Freitag, 19. April 2024

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"The Auryn Series Vol. VI: Robert Schumann, Complete String Quartets"

Brandneu, nämlich zum Monatsbeginn veröffentlicht, ist eine CD des Auryn-Quartetts mit allen drei Streichquartetten von Robert Schumann. Sie ist wiederum bei dem Stuttgarter Label Tacet erschienen und dokumentiert, dass die Auryns in den letzten beiden Jahren eine ganz erstaunliche Wandlung und Entwicklung vollzogen haben. Den Namen gab sich dieses Ensemble ja nach einem wundertätigen Amulett in Michael Endes "Unendlicher Geschichte", das Inspiration verleiht. Nun spielten sie immer schon ungewöhnlich inspiriert, aber seit kurzem beschwören sie auch die dunkleren Geister. Wenn sie also im Mai ihr Zwanzigjähriges feiern, dürfen sie sich als die europäische Antwort auf das im besten Sinne amerikanische Emerson Quartet betrachten. Auch das Letztere hat sich ja nach einem Philosophen benannt, der als das Haupt der transatlantischen Transzendentalisten gilt. Dennoch: Die Emersons sind gleich ihrem Namensgeber dem Rationalen stärker verpflichtet; ihr Spiel bleibt, bei aller Vollkommenheit, kalkulierbar. Die Auryns haben sich auf den Weg gemacht, das Unwägbare zu erkunden, und daraus kann in der Tat eine unendliche Geschichte werden. Es gibt vielleicht zur Zeit kein Quartett, dass so wie die Auryns in der Lage ist, Musik so anfangen zu lassen, dass sie eigentlich schon angefangen hat, bevor sie anfängt. * Musikbeispiel: Robert Schumann - 3. Adagio aus: Streichquartett a-moll op.41,1 Der dritte Satz aus Robert Schumanns a-moll-Quartett op. 41, 1, gespielt vom Auryn-Quartett. Andreas Spreer, Eigentümer und Vordenker der Tacet-Produktion, hat bei diesen Aufnahmen, die im vergangenen Jahr in der Frankfurter Festeburg-Kirche stattfanden, mal wieder auf die alten Röhren-Schätzchen gesetzt, die M-49-Mikrofone von Neumann aus dem Jahr 1949. Da darf man schon mit Fug und Recht behaupten, es handele sich um eine Aufnahme mit historischen Instrumenten. Die betagten Röhren-Mikros erzeugen nach wie vor ein unnachahmlich weiches und doch transparentes Klangbild, in dem das Spiel der Nuancen auf eine Weise zutage tritt, dass man schon geradezu gezwungen ist, die Ohren zu spitzen. Und tatsächlich ist es die Welt der Schatten, die dieser Schumann-Interpretation ihren singulären Rang verleiht. Die drei Quartette sind alles andere als stillvergnügte Hausmusik; sie erzählen von einer bedrohten Innenwelt, in der kein Gedanke glattgeht. Frappierend ist, wie sehr sich die vier Mitglieder des Auryn-Quartetts zu Individualisten entwickelt haben, zu solistischen Persönlichkeiten, die die Arbeit der detaillierten Auseinandersetzung miteinander auf sich nehmen. An manchen Stellen scheint nur noch der Wille zur Gemeinsamkeit den Klang zusammenzuhalten. Die Artikulation ist schärfer und stärker prononciert als noch vor zwei Jahren. die Bogenführung ist bisweilen äußerst riskant und lässt den Ton zwischen reiner Vokalise und hartem Konsonanten changieren. Dies nun ist der wahrhaftige Tonfall für die komplexe Sprache Schumanns, und das Assai agitato aus dem dritten Streichquartett op. 41, dem in der lichten Tonart A-dur, wird darüber zu einem Nachtstück, dass die Widmung an Felix Mendelssohn Bartholdy schon in einem eigentümlichen Licht erscheint. * Musikbeispiel: Robert Schumann - 2. Assai agitato (Ausschnitt) aus: Streichquartett A-dur op.41,3 Das Auryn-Quartett mit Robert Schumann; die CD ist, wie gesagt, Anfang Februar bei Tacet erschienen.

Norbert Ely | 25.02.2001