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"The Wolf of Wall Street"
Grandiose Komödie und nervtötende Farce zugleich

Wölfe werden sich damit abfinden müssen, dass ihr Name schlecht beleumdet ist und mit Habgier, Fressucht, Mordlust verbunden wird. Der Ruf von Bänkern ist derzeit kaum besser. Der alte Regiewolf Martin Scorsese verarbeitet dies in seinem neuen Film "The Wolf of Wall Street".

Von Rüdiger Suchsland | 16.01.2014
    "My name is Jordan Belfort. The year I turned 26 I earned 47 Million Dollars which really pissed me of, because I just earned three millions less than one million a week"
    "Wir alle sind gestört. Wir alle haben Probleme. Ich möchte, dass ihr eure Probleme löst, indem ihr reich werdet!!!" - irgendwann hält Jordan Belfort, die Hauptfigur dieses Films diese Rede vor seinen Angestellten. Sie folgen ihm wie Jünger einem Propheten, wie Süchtige ihrem Dealer. Dabei ist er nur ein guter Verkäufer: Den "Wolf der Wall-Street" nennt man ihn schon früh, das Symbol seiner eigenen Firma ist der Löwe. Dass es sich in beiden Fällen um Raubtiere handelt, ist dabei nur schlüssig, denn die Welt des Finanzhandels in der wir uns hier befinden, sei ein Dschungel - so erklärt es Belfort selber, der auch der Erzähler dieses Films ist. Fressen und gefressen werden, das Recht des Stärkeren und das Überleben des Brutalsten seien die Naturgesetze des Lebens hier. Im Reich solcher Tiermenschen ist Belfort der König. Diesen Held des neuesten Films von Martin Scorsese, einer sarkastischen Komödie mit wahrem Hintergrund, gibt es wirklich, auch wenn Belfort in dieser Verfilmung seiner Memoiren eher erscheint, wie eine Kunstfigur, wie eine Romangestalt, aus den überhitzten Epen der amerikanischen Postmoderne. Noch mehr als das ist er ein Bruder im Geiste jener psychopathischen Normalmenschen, die Scorsese immer wieder ins Zentrum seiner Filme stellte: den "Taxi Driver", den "wilden Stier" Jake LaMotta, den Mafia-"Goodfella" Henry.
    Leonardo DiCaprio spielt Belfort freundlich geschmeidig
    Leonardo DiCaprio spielt diesen Belfort als freundlich Geschmeidigen, der dabei von einem schmierigen Schurken nicht zu unterscheiden ist. Perfekt fügt sich dieser gelungene Auftritt in eine Reihe mit den letzten Rollen dieses Darstellers, mit dem Sklavenhändler Calvin Candie in Tarantinos "Django Unchained" und dem dekadenten Multimillionär "The Great Gatsby" - wären dies nicht die Filme drei verschiedener Regisseure könnte man sie auch für ein Tryptichon des amerikanischen Kapitalismus der letzten 150 Jahre halten.
    Exzess, Brutalität und Hedonismus sind die Wesenszüge dieser speziellen Ökonomie, und da alle drei Filme das, was sie zeigen, auch moralisch kritisieren, so sehr sie zugleich davon ästhetisch fasziniert sind, erkennt man in dieser Kritik natürlich auch eine sehr amerikanisch-puritanische Betrachtungsweise: Unmoral allein ist nicht das Problem - um Abscheu zu erregen braucht man Perversion, Ausschweifungen verschiedenster Art, immer hormon- und testosterongesteuert. Diese Kapitalisten haben allesamt nichts von jener "protestantischen Ethik" und sinnenfeindlicher innerweltlicher Askese, die man seit Max Weber dem Kapitalismus nachsagt.
    Für das Kino ist das wunderbar, denn es lebt vom Zeigen und Hingucken - und Schauwerte gibt es hier reichlich. Teuerste Mode, edle Karossen, Luxus-Jachten, Nobelsuiten, Geldbündel, Edelsteine, man trinkt Champagner oder harte Drinks, speist löffelweise Kaviar und Kokain, Aufputsch- und Schlaftabletten, die Frauen sind so schön, wie leicht bekleidet - einfach alles ist hier etwas zu viel.
    Es sind geschmacklose Kleinbürger, skrupellose, nihilistische Typen, die um jeden Preis hochkommen wollen - darum geht es Regisseur Scorsese: Er zeigt die Finanzwirtschaft als neue Barbarei und nur eine andere, zeitgemäßere Form des Gangstertums, das er immer wieder portraitiert hat. Nicht nur skrupellos und über Leichen gehend sind diese Kapitalmafiosi, sondern auch geschmacklos, neureich, derb. Als die Verbrecher noch Stil hatten, versündigten sie sich wenigstens nicht am guten Geschmack.
    "Nobody knows... If the stock is gonna go up, down, sideways or in circles... "It's a fake?" - "It's a ferghazi ferwuzi, fairydusty ..."
    Hysterisch und überhitzt ist sein Film
    Scorsese will das Lebensgefühl einfangen, hysterisch und überhitzt ist sein Film, ist grandiose Komödie und nervtötende Farce. Man kann dies nicht ernst nehmen, muss es aber doch.
    In den USA, wo "Wolf of Wall Street" seit ein paar Wochen läuft, wurde er denn auch von beiden Seiten angegriffen: Er stelle das Börsenmilieu zu böse dar sagen die einen, andere reden von Frauenhass und Drogenverklärung. Aber Scorsese macht sich nur den Blick seiner Figuren zu eigen.
    Damit ist ein Selbstwiderspruch des liberalen Hollywood benannt: Dass es für das, was es moralisch und in seltenen Fällen politisch angreift, zugleich oft genug, und auch hier, ästhetisch Propaganda macht: Scorsese zeigt Kranke, die ein Leben im permanenten Exzess führen, Menschen, für die nicht nur Geld und Ausbeutung eine Droge sind, sondern auch Sex, Koks und Alkohol; Gestörte, die sich therapieren, indem sie immer reicher werden - aber er ist von diesen Perversen auch zynisch fasziniert.
    "Was all this legal? Absolutely not"
    Vielleicht hat es sie immer gegeben, vielleicht ist das ja nur menschlich-allzu menschlich. Unsere Gesellschaft jedenfalls hat sich entschlossen, diese Exzesse zu erlauben und lieber andere Dinge unter Strafe zu stellen: Rauchen, Fett sein und Glühbirnen.