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Teuer, uneffektiv und nicht mehr zeitgemäß

Schweden hat am 1. Juli die allgemeine Wehrpflicht abgeschaffen. In Zukunft will man hoch spezialisierte Berufssoldaten mit der Landesverteidigung sowie den bewaffneten Einsätzen im Ausland beauftragen.

Von Alexander Budde | 01.07.2010
    Noch einmal marschieren sie vor dem königlichen Schloss in der Stockholmer Altstadt auf, die Wehrpflichtigen vom Garderegiment. Auf den polierten Pickelhauben glitzert die Sommersonne. Ein letzter Zapfenstreich für die Bürger in Uniform.

    Genau 109 Jahre nach ihrer Einführung wird die allgemeine Wehrpflicht in Schweden ausgemustert. Stellvertretend für die vier Millionen Landsleute, die sich vor ihm schon durch die Wälder quälten, wird Kar-Johan Grape vom Jägerbataillon im nordschwedischen Arvidsjaur an diesem Morgen mit einem Orden dekoriert.

    "Der Wehrdienst hat mir viel gebracht, ich bin über meine Grenzen gegangen. Nun strebe ich die Offizierslaufbahn an. Im Dezember werde ich nach Afghanistan verlegt. Ich mag die Vielfalt der Aufgaben. Und ich will mit Menschen arbeiten, wirklich etwas verändern da draußen."

    Teure Rüstung und starke Freiwilligenverbände waren für das neutrale Land lange Zeit eine Selbstverständlichkeit. Wehrpflichtige spürten in den Inselwelten vor Schwedens Küsten den U-Booten der sowjetischen Ostseeflotte nach. Sie dienten unter dem Dach der NATO im Kosovo und in Afghanistan, bewachten für die Vereinten Nationen die Grenzen der beiden Koreas und des Libanon, jagten mit europäischen Partnern Piraten am Horn von Afrika. Doch mit dem Ende des Kalten Krieges und der zunehmenden Einbindung in NATO-Strukturen stellte sich auch für die Führung in Stockholm die Sinnfrage.

    Die teure Musterung und Ausbildung ganzer Jahrgänge sei nicht mehr zeitgemäß stellt Verteidigungsminister Sten Tolgfors nüchtern fest. Künftige Kriseneinsätze erfordern hoch spezialisierte und mobile Berufssoldaten:

    "Die Wehrpflicht ist nicht mehr das, was sie einmal war. Gerade noch jeder Zehnte eines Jahrgangs macht die Grundausbildung. Wir setzen künftig auf Berufssoldaten, die gemeinsam mit unseren Partnern zu allen denkbaren Einsätzen fähig sind. Auf diese Weise finden wir von Beginn an die richtigen Soldaten. Die sich bewusst für diesen Beruf entschieden haben."

    Die Abschaffung der Wehrpflicht ist eine Gefahr für die Nation, halten Kritiker wie der frühere Parlamentspräsident Björn von Sydow von den oppositionellen Sozialdemokraten dagegen:

    "Wir wissen nicht, ob sich genügend Freiwillige melden werden. Auch ist die für die Armee vorgesehene Truppenstärke zu gering, um neben den vielen zusätzlichen Aufgaben auch noch eine glaubwürdige Abschreckung hier im Norden gewährleisten zu können. Und wo man sich früher freiwillig zum Kriseneinsatz meldete, unterschreibt man künftig einen Vertrag, in dem man sich zum bedingungslosen Gehorsam verpflichtet. Die Gefahr ist groß, dass die gesellschaftliche Verankerung der Soldaten verloren geht. Wie auch das Pflichtgefühl der jungen Leute, für die eigenen Werte einzutreten."

    Ganz unberechtigt sind solche Sorgen nicht. Bislang hält sich das Interesse am Berufsbild des Soldaten in Grenzen. Dabei wirbt die Truppe mit markigen
    Kinospots und immer neuen Stellenausschreibungen im Internet um die Soldaten von morgen.

    Als strategischer Partner ist das Militär auch auf der weltgrößten Computerspielmesse "Dreamhack" im südschwedischen Jonköping vertreten. Zwischen langen Tischreihen mit wild verkabelten Computern präsentiert Johan Måns vom Rekrutierungszentrum der Streitkräfte Panzer, Kampfjets und Simulatoren:

    "Wir wollen technisch begabte junge Leute rekrutieren. Bei der Luftwaffe, der Marine und den Streitkräften sind wir von komplizierter Technik umgeben. Da brauchen wir gut ausgebildetes Personal, das mit solcher Ausrüstung umgehen kann."

    Ringsum tost der Schlachtenlärm der Ballerspiele "World of Warcraft" und "Counterstrike". Doch auf den Massentod der Avatare reagieren Måns und seine Offizierskollegen gelassen. Wenn es der guten Sache dient, haben Schwedens Streitkräfte keine Berührungsängste.