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"The Hard Problem" in Wiesbaden
Im Gefecht der Argumente  

Tom Stoppards Drama "The Hard Problem" ist ein Schlagabtausch unter Wissenschaftlern, der sich abstrakt liest, auf der Bühne des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden aber mit Leichtigkeit überzeugt. Regisseur Uwe Eric Laufenberg konzentriert sich auf die Augenblicke, wenn im intellektuellen Geplänkel emotionale Treffer fallen.

Von Cornelie Ueding | 17.09.2017
    Der britische Dramatiker und Filmautor Tom Stoppard im Londoner Stadtteil Notting Hill.
    Der britische Dramatiker und Filmautor Tom Stoppard. Für sein Drehbuch zu "Shakespeare in Love" wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet. (imago stock&people)
    Ob vor dem Frühstück oder nach dem Sex, ob beim Bewerbungsgespräch oder in der Kantine, ob Big Boss oder kleine Doktorandin – die Figuren in Tom Stoppards Spätwerk "The Hard Problem" reden immer so intelligent daher, als ob sie gerade als Teilnehmer eines philosophischen Quartetts oder eines Science Slam auf der Bühne stünden. Und als ob ihre wirkliche und einzige Leidenschaft im ebenso reflektierten wie reflexartigen Inszenieren philosophisch-erkenntnistheoretischer Grundsatzdebatten bestünde: Was ist Bewusstsein? Verfügt der Mensch über einen freien Willen? Oder ist er ein einzig auf Überleben programmiertes Konglomerat aus Gen-Schnipseln, Zellverbänden und billionenfach verschalteten Neuronen?
    Das klingt akademisch und sehr abstrakt. Und wenn man nur den wissens- und problembeladenen Text des Dramas vor sich hat, inklusive seiner übereifrigen menschlichen Argumentier-Automaten, mag man kaum an sein theatralisches Potenzial glauben. Doch dem Regisseur Uwe Eric Laufenberg ist es gelungen, diesem moralisch bemühten Dauergeplänkel über erste und vielleicht auch letzte Dinge spielerisch leichte Flügel zu verleihen.
    Schlagabtausch des Wissens
    Er hat diesen Schlagabtausch des Wissens, der Meinungen und Auffassungen in kurze, einander rasch abwechselnde Diskussionssequenzen zerlegt, mittenrein, mittenraus, ohne lange Bedeutsamkeits-Anläufe.
    Dazu eine elegant-schwerelose Umbaudramaturgie, wodurch die raschen Szenenwechsel im Halbdunkel zum Teil einer geheimnisvollen Verwandlung werden. Vor allem aber lässt er die jungen, beweglichen Schauspieler all die Thesen und Argumente nicht nur wiedergeben und präsentieren, sondern leidenschaftlich oder distanziert, wuchtig oder lässig verkörpern.
    "Na, damit wäre das Hard Problem ja gelöst!"
    "Der Grund, warum es Hard Problem heißt, du Affenarsch, ist doch gerade, dass das Körper-Geist-Verhältnis das Problem ist."
    Statt die Figuren zu karikieren und dem Gelächter preiszugeben, hat sich Laufenberg auf die Augenblicke konzentriert, wenn im wortgewandten intellektuellen Geplänkel emotionale, ja existenzielle Treffer fallen. Dann zerbricht für einen Moment die Illusion einer Kontrolle über alles und jedes.
    Und aus den coolen, sich so unberührbar gerierenden Retortenwissenschaftlern werden zerbrechliche Individuen, bevor sie – nur Sekunden später – in dem flapsig professionellen Experiment-, Daten- und Rivalitätsjargon ihrer Zunft Zuflucht finden. Es ist, als könnten sich die unterdrückten Gefühle ausschließlich im Gefecht der Argumente gefahrlos Bahn brechen.
    Nur der Hauptperson gelingt der Ausbruch
    Nur die Hauptperson, die Psychologin Hilary, verweigert sich der Vorstellung, das Gehirn sei eine Maschine. Und nur ihr wird es gelingen, aus dem Kuckucks-Nest der Hightech-Professionalität, diesem elitären "Krohl Institute for Brain Science", auszubrechen.
    In diesen knapp zwei Stunden erfährt man, dass der statistische Unschärfefaktor Mensch bis auf Weiteres doch noch nicht ganz eliminiert werden konnte. Und so wird die Frage nach der Materie-Bewusstsein-Relation, also das hochkomplexe und viel diskutierte "Hard Problem" zwar nicht wissenschaftlich, wohl aber menschlich und theatralisch überzeugend beantwortet.