Donnerstag, 28. September 2023

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Teure Konsumankurbelung
Das hat die Mehrwertsteuersenkung gebracht

Shoppen gegen den Abschwung - das war die Idee der Bundesregierung, als sie im Juni beschloss, die Mehrwertsteuer um drei Prozent für ein halbes Jahr zu senken. Eine teure Maßnahme, die den Fiskus knapp 20 Milliarden Euro kosten dürfte. Die Bilanz der Steuersenkung ist durchwachsen.

Von Brigitte Scholtes | 18.12.2020

Schilder mit der Aufschrift "Summer Sale" und "Für Sie 16%, wir geben die Mehrwertsteuersenkung weiter, Abzug direkt an der Kasse" sind einem Schaufenster in der Hamburger Innenstadt zu sehen. Um den Corona-geschwächten Konsum wieder anzukurbeln reduziert die Bundesregierung seit dem 01.07.2020 für ein halbes Jahr die Umsatzsteuer von 19 auf 16 Prozent sowie den ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 auf 5 Prozent.
Nicht von allen Unternehmen wurde die Mehrwertsteuersenkung an die Kunden weitergegeben (dpa / picture alliance / Christian Charisius)
Noch kann man die Wirkungen der temporären Mehrwertsteuersenkung nicht genau beziffern. Aber sie dürften nur begrenzt gewesen sein, zumindest sieht das der HDE, der Handelsverband Deutschland so, so sagt dessen Sprecher Stefan Hertel:
"Generell ist es dann bei den Branchen, bei denen es ohnehin gut lief in der Krise, Lebensmittel, Möbel sind da zwei Beispiele für, eben auch gut angekommen, während es beim innerstädtischen Handel keine Effekte gebracht hat im Wesentlichen, weil die Kunden ohnehin nicht in die Innenstädte gekommen sind, auch um die Ansteckungsgefahr zu minimieren."
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Die Ökonomen am IWH, am Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, vermuten, dass etwa die Hälfte der Unternehmen die Mehrwertsteuersenkung an die Kunden weitergegeben habe.
"Es gibt noch einen großen Teil, wo das nicht der Fall gewesen ist. Auch das kann positive Effekte mit sich bringen, weil das dann die Unternehmen selbst entlastet", sagt IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller:
"An der Preisfront hängt es sehr stark davon ab, wie ist die Wettbewerbssituation auf dem jeweiligen Markt? Dort, wo der Wettbewerb intensiv ist zwischen den einzelnen Unternehmen, dort ist es eben wahrscheinlicher, dass die Mehrwertsteuersenkung weitergegeben wird, während in anderen Bereichen, wo es weniger Wettbewerb und damit eine größere Marktmacht der einzelnen Unternehmen gibt, da unterbleibt das."

"Vorzieheffekte und Strohfeuer"

Größere Anschaffungen, auch von Autos, sind offenbar vorgezogen worden. Dieser Vorzieheffekt dürfte sich aber im neuen Jahr, wenn die Mehrwertsteuersenkung ausläuft, gegenläufig auswirken. Das sieht auch Michael Hüther so, der Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft:
"Genau das ist Konjunkturpolitik: Vorzieheffekte und Strohfeuer. Da, wo es sonst kalt ist, soll es wieder ein bisschen wärmer werden, damit es insgesamt wieder gemütlicher wird. Es kommt aber noch etwas Besonderes hinzu: Ab 1. Januar wird der Soli für 90 Prozent der Steuerzahler abgeschafft. Der Kundenfreibetrag, das Kindergeld, wird erhöht, und der Tarif mit Blick auf die kalte Progression angepasst."
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Allerdings kann man an einigen Faktoren erkennen, dass die Absenkung nicht ohne Wirkung geblieben ist. So war die Inflationsrate seither in vier von fünf Monaten negativ – allerdings spielten da auch die niedrigen Energiepreise eine Rolle. In den letzten Monaten war aber auch immer wieder zu hören, eine Mehrwertsteuersenkung sei zu wenig zielgerichtet. Die Bereiche hätten profitiert, die eigentlich keiner Hilfe bedürften, zum Beispiel etwa der Onlinehandel, kritisiert etwa IWH-Ökonom Holtemöller. Und er bemängelt auch:
"Diejenigen Menschen, die tatsächlich von den Infektionsschutzmaßnahmen oder der Krankheit selbst erheblich betroffen sind, gehen leer aus. Und das ist keine sinnvolle Wirtschaftspolitik."
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Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) sieht den Einzelhandel bedroht: Dieser müsse ohnehin gegen die weltweite Internetkonkurrenz kämpfen und nun auch gegen die Pandemie, sagte er im Dlf. Altmaier kündigte Unterstützung beim digitalen Ausbau an.
Michael Hüther aber war einer der Befürworter der Absenkung im Sommer. Die Alternative wäre damals eine neuerliche Abwrackprämie gewesen, sagt er:
"Die Mehrwertsteuer ist sicherlich ein Breitbandtonikum. Aber sie hat dann natürlich auch deutliche Preiseffekte. Und gerade bei großen, hochwertigen Konsumgütern wirkt es dann auch besonders greifbar. Das war der Weg, und insofern ist es wichtig, dass sowas gemacht wurde, und es ist wichtig dass es befristet bleibt."
Dem Einzelhandel aber wäre es am liebsten, die Absenkung würde bis über den aktuellen Lockdown verlängert. Schließlich sei die Umstellung teuer gewesen.