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"The Fifty Eleven Project" von Kasper Bjørke
Mit Ambient-Musik den Krebs bekämpft

Kasper Bjørke gehört zu den bekanntesten Elektro-Produzenten Dänemarks. Doch dann hatte erkrankte der dänische Club-DJ an Krebs - und wechselte von beatlastiger Eigenproduktion in die meditative Ambient-Musik. "Ich wollte, dass es etwas ist, dass ich mir selbst anhören kann, um mich runterzubringen."

Von Vanessa Wohlrath | 30.05.2019
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Mit Mitte 30 wurde bei dem dänischen Elektronik-Produzenten Bjørke Krebs diagnostiziert - und die Musik bekam für ihn eine neue Bedeutung. (detokay.com / Dennis Morton )
Kasper Bjørke lehnt entspannt an der Theke seines Stammcafés in Kopenhagen und nickt freundlich einem der Mitarbeiter zu. Von Müdigkeit keine Spur – obwohl der perfekt gestylte Däne mit Halstuch und schmaler Titanbrille zu Hause viel um die Ohren hat. Vor acht Wochen kam sein zweites Kind zur Welt. Dass der 43-Jährige nun schon zum zweiten Mal Vater geworden ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Vor acht Jahren diagnostizierten die Ärzte unerwartet Hodenkrebs bei ihm. Damals ein absoluter Schock für den jungen Mann.
Konfrontation mit eigener Sterblichkeit
"Die Heilungschancen für diese Art von Krebs sind zwar ganz gut. Aber das tut nicht viel zur Sache, wenn man selbst betroffen ist. Da geht es vielmehr um die Frage: Bist Du gerade einer der wenigen, bei dem sich der Krebs vielleicht tatsächlich ausbreitet - in deinem Magen, in deiner Lunge, in deinem Kopf."
Heute gilt Kasper Bjørke als geheilt. Er wurde operiert und stand fünf Jahre unter ärztlicher Beobachtung. Rückblickend war diese Zeit für ihn eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen extremer Angst und Hoffnung. Ohne es zu wollen, sah er sich auf einmal mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Das Einzige, das ihm wirklich half, diese schwierige Phase zu überstehen, war die Musik:
"Als ich mich ans Musikmachen setzte, wollte ich diese Angst einfach nur loswerden. Und die Musik hat wirklich gewirkt! Viel besser als alle Arten von Therapien, die ich in dieser ganzen Zeit versucht habe."
Wie ein musikalisches Tagebuch
Entstanden ist "The Fifty Eleven Project", das als Konzeptalbum angelegt ist. Der Titel bezieht sich auf den Raum im Krankenhaus, in dem Bjørke untersucht wurde: Ebene 50, Bereich 11. Der Ausgangspunkt für eine Art musikalisches Tagebuch, das die emotionalen Aufs und Abs des Künstlers dokumentiert. Eine diffuse Wolke aus Synthesizern bildet die Basis, auf der schwere Streicher in helle übergehen, dunkle Klavier-Mollakkorde in Dur wechseln. Was mit einer fast unerträglichen, gedrückten Stimmung beginnt, löst sich schließlich in leichte Elektronica auf.
Bjørke konzentriert sich auf Stimmungen und hält die Stücke bewusst instrumental. Damit ist "The Fifty Eleven Project" alles andere als das, was man sonst von dem dänischen Club-DJ kennt: kein tanzbares Pop-Album mit elektronischen Beats, sondern ein gut zweistündiges Ambient-Werk mit Bezügen zur Neoklassik, analog instrumentiert mit Klavier, Streichern und Synthesizern.
"Ambient-Musik hat auf mich immer eine sehr entspannende Wirkung, ein bisschen wie Meditation. Auch das empfand ich als sehr wichtig während der Arbeiten an diesem Album; Ich wollte, dass es etwas ist, dass ich mir selbst anhören kann, um mich runterzubringen."
Krebs in der Popwelt ein Tabu
In der Hochglanzwelt des Pop ist Krankheit – insbesondere Krebs – ein Tabuthema. Nur wenige Musikerinnen und Musiker outen sich. 2014 machte Morrissey sein Krebsleiden publik, letztes Jahr erklärte Elvis Costello, dass er gegen einen bösartigen Tumor kämpft. Gerade deswegen ist es mutig von einem so jungen Mann wie Kasper Bjørke, öffentlich zu seiner Krankheit zu stehen. "The Fifty Eleven Project" ist ein Werk, das vor dem Hintergrund seiner Entstehung berührend ist und auch anderen Mut macht, die von der Krankheit betroffen sind. Für den Produzenten aus Kopenhagen ein schöner Nebeneffekt - und ein Impuls, Musik jetzt besonders einzusetzen:
"…um damit wichtige und schwierige Themen anzusprechen. Und mit zunehmenden Alter - jetzt, wo ich zwei Kinder habe - ist es mir umso wichtiger, so oft wie möglich zu Hause sein. Darum versuche ich jetzt mehr Musik zu machen, die einen anderen Sinn hat als im Club gespielt zu werden. Aber klar, ab und an kann ich auch mal einen leichten Track produzieren - es muss ja nicht immer alles so super ernst sein."