man eine sehr instabile Situation und man hat sich selber auch in verschiedene Sackgassen manövriert. Denn zum Beispiel dieses Vorgehen gegen die PKK - um die wirklich zu ächten, um die wirklich auch auszuschließen vom weiteren Vordringen in Syrien, müsste man ja die Amerikaner auf seine Seite ziehen, und das ist bisher noch nicht gelungen.
    "Ein Vier-Fronten-Krieg wird der Türkei langfristig nicht gelingen"
    Büüsker: Das heißt, es wäre jetzt vielleicht ein viel besserer Schritt, auf die Kurden zuzugehen und gemeinsam mit denen zu arbeiten?
    Brakel: Ja. Es gab kurz nach dem Putschversuch die Hoffnung, dass das vielleicht geschehen könnte. Es hat auch vorsichtige Signale gegeben, zumindest vom Premierminister, nicht so sehr vom Präsidenten, der sich sehr stark festgelegt hat, dass er das nicht möchte. Allerdings hat die PKK auch wieder Fakten geschaffen, die es der türkischen Regierung nicht besonders leicht machen. Es hat in den letzten Wochen sehr schwere Anschläge gegeben, unter anderem im Südosten der Türkei vor allen Dingen, bei denen mehrere Zivilpersonen verletzt worden sind. Die PKK betont zwar, dass sie zu einem Waffenstillstand bereit wäre mit Vorleistungen der Türkei, aber das ist auf jeden Fall etwas, was nicht so einfach ist. Aber ja, möglich wäre es wahrscheinlich.
    Büüsker: Die Türkei betont ja immer wieder, dass all die Maßnahmen auch jetzt nach dem Putsch gemacht werden, um Terrorismus zu bekämpfen. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, destabilisiert sich das Land dadurch eigentlich im Grunde immer mehr. Und wird es dadurch auch anfälliger für Terrorismus?
    Brakel: Sicherlich ist es so, dass das ja auch eine Strategie ist, auf die der Islamische Staat setzt. Viele dieser Anschläge und auch der letzte Anschlag, den wir jetzt in Gaziantep gesehen haben, die richten sich ja vor allen Dingen gegen Oppositionelle und vor allen Dingen viel gegen kurdische Oppositionelle. Wir haben ja auch gehört, dass zum Beispiel diese Hochzeit wohl maßgeblich von Mitgliedern der HDP getragen wurde, der prokurdischen Partei hier. Das ist schon eine Strategie, wo man versucht, schon vorhandene ethnische und politische Spannungen auszunutzen und die weiter voranzutreiben. Das bedeutet, wenn die Türkei eine Strategie fahren würde, die stärker auf Versöhnung setzen würde, auch wenn diese wie gesagt nicht leicht ist und auch wenn die PKK einen maßgeblichen Anteil an diesem jetzigen Konflikt hat, dann würde das sicherlich zur Befriedung des Landes beitragen. Die Situation, die wir im Moment haben, einen Vier-Fronten-Krieg, das ist sicherlich nichts, was der Türkei langfristig gelingen wird.
    Abstriche bei der Haltung zu Assad
    Büüsker: Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es im Norden Syriens für die Türkei jetzt vor allem auch darum, innere Interessen durchzusetzen. Wie positioniert sich die Türkei derzeit zum syrischen Machthaber Assad?
    Brakel: Grundsätzlich ist die Haltung zum Assad-Regime immer noch die gleiche. Man ist der Ansicht, dass Assad abtreten muss. Man ist der Ansicht, dass dieser Krieg beendet werden muss und dass das Assad-Regime der Hauptgrund ist, dass dieser Krieg immer noch andauert. Ich denke, damit liegt man auch nicht falsch. Man hat aber in der türkischen Außenpolitik jetzt in den letzten zwei Monaten schon ein starkes Zurückrudern gesehen. Man besinnt sich wieder darauf, dass man außenpolitisch in erster Linie die Sicherheit der eigenen Grenzen schützen will, dass die Türkei, die ja dieses massive Flüchtlingsproblem hat hier im Land, dass man da vor einer Zerreißprobe steht. Und aus diesem Grund ist man auch bereit, Abstriche zu machen. Man hat jetzt zum ersten Mal gesagt seit fünf Jahren, dass es möglich wäre, dass Präsident Assad zumindest für eine Übergangszeit im Amt bleibt. Das ist ja etwas, worauf sich auch viele westliche Kräfte inzwischen eingelassen haben. Man ist nur noch nicht soweit zu akzeptieren, dass Assad wirklich an der Macht bleiben kann, was ja zumindest immer noch der Kurs ist, den Russland und der Iran vertreten. Man geht ganz intensiv sowohl auf die Russen zu als auch auf die Iraner. Präsident Erdogan wird diese Woche wahrscheinlich in Teheran erwartet. Aber trotzdem: Die Interessengegensätze sind immer noch sehr, sehr stark und ich bin nicht sicher, was den Türken da gelingen wird, denn die Türken sind natürlich auch abhängig von anderen, unter anderem von Saudi-Arabien. Man kann sicherlich nicht zu sehr auf den Iran zugehen, ohne die Saudis damit zu verprellen.
    Büüsker: Sagt Kristian Brakel, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Brakel.
    Brakel: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.