Donnerstag, 25. April 2024

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Textilkunst für Kirchen
Paramentenmacherin aus Dresden

In der Coronakrise waren die Kirchen einsame Orte. Erst nach und nach finden wieder Gottesdienste statt, und die Altartücher, die so genannten Paramente, finden wieder mehr Beachtung. Hergestellt werden die kunstvollen Altartücher in einer kleinen Werkstatt in Dresden.

Von Iris Milde | 29.05.2020
Ein Hinterhaus in einem Dresdner Villenviertel. Durch die geöffnete Werkstatttür fällt der Blick auf raumhohe Regale, in denen sich Garnrollen stapeln, nach Farben sortiert, wie ein riesiger Regenbogen. Am Webstuhl gegenüber sitzt Anett Hildebrand, Diplom-Designerin für Textilkunst. Ihr Spezialgebiet sind Paramente.
"Paramente sind Textilien, die in der Kirche hängen und die liturgischen Orte kennzeichnen. Das ist der Altar, die Kanzel und das Lesepult."
Am Regal hängen zwei fertige Paramente, die Anett Hildebrand in den nächsten Tagen ausliefern wird. Sie sollen die Altarsockel zweier Kirchen schmücken.
"Das rechte Parament ist ein Parament, was ich demnächst nach Löbau bringe, für die Nikolaikirche. Das ist ein weißes Parament, allerdings nicht so herkömmlich weiß, wie man sich das so vorstellt, sondern ich habe natürlich auch die Farben des Kirchenraumes mit aufgenommen."
Tücher, die die Phantasie anregen
Die etwa anderthalb Meter breite und einen Meter hohe Webarbeit zeigt ein hellgelbes und ein sattgelbes Kreuz, die übereinander liegen. Im unteren Bereich sieht man dunkle Pünktchen. Vielleicht Samenkörner. Doch Hildebrands Paramente wollen die Phantasie des Betrachters anregen und keine fertigen Interpretationen liefern.
"Das ist für mich auch immer ein sehr, sehr spannender Prozess, was dann in den Gesprächen auch rauskommt, sehr, sehr schöne Dinge."
Paramente entstehen am Gobelinwebstuhl. Anders als beim Flachwebstuhl verlaufen die Kettfäden von oben nach unten, sodass die Paramentenmacherin daran arbeiten kann wie an einer Tafel. Anett Hildebrand hält ein Werkzeug in die Höhe, das aussieht wie ein Pinsel, aber statt Borsten hat es Zinken.
"Ich habe einen sogenannten Klopfer in der Hand. Den benutze ich, um das Garn, das ich eingelegt habe zwischen diese Kettfäden, in das Fach von den Kettfäden anzuklopfen."
"Dann trete ich das Fach, um den Faden einzulegen."
Hildebrand legt oranges Wollgarn zwischen die Fäden.
"Das wird dann erstmal mit der Hand ein Stückchen angedrückt."
"Ja, das ist das Handwerk, nicht zu straff und nicht zu locker. Jetzt kommt der Klopfer wieder."
Die Textilkunst kam erst später
Die Textilkünstlerin arbeitet in rasender Geschwindigkeit. Bereits seit 25 Jahren fertigt sie Paramente. Doch am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn, in den 1980er Jahren, kam die geborene Greifswalderin eigentlich mit anderen Plänen nach Dresden.
"Ich habe die Ausbildung als Krankenschwester im Diakonissenkrankenhaus gemacht und wusste, dass es dort eine Paramentenwerkstatt gibt. Das hatte ich erstmal im Hinterkopf. Und dann habe ich mit dem Studium Textilkunst begonnen und das beendet in Schneeberg. Und dann habe ich gedacht, dann gucke ich mal nach, ob ich in der Werkstatt arbeiten kann und dort habe ich die Leitung bekommen und habe dort knapp sieben Jahre die Werkstatt geleitet."
2001 wurde die Werkstatt im Krankenhaus geschlossen. Anett Hildebrand kaufte kurzentschlossen zwei der verwaisten Webstühle und machte sich selbstständig.
"Dann habe ich überlegt, ich springe ins Wasser und guck mal, was kommt."
Bis auf eine kurze Flaute lief es 18 Jahre gut, sagt sie. Die Auftragsbücher sind voll. Die meisten Kunden kommen auf Empfehlung zu ihr. Das sind ausschließlich Kirchgemeinden aus ganz Deutschland.
"Man möchte für den Kirchenraum, wir möchten etwas ganz Besonderes. Das sind die Auftraggeber. Etwas Besonderes und etwas, das in unseren Raum hineinpasst und was mit uns zu tun hat."
Kirchengemeinden sind die Kunden
Paramente fertigen ist keine Fließbandarbeit. Jedes Stück entsteht in enger Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gemeinde. Zunächst lädt die Designerin interessierte Gemeindemitglieder zu einem Werkstattrundgang ein.
"Der nächste Schritt ist, dass ich dann in die Kirchgemeinde fahre. Gucke ich mir den Raum an, gucke mir an, was für Farben da sind, wie die Formen da sind. Und dann wird sich zurückgezogen und dann werden die Entwürfe gemacht und in einer Entwurfsmappe wird das dann präsentiert."
Hinter den Kettfäden am Webstuhl klemmt die Werkzeichnung, damit sie beim Weben weiß, wo das nächste Ornament beginnt. Von unten nach oben wächst das Bild. In diesem Fall ein gleichschenkliges Kreuz, das aus einzelnen Farbsplittern besteht. Die beherrschende Farbe ist Rot, denn es wird ein Pfingstparament.
"Das Kirchenjahr beginnt mit Violett. Genau dann wird das Parament hängen, wenn es eine besinnliche Zeit ist. In der Adventszeit und in der Passionszeit. Dann kommt Weiß für die Christusfeste. Das ist dann Weihnachten und Ostern. Rot wird vorrangig zu Pfingsten hängen, an Kirchweihtagen und zur Konfirmation. Und dann Grün, die festlose Zeit, Wachstum und Gedeihen, also, dass das, was ausgesät ist, Zeit hat zu sprießen."
Die Paramentenmacherin greift ein Knäuel aus dem Regal, das prall gefüllt ist mit Garnrollen in allen erdenklichen Grüntönen.
"Das ist Schafwolle, was ich jetzt hier habe und färbe. Und es sind Industriefarben, das sage ich gleich dazu, weil es lichtecht sein muss."
Bezahlt wird nach Quadratmetern
Pro Quadratmeter Webfläche berechnet Anett Hildebrand etwa zweieinhalb Tausend Euro. Dazu kommt die Gestaltung. Bis ein Parament im Kirchenraum aufgehängt werden kann, vergeht vom ersten Kontakt mindestens ein Jahr.
"Und das Schöne ist, dass die Arbeiten, die ich fertige, auch einen Ort haben, wo sie hängen werden, also das ist eine ganz schöne Arbeit."