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"The King" hat für jede Situation im Leben den Song

"Mein innerer Elvis" ist bereits der zweite Roman der jungen Schriftstellerin aus Berlin. Ihr Debütroman "Mein Vater, sein Schwein und ich" erhielt 2004 den Literaturpreis Prenzlauer Berg. Für "Mein innerer Elvis" bekam sie im Herbst vergangenen Jahres die LUCHS-Auszeichnung für das beste Jugendbuch im Oktober 2010.

Von Melissa Beyel | 11.08.2011
    Elvis Presley - wer kennt ihn nicht? Und: Der King lebt. Das denkt zumindest die 15-jährige Antje Schröder, die fest davon überzeugt ist, dass sie Elvis an ihrem Geburtstag, der zufällig auch sein Todestag ist, treffen muss und er ihr etwas sagen wird, das ihre Welt verändern wird. Doch dafür muss sie erst mal nach Graceland kommen. Wie eine Fügung des Schicksals erscheint es Antje, dass die Familie ausgerechnet in diesen Sommerferien nach Amerika reisen will, um dort den ehemaligen Arbeitskollegen des Vaters zu besuchen. Doch nach Memphis? Weit gefehlt. Zu den Niagarafällen soll es gehen. Als Antje in Amerika angekommen auch noch erfährt, dass ihre ehemalige Schulkameradin Nelly die Familie begleiten wird, scheint der Trip hoffnungslos verloren. Doch als Nelly plötzlich verschwindet und Antje sie suchen soll, ergibt sich die Chance, doch noch nach Graceland zu kommen. Nelly und Antje begeben sich auf einen waghalsigen Roadtrip quer durch Amerika. Auf der Suche nach Elvis - und nach sich selbst.
    Ich find einfach dieses Alter, 15/16 sehr interessant, weil das so eine absolute Umbruchzeit ist und weil ich finde, das da Dinge oft viel klarer zutage treten oder einem viel klarer erscheinen als später. Alles, was passiert ist, eigentlich ein ganz großes Ding, egal was. Und das finde ich einfach toll, aus so einer Perspektive zu schreiben, es macht einfach Spaß. Und es interessiert mich, einfach darzustellen, wie es ist sich selbst zu finden, das ist jetzt vielleicht ein bisschen banal ausgedrückt, aber überhaupt mal damit klarzukommen, wer man eigentlich ist oder wer man gerne wäre.

    Antje jedenfalls kommt so gar nicht damit klar, wer sie ist. Dick und nicht besonders schön findet sie keinen Anschluss zu anderen Jugendlichen in ihrem Alter. Mitten in der Pubertät ist es ja sowieso nicht leicht, sich selbst zu mögen. Mit einem cholerischen Vater und einer Paartherapeutin als Mutter wird die ganze Sache auch nicht unbedingt einfacher für Antje. Ihre kleine Schwester Klara, die ihren Urin in Gläsern mit sich herumträgt, erspart ihr keine Peinlichkeit. Ihre einzige Möglichkeit, dem alltäglichen Familienwahnsinn zu entkommen ist Elvis. Elvis hat für jede Situation im Leben einen passenden Song, findet Antje. Doch damit steht sie allein. Der Vater findet Elvis-Songs sind Oma-Musik, die Mutter hofft, dass Antje fetzigere Musik für sich entdeckt, damit sie über die Musik Anschluss zu Gleichaltrigen findet. Doch Antje bleibt ihrem Idol treu, verbunden ist sie mit ihm durch die Musik und die Fresssucht, die beiden gemeinsam ist.

    Aus meiner Sicht war es Elvis, weil Elvis Antje zu einer Außenseiterin macht, also selbst das, was sie absolut toll findet, macht sie noch zur Außenseiterin. Und das andere ist, dass Elvis unheimlich schöne Sachen mitgebracht hat, also die Legende um seinen Tod. Aus Antjes Sicht war der Gedanke eigentlich, dass sie in Elvis was sieht, was vielleicht in ihr selbst auch ist, was ihr aber selbst nicht so klar ist. Und zwar hat Elvis ja eigentlich so völlig die Kontrolle über sich und sein Leben im Laufe der Zeit verloren. Also auch über den Körper die Kontrolle zu verlieren. Und war aber eben trotzdem auf der Bühne, war immer noch sichtbar. Und ich glaub das ist es, warum ich dachte, dass es vielleicht Sinn macht, dass Antje in ihm was sehen könnte, was so eine Sehnsucht auslöst, weil er im Prinzip das, was sie bei sich sieht, ganz extrem verkörpert, aber eben trotzdem noch ein Popstar ist, jemand der zu einem absoluten Symbol geworden ist und der vielleicht auch ein bisschen den Schmerz verkörpert, den Antje hat.

    Und Schmerz verspürt Antje ständig. Nelly, die Tochter der amerikanischen Freunde, ist dünn, hübsch und talentiert. Sie führt Antje immer wieder ihre Fehlbarkeit vor Augen. Doch auf ihrem gemeinsamen Trip nach Graceland merkt Antje, dass auch Nelly nicht perfekt ist. Während des abenteuerlichen Roadtrips quer durch die Staaten, entwickelt sich zwischen den beiden Mädchen eine Freundschaft, die den beiden Kraft gibt und sie in ihrer Entwicklung voranbringt.

    Während des Trips macht Antje einen riesigen Sprung nach vorne. Mit Nelly trampt sie durch Amerika, stiehlt den Lebensunterhalt in Supermärkten zusammen, macht sich mit dem Greyhoundbus auf den Weg zu ihrem Idol. Sie übernimmt Verantwortung für sich und für Nelly. Ziel ist der Songcontest in Graceland, bei dem Antje schließlich selbst auf der Bühne steht und ihrem Idol somit immer ähnlicher wird.

    Antje ist eben in einer völlig anderen Situation, wo sie auch noch nie selbst war, das ist glaube ich auch wichtig, und dadurch ist die Chance eben wahnsinnig groß, was Neues an sich zu entdecken. Und natürlich auch, dass sie es tatsächlich schafft, sich alleine Fortzubewegen, mit dem Greyhoundbus zu fahren, dass macht sie stark.

    Antjes Entwicklung und das Erwachsenwerden ist das Thema dieses bemerkenswerten, weil originell konstruierten und im positiven Sinn routiniert geschriebenen Romans. Scheinbar unverbindlich beschreibt die 1978 in Bochum geborene Autorin die Problematik von Essstörungen und die verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers. Authentisch und humorvoll zeichnet Jana Scheerer ihre Charaktere. Die Protagonistin Antje, die angestrengt versucht, sich selbst zu finden. Sie beschreibt die Dinge auf ihre ganz eigene Art, ruppig und ehrlich. Gerade diese Ehrlichkeit macht die Figur der Antje so sympathisch. Es macht Spaß, sie durch diese beschleunigte Entwicklungsphase zu begleiten. Die Dialoge sind so köstlich, dass man sich selbst zurückgesetzt fühlt in die Zeit der eigenen Jugend. Antje bildet die perfekte Identifikationsfläche, in der sich jeder, zumindest in Ansätzen, wiederfinden kann. Probleme mit den Eltern, die erste Liebe und die Abenteuerlust. Obwohl der Ton des Buches locker und beschwingt ist, erzählt es doch eigentlich eine traurige Geschichte, die eindrucksvoll und berührend vom Leben einer Außenseiterin erzählt, die den Weg des Lebens erst noch finden muss. Elvis‘ Songs spielen dabei immer wieder eine Rolle, als Antjes Fluchtmöglichkeit, als ihre Hoffnung, als ihr Trost.
    Knallpink kommt dieser Roman daher, und die Aufmachung von "Mein innerer Elvis" nimmt vorweg, was den Leser erwartet: eine quietschbunte, lustige und lockere Geschichte über Musik und das Leben, die auch jenseits der Sechzehn herrlich amüsant und lesenswert ist.

    Jana Scheerer: Mein innerer Elvis, Schöffling Verlag, 17,95 Euro