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Textilindustrie in Bangladesch
Betriebsrätinnen leben gefährlich

Seit dem Einsturz der Nähfabrik im Rana Plaza in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka haben sich langsam Gewerkschaften formiert. Sie wollen die Bedingungen für Näherinnen verbessern. Doch Frauen, die sich als Betriebsrätinnen für ihre Rechte einsetzen, werden angegriffen und müssen um ihr Leben bangen.

Von Jürgen Webermann | 06.10.2015
    Näherin Shima. Trotz massiver Prügel lässt sich die Gewerkschafterin nicht einschüchtern
    Näherin Shima (Deutschlandradio / Jürgen Webermann )
    Der Angriff erfolgte vor etwas mehr als einem Jahr, während der Mittagspause. Die anderen Arbeiterinnen waren draußen, auf der Straße, um kurz etwas zu Essen. Shima Akter und neun andere Kolleginnen, Näherinnen wie sie selbst, blieben.
    "Wir hatten eine Liste mit 16 Punkte zusammen gestellt, die wir dem Management überreichen wollten. Da ging es darum, dass sie uns die Löhne pünktlich zahlen sollen. Dass wir ein Recht auf Mutterschutz haben, dass wir Extrazahlungen zum Jahresende erhalten. Aber statt zu verhandeln, schlossen die Vorarbeiter die Fabrik von innen einfach ab. Und dann begannen sie, uns zu verprügeln."
    Prügel mit Eisenstangen, Stühlen und Fäusten
    Die Opfer waren Shima und zwei andere Arbeiterinnen. Die restlichen sieben Frauen mussten hilflos zusehen.
    "Die Männer waren vorbereitet. Sie prügelten mit Eisenstangen, mit Stühlen, mit ihren Fäusten. Ins Gesicht, in den Magen, immer wieder in den Magen. Ich muss deshalb immer noch behandelt werden."
    Shima ist Mitte 20. Sie hat uns durch ein Gewirr von Seitengassen gelotst, mitten in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. Sie führt in einen Rohbau. Eine Wohnung im dritten Stockwerk ist halbwegs eingerichtet, Glühbirnen hängen von der Decke, aber die Wände sind verputzt, von hier aus organisieren sich Shima und andere Textilarbeiterinnen in einer Gewerkschaft. Hier fühlt sich Shima sicher.
    "Vorher wussten wir ja gar nicht, dass wir diese Rechte wie Mutterschutz oder Bonuszahlungen überhaupt haben. Aber dann haben wir es von der Gewerkschaft erfahren. Und einen Betriebsrat gegründet."
    Nipunica Garments heißt die Textilfabrik, in der Shima arbeitet. Der Besitzer will nicht mit uns reden. Zwei Tage lang wurde Shima im Krankenhaus behandelt.
    Srinivas Reddy überrascht Shimas Geschichte nicht. Reddy leitet die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen in Dhaka.
    "Im Textilsektor entwickeln sich Gewerkschaften erst seit dem Einsturz des Rana Plaza 2013. Da gibt es jetzt einen zarten Anfang. Viele Fabrikbesitzer leisten aber immer noch Widerstand, und die meisten Arbeiter kennen ihre Rechte gar nicht."
    Einsturz des Rana Plaza war Auftakt für Gewerkschaften
    Nach dem Einsturz des Rana Plaza ging es nicht nur um mehr Sicherheit in den Fabriken. Es ging auch um höhere Mindestlöhne, sie liegen jetzt bei 50 Euro im Monat, und um die anderen Punkte, für die Shima gekämpft hat. Die Fabrikbesitzer beklagen sich, dass sie die Mehrkosten alleine tragen müssen.
    Abdul Mannan betreibt eine Fabrik in dem Gebäude, in dem Shima arbeitet. Er ist bereit, zu reden.
    "All diese Vorgaben einzuhalten, dafür müsste ich viel Geld in die Hand nehmen. Aber das Geld habe ich nicht. Und meine Kunden weigern sich, mir höhere Preise zu zahlen."
    Unternehmer stehen auch unter Druck
    Abdul arbeitet vor allem für eine britische sowie für russische Firmen, die, wie er sagt, nicht so genau hinsehen. Aber er hat 2014 auch Kleidung für einen deutschen Discounter produziert. Als Subunternehmer. Wusste der Discounter davon?
    "Das würde er nicht erlauben. Also machen wir es heimlich. Mehr will ich nicht sagen."
    Abdul Mannan, den Besitzer einer Fabrik. Auch er steht durch die Auftraggeber unter massivem Kostendruck
    Abdul Mannan, den Besitzer einer Fabrik. Auch er steht durch die Auftraggeber unter massivem Kostendruck (Jürgen Webermann )
    Für die meisten Konzerne reichen die Sicherheitsstandards seiner Fabrik nicht mehr aus. H&M hat er als wichtigsten Kunden verloren. Deshalb nimmt er gerade jeden Auftrag an, auch heimlich als Subunternehmer. Einen Betriebsrat gibt es bei ihm nicht. In Shimas Firma jetzt schon. Als sich Shima wieder arbeitsfähig fühlte, kehrte sie zurück in ihre Fabrik.
    "Die Gewerkschaft hat für uns gekämpft. Sie hat den Besitzer davon überzeugt, dass er gar nicht anders kann, als uns unsere Rechte zu gewähren. Und sie hat ihn überzeugt, uns weiter arbeiten zu lassen."
    Vielleicht half auch eine Strafanzeige, die Shima gestellt hat. Der Fall ist inzwischen vor Gericht gelandet.
    "Jetzt ist der Fabrikbesitzer nett zu uns. Sollte das so bleiben, können wir die Klage wieder zurückziehen."
    Shima lächelt, als sie das sagt. Woher nimmt sie, die junge Frau aus dem Armenviertel, die Kraft, es mit ihrem Fabrikchef aufzunehmen? Selbst ihr Ehemann ist gegen ihren unermüdlichen Kampf. Auch er drohte ihr mit Schlägen, wenn sie nicht aufhört, sich mit dem Chef anzulegen. Aber Shima will weiter machen. Mithilfe der Gewerkschaft aus dem Rohbau mitten in Dhaka.