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Terroristen unter uns

Als das Bundeskriminalamt 2007 im Sauerland eine Terrorzelle aushob, war das Entsetzen groß: Mitten in Deutschland hatten junge Männer versucht, eine Bombe zu bauen. Von sechs Attentatsversuchen in Deutschland berichtet die Journalistin Annette Ramelsberger. In "Der deutsche Dschihad" warnt sie vor der Gefahr, die von islamistischen Terroristen ausgehe - eine Rezension von Albrecht Metzger.

17.03.2008
    Die Fakten, die Annette Ramelsberger zusammengetragen hat, sprechen zunächst für sich: In elf Kapiteln beschreibt sie, wie Deutschland ins Visier islamistischer Terroristen geraten ist. Bereits im Dezember 2000, also lange vor den Anschlägen vom 11. September 2001, hoben deutsche Sicherheitsbehörden eine Frankfurter Zelle aus. Die hatte ein verheerendes Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg geplant, der vermutlich Dutzende Menschen das Leben gekostet hätte.

    Die Autorin beschreibt, wie der jordanische Terrorist Abu Musab al-Zarkawi nach den Anschlägen von New York sein Netzwerk in Deutschland aktivierte: al-Zarkawi, ein Rivale Osama bin Ladens, wollte mit dem Führer der El-Kaida gleichziehen. Ein Anschlag im Westen musste her. Ehe seine Leute zuschlagen konnten, nahm das BKA sie fest. Glück gehabt. Das galt auch für die sogenannten Kofferbomber. Sie hatten im Sommer 2006 zwei Bomben in deutschen Regionalzügen platziert, die nicht hochgingen, weil die Zünder fehlerhaft waren. Beeindruckend sind die Reportagen aus den Gerichtssälen: Als eine der wenigen Reporter hat Annette Ramelsberger diverse Terrorprozesse über einen längeren Zeitraum verfolgt.

    Sie erzählt von Angeklagten, die keinerlei Respekt vor der deutschen Justiz zeigen, die die Richter beschimpfen und beleidigen. Sie zitiert aus abgehörten Protokollen, aus denen die Verachtung hervorgeht, die die Observierten für die deutsche Gesellschaft hegen. All das ist erschreckend. Was dem Buch jedoch fehlt, ist eine zusammenfassende Analyse: Warum ist Deutschland so früh ins Visier der Dschihadisten geraten? Was treibt die Attentäter wirklich an? Inwiefern haben die Ereignisse im Nahen Osten - wie etwa die Invasion des Iraks 2003 - zu einer Radikalisierung der Muslime hierzulande beigetragen? So bleiben die einzelnen Kapitel etwas isoliert nebeneinander stehen. Doch das ist nicht das einzige Problem. Annette Ramelsberger will mit ihrem Buch keine Panik schüren:

    "Es gab auch Warnungen: Du setzt dich da zwischen alle Stühle, so etwas kann man nicht ohne Emotionen bringen. Ich habe trotzdem versucht, es ganz klar an der Wahrheit, ganz nah an der Realität wirklich anhand von Gerichtsakten, nichts daran ist ausgedacht, alles ist real, da ist nichts übertrieben. Alles ist genauso passiert."

    Ramelsbergers Bemühen, "keine Panik zu schüren", wie sie in der Einleitung schreibt, ist nur halb gelungen. Das liegt möglicherweise auch an den Quellen: Neben den Gerichtsakten stützt sie sich fast ausschließlich auf Aussagen von Verfassungsschützern, Innenministern und polizeilichen Ermittlern. Das ist legitim, verengt aber den Horizont. So befürchtet der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch zum Beispiel, die "Welle von Selbstmordattentätern" könnte nach Deutschland schwappen; und auch Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, warnt seit Jahr und Tag vor einem unmittelbar bevorstehenden Anschlag.

    Fragt sich nur, warum es dann nicht längst passiert ist. Reines Glück! antworten darauf Sicherheitsverantwortliche. Doch kann das alles sein? Kann man acht Jahr lang Glück haben? Wer halbwegs intelligent und fest entschlossen ist, sich in einem Bus oder in der U-Bahn in die Luft zu sprengen, wird kaum aufzuhalten sein. Möglicherweise gibt es also noch andere Gründe, warum in Deutschland noch keine Bombe hochgegangen ist. Viele der gescheiterten Attentäter sind in afghanischen oder pakistanischen Terrorcamps ausgebildet worden. Vielleicht sind sie trotzdem weniger clever, als sie uns weismachen. Die Fakten, die Annette Ramelsberger zusammengetragen hat, legen teilweise diesen Schluss nahe. Da ist zum Beispiel die irakische Zelle, die den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Iyad Allawi bei seinem Berlin-Besuch 2004 töten wollte. Wenige Tage vor dem Eintreffen Allawis erhält Ata R., einer der Verschwörer, einen Anruf von seinem Freund Mazen. Sie sprechen in Codes, weil sie befürchten, abgehört zu werden:

    "Ein sehr beliebter Gast wird wahrscheinlich kommen", sagte Mazen. Lies mal meinen Brief, darin steht der Name des Gastes. Pass mal auf, an einer Stelle steht M. Dieses M musst du durch A Umtauschen.

    In der Email, die die deutschen Fahnder ebenfalls abfangen, findet Ata R. dann den Namen: "Onkel Iyad Mallawi." Eine verschlüsselte Nachricht sieht anders aus. Noch gewichtiger ist eine zweite Überlegung, die im Übrigen auch Verfassungsschützer anstellen. Allerdings off-the-record, denn der diesen Gedanken ausspricht, kann sich leicht den Vorwurf einhandeln, die Terror-Gefahr zu verharmlosen. Aber vielleicht stimmt es wirklich: Vielleicht wollen manche Attentäter, die mitten in der Planung stecken, entdeckt werden. Vielleicht fehlt ihnen der letzte Wille, die letzte Entschlossenheit, zur Tat zu schreiten. Nur möchten sie ihre Schwäche nicht vor ihren Terrorbrüdern zugeben. Die im September 2007 festgenommenen Sauerland-Bomber könnten so ein Fall sein. Sie wussten seit Monaten, dass sie observiert werden. Trotzdem tauchten sie nicht ab, sondern setzten ihre Planungen unverdrossen fort. Entweder war das Hybris oder die unbewusste Hoffnung, irgendwann vor sich selbst gerettet zu werden. Nicht jeder hat das Zeug zum Massenmörder.

    Wahrscheinlich hat Annette Ramelsberger recht: Irgendwann wird irgendwo in Deutschland eine Bombe hochgehen. Ob daraus eine Welle von Selbstmordattentätern wird, wie Karl Peter Bruch befürchtet, erscheint jedoch fraglich. Um einen Anschlag nach dem Muster von New York oder Madrid zu verwirklichen, braucht es Drahtzieher wie Mohammed Atta: Fanatische Anführer, die die Gruppe zusammenhalten und besessen davon sind, den Plan in die Tat umzusetzen. Zum Glück scheint es davon nicht allzu viele zu geben. Wer darum bemüht ist, keine Panik zu schüren, sollte solche Überlegungen zumindest in Betracht ziehen. Leider fehlt das in dem Buch. Annette Ramelsberger scheint manchmal gedanklich gefangen zu sein in dem Urteil deutscher Sicherheitsverantwortlicher. "Die Zeichen mehren sich, dass islamistische Attentäter, zornige Einzeltäter oder Emissäre des Terrornetzwerkes al-Qaida versuchen, in Deutschland zuzuschlagen", schreibt sie in der Einleitung. Laut deutschen Sicherheitsverantwortlichen sei "es nicht mehr die Frage, ob ein Anschlag geschieht, sondern nur noch, wann er geschieht". Doch es gibt selbst Verfassungsschützer, die vor Übertreibungen warnen, so etwa der Islamwissenschaftler Landolin Müller aus Stuttgart, der auch von Annette Ramelsberger zitiert wird. In einem Interview widersprach er jedoch der These, Deutschland sei heute stärker bedroht als früher:

    "Das Bild, die Einschläge kommen näher, kann ich entsprechend so nicht teilen. Aus einer fast jetzt zwei Dekaden dauernden Beschäftigung mit dem Thema muss ich sagen: Das Problem hatten wir Mitte der neunziger Jahre schon und es dauert an."

    Es gibt andere Aspekte in dem Buch von Annette Ramelsberger, die problematisch sind. So etwa ihre Fixierung auf die Gefahr, die von konvertierten Muslimen ausginge. Hier weicht sie auch teilweise von ihrer nüchternen Sprache ab, die den Rest des Buches kennzeichnet. So heißt es an einer Stelle:

    Die Todesschwadronen müssen nicht erst losgeschickt werden - sie sind schon da, mitten in Deutschland. Die Todesschwadronen für Deutschland kommen aus Deutschland. Sie sind Einheimische.

    An anderer Stelle:

    Der Feind hat sich in die Herzen junger Deutscher geschlichen und sie zu fanatischen Kriegern gemacht. Der Dschihad ist nicht mehr weit weg, seine Krieger sind mitten unter uns.

    Wer da keine Panik kriegt, hat starke Nerven. Ramelsberger stützt sich auch hier auf den Verfassungsschutz, der in Berlin eine eigene Arbeitsgruppe aufgebaut hat, die sich ausschließlich mit Konvertiten beschäftigt. Aber auch in dieser Frage gibt es Verfassungsschützer, die die Sache differenzierter sehen. Manfred Murck etwa, Chef der Behörde in Hamburg, sagte dazu im September 2007:

    "In diesem Fall, jedenfalls in der ersten Reihe, waren Konvertiten auffällig. Generell meine ich auch, dass wir Konvertiten als eine Gruppe, aus der sich auch Terroristen rekrutieren können, mit im Auge behalten müssen, aber insgesamt warne ich davor, dass zu sehr zu pauschalisieren und das generell als Problemgruppe zu betrachten, denn wenn man sich die Analysen, jetzt nicht in diesem Fall, sondern generell, zu den Täterprofilen anschaut von Attentätern, dann spielen Konvertiten da nach wie vor eine sehr geringe Rolle."

    Ungeachtet der Kritik ist "Der deutsche Dschihad" eine lohnende Lektüre. Annette Ramelsberger hat eine Menge Fakten zusammengetragen, die in dieser Geballtheit nirgendwo sonst zu finden sind. Außerdem fällt das Fazit ihres Buches nüchterner aus, als man hätte erwarten können. Sie ist keine Befürworterin des Überwachungsstaates, und schon gar nicht hat sie etwas gegen Muslime an sich:

    "Deswegen war es mir auch so wichtig zu schreiben: Nein, die Integration ist wichtig, die Integration ist der Schlüssel. Es geht mir nicht darum zu sagen, Online-Durchsuchungen müssen her, die Bundeswehr im Inneren muss her, jedes Terroristenflugzeug muss abgeschossen werden, ich halte das für den vollkommen falschen Weg. Für mich ist wichtig zu sehen: Wir müssen zusammenarbeiten, es geht nur darum, dass wir gemeinsam diejenigen isolieren, die gegen unser gemeinsames Zuhause vorgehen wollen."

    Annette Ramelsberger: Der deutsche Dschihad
    Islamistische Terroristen planen den Anschlag

    Econ Berlin, 208 Seiten, 16,90 Euro