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Terrorvorwürfe
Deutscher Türkei-Korrespondent in Istanbul festgenommen

Der Türkei-Korrespondent der "Welt", Deniz Yücel, ist in Istanbul in Polizeigewahrsam genommen worden. Nach Angaben seiner Zeitung hatte er sich bereits am Dienstag der Polizei gestellt. Gegen ihn werde wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Datenmissbrauchs ermittelt.

17.02.2017
    Der Türkei-Korrespondent der «Welt», Deniz Yücel, aufgenommen am 21.07.2016 in Berlin während der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner".
    Deniz Yücel in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" (dpa/Karlheinz Schindler)
    Viele einheimische Journalisten sitzen in der Türkei schon länger in Haft. Ausländische Korrespondenten wurden bisher weitgehend verschont. Jetzt ist zum ersten Mal seit Verhängung des Ausnahmezustands ein Deutscher in Polizeigewahrsam genommen worden. Der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist.
    Die "Welt" berichtet auf ihrer Internetseite, dass es bei Yüzels Festnahme offenbar um gehackte E-Mails geht, die in der Türkei gerade für Schlagzeilen sorgen. Sie sollen vom Mailkonto des Energieministers Berat Albayrak stammen, dem Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Verbreitet wurden sie von einer Hackergruppe namens Redhack. Sie gilt in der Türkei als Terrororganisation. Yücel wiederum, seit Mai 2015 Türkei-Korrespondent der "Welt", hatte über Redhack zwei Artikel verfasst.
    Die "Welt" vertraut auf ein faires Verfahren
    "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt sagte mit Blick auf seinen Korrespondenten: "Die türkische Regierung weist immer wieder darauf hin, dass die Türkei ein Rechtsstaat ist. Darum vertrauen wir darauf, dass ein faires Verfahren seine Unschuld ergeben wird." Im derzeit geltenden Ausnahmezustand kann ein Verdächtiger bis zu 14 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden. Dann muss ein Haftrichter entscheiden, ob der Verdächtige in Untersuchungshaft kommt.
    Yüzels frühere Zeitung, die Berliner "taz", hat eine Kampagne für seine Freilassung gestartet. Mehrere Politiker von Linken und Grünen haben sich ihr angeschlossen. Die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Cem Özdemir forderten die Bundesregierung auf, sich für Yüzels Freilassung einzusetzen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann twitterte, die Festnahme von Yücel sei eine "Abkehr von Rechtsstaat und Demokratie".
    Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall. Nach Ansicht des DJV zeigt der Fall, "dass Präsident Erdogan versucht, den Ausnahmezustand zu missbrauchen, um unliebsame Berichterstattung unmöglich zu machen." Reporter ohne Grenzen sprach von einer neuen Stufe der Entwicklung und forderte ebenfalls Yüzels sofortige Freilassung.
    Nach Angaben der "Welt" wurde Yücels Istanbuler Wohnung durchsucht, nachdem der 43-Jährige sich der Polizei gestellt hatte. Die regierungsnahe Zeitung "Sabah" hatte bereits am 25. Dezember berichtet, dass die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Redhack die Festnahme von neun Verdächtigen angeordnet habe, darunter Yücel. Sechs Verdächtige wurden festgenommen. Drei davon sitzen unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in verschiedenen Terrororganisationen in Untersuchungshaft.
    Yücel stand schon im Dezember auf einer Verhaftungsliste
    Yücel hatte im Oktober und im Dezember Artikel auf Grundlage der von Redhack verbreiteten Mails verfasst, über die zunächst regierungskritische türkische Medien berichtet hatten und die dann auch Wikileaks veröffentlichte. In Yücels Artikeln ging es unter anderem um den Versuch der Regierung, "die Deutungshoheit in den sozialen Medien zu erringen", wie er im Dezember schrieb.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei ihren jüngsten Besuch in Ankara gesagt, sie habe mit Erdogan "sehr ausführlich" über das Thema Pressefreiheit gesprochen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische türkische Journalisten sitzen in Haft. Im Dezember war ein amerikanischer Korrespondent des "Wall Street Journal" vorübergehend festgenommen worden, er verließ anschließend das Land.
    (mw/hba)