Donnerstag, 25. April 2024

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Terrorismusexperte vermutet El Kaida hinter Sinai-Anschlägen

Michael Köhler: Nach den Anschlägen auf die ägyptischen Urlaubsorte, bei denen über 30 israelische Urlauber zu Tode kamen und viele Menschen verletzt wurden, möchte ich nun mit dem Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler über die Struktur dieser Eskalation sprechen. Prof. Münkler ist in den letzten Jahren mit Büchern und Veröffentlichungen zur neuen Kriegsordnung im 21. Jahrhundert unter Bedingung des Terrorismus hervorgetreten. Herr Prof. Münkler, liegt ein Problem vielleicht schon darin, dass ich von "Struktur" gesprochen habe, denn wir sind ja meistens bemüht, um den Terror irgendwie zu bewältigen, vernünftig drüber zu reden, eine Ordnung rein zu bringen. Haben die Anschläge ein Muster, eine Ordnung?

Moderation: Michael Köhler | 10.10.2004
    Herfried Münkler: Ich glaube schon, dass sie eins haben. Nachdem es den Gruppierungen, die wir gemein hin unter dem Label El Kaida zusammenfassen, nicht gelungen ist, eine große Aktion wie den 11. September zu wiederholen - was aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Absicht gewesen ist - haben sie sich spezialisiert, in zunehmendem Maße die sehr viel leichter anzugreifenden touristischen Zentren vorgenommen.

    Köhler: Also die so genannten weichen Ziele, wie Sie das nennen, glaube ich?

    Münkler: Weiche Ziele, ja. Die sind auch noch sehr viel weicher, als das etwa die Twin Towers gewesen sind. Hier kommt man relativ leicht ran, weil natürlich hier ein relativ hohes Niveau von Sicherheit einzuführen dazu führen würde, dass die Urlauber wegblieben. Um Urlaubsgebiet zu bleiben, muss man diese Gebiete auch als sicher darstellen, und so weiter. Das erhöht natürlich die Möglichkeiten des Zugriffs. Wenn Sie schauen, Bali, zuvor schon Djerba, Casablanca, Mombasa, Sinai, das ist ein gewisses Muster und dahinter steckt auch, denke ich, eine strategische Vorstellung, die man vielleicht so skizzieren kann: Die Länder, die sie angreifen, sind in hohem Maße von Tourismus abhängig. Die Tourismusbranche spielt in deren Ökonomie eine ganz wichtige Rolle, und wenn nun die Tourismusbranche kollabiert - und davon muss man ja auch ausgehen, dass nach einem solchen Anschlag der Zustrom aus dem Westen, aus Europa, Australien oder aus den USA wegbleibt - dann trifft das die Ökonomie eines ganzen Landes und darüber kann es zu einer Destabilisierung kommen und möglicherweise - jedenfalls ist das offenbar deren Vorstellung - zur Machtübernahme eines islamistischen Regimes.

    Köhler: Das ist ja nur ein negatives Ziel, wenn Sie sagen, Destabilisierung. Dahinter steht kein positives politisches Ziel, so wie wir es sonst kannten mit Bekennerschreiben, Freipressungen, Lösegeldern, politischen Zielen oder Ähnlichem.

    Münkler: Ja, dieser Unterschied, auf den Sie hinweisen, ist richtig. Ich würde ihn aber nicht als positiv-negativ beschreiben, sondern der frühere Terrorismus, der in Europa entstanden ist am Ende des 19. Jahrhunderts, mit den Narodniki in Russland, oder wie ETA oder IRA oder bei uns die Rote Armee Fraktion funktioniert hat, der hatte einen so genannten interessierten Dritten als Adressaten, die Bauern in Russland oder das Proletariat oder ethnische oder nationale Gruppierungen, religiöse Gruppierungen, die Putzfrauen in aller Welt oder was auch immer, an die er seine Botschaft adressiert hat. Von daher war diese Form des Terrorismus auch gezwungen, bei der Auswahl seiner Ziele, sehr vorsichtig zu sein. Da durfte dann natürlich kein Arbeiter, kein Bauer, kein katholischer Ire getroffen werden, um durch die Gewalt denen zu zeigen, erstens, Gewalt ist machbar, das Regime ist verletzbar, und zweitens, "Du bist aufgerufen, mitzumachen". Das spielt hier offenbar gar keine Rolle. Das ist eine Strategie, die ich als eine Form des Verwüstungskrieges bezeichnen würde, die auf die labile, psychische Infrastruktur der westlichen Gesellschaften zielt, um uns zu Verhaltensänderungen zu zwingen und diese Verhaltenänderungen von uns, sei es, dass wir nicht mehr in den Urlaub fahren, oder sei es, dass wir keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen, oder wenn wir sie dann haben, unsere Aktiendepots auflösen, was auch immer, dies sind eigentlich die Effekte, die angezielt werden.

    Köhler: Ägypten bezweifelt ja gerade Israels Sicherheit, dass es El Kaida gewesen sei. Auch dieser Zweifel ist ein politisch motivierter Zweifel, denn die einen sagen, "Das ist die Quittung für die verschärfte Politik Israels gegenüber den Palästinensern", andere sagen, "Es ist zugleich eine Quittung für das reformerische Ägypten, dass die Terrorgefahr selber für zu gering betrachtet hat, trotz der Attentate in Luxor" und die dritten sagen, "Der Urlaubsort Taba war selber ein symbolischer Ort, ein Ort der Friedensverhandlungen", es ist also mehr als nur ein Urlaubsziel angegriffen worden.

    Münkler: Ich glaube schon, dass es zunächst einmal ein Urlauberziel ist. Dass Taba als Ziel gleichsam überdeterminiert ist - Friedensverhandlungen, wie Sie gesagt haben, auch ein bestimmtes stark verwestlichtes Design der gesamten Struktur - das mag alles sein. Es ist auch sicher richtig, dass dieser Anschlag auf den Sinai für die ausführenden Gruppen insofern interessant war, weil man einerseits die ägyptische Ökonomie treffen kann - was nach meiner Auffassung das Hauptziel gewesen ist - andererseits aber sich einklinken kann in die Strukturen des Kampfes gegen Israel und derlei mehr. Ich denke, dass doch vieles dafür spricht, dass es eine der Untergruppen von El Kaida gewesen ist, von der die Operative, Anlage und Ausführung gekommen ist. Auch der Umstand, dass die Hamas und auch die Hisbola, vor allem die Hamas, ihren Kampf gegen Israel auf Israel, den Gazastreifen und das Westjordanland beschränkt hat und bislang nicht außerhalb operiert hat. Es gibt vage Annahmen, dass es El Kaida gewesen ist. Und da verbinden sich dann natürlich unterschiedliche Vorstellungen: Erstens, man will Ägypten treffen, das hatte wohl Sawahiri - Sie haben Luxor schon angesprochen - früher schon gemacht; und zweitens, man bezieht Position gegen Israel.

    Köhler: Ich greife noch mal Ihren Kerngedanken von der Destabilisierung auf. Ich habe bei Ihnen gelesen und gelernt, dass die neuen Kriege asymmetrische sind, keine gleichen Gegner da sind, es keine Territorialkriege mehr sind, dass weiche Ziele genommen werden, keine Bekennerschreiben da sind, dass selbst Opfer gebracht werden, dass psychische, seelische Effekte im Haushalt ganzer Nationen am Ende noch wichtiger sind, als die Verwüstungen. Das ist dann am Ende nicht mehr das, was wir mal als Partisanen- oder Guerillakrieg kannten?

    Münkler: Nein, das ist es nicht mehr, weil der Partisanen- und Guerillakrieg hatte in ganz anderem Maße größere Massen mobilisieren müssen. Partisanenkriege sind angewiesen auf die Unterstützung der Bevölkerung in dem Gebiet, das umkämpft wird. Das heißt, er hat eine politische Fesselung. Es gibt Dinge, die können nicht gemacht werden, weil man dann die Unterstützung durch die Bevölkerung als logistische Basis, als Deckung verliert. Terrorismus unterscheidet sich davon, dass es im Prinzip die Infrastruktur des angegriffenen Gegners nutzt, um durch die Nutzung dieser Infrastruktur das zu ersetzen und zu kompensieren, was im Partisanenkrieg die wohlwollende Unterstützung der Bevölkerung eines Territoriums gewesen ist. Dadurch gewinnt der Terrorismus natürlich an operativer Flexibilität, auch an offensiver Fähigkeit, an Angriffskraft in Gebieten, in die Partisanen nie gekommen wären, weil sie überhaupt gar keine Unterstützung da gehabt hätten. Beide haben das eine oder andere gemein als asymmetrische Formen, also zu sagen, sie stellen sich dem Gegner nicht in gleichartiger Weise, sondern versuchen seine Schwächen herauszubekommen, um über seine Schwächen ihn nicht niederzuwerfen, sondern zu ermatten. Aber der Terrorismus ist erstens von kleineren Gruppen zu machen, er zielt zweitens sehr viel mehr auf die psychische Struktur, als auf die physischen Effekte und er hat drittens Offensivqualitäten.

    Köhler: Das war Prof. Herfried Münkler zu den Effekten der Destabilisierung nach den Attentaten auf israelische Urlauber im ägyptischen Sinai.