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Theater an der Wien
Mendelssohns "Elias" - ohne Hoffnung und Hilfe

Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium erzählt die grausame alttestamentarische Geschichte des Propheten Elias. Regisseur Calixto Bieito hat das Werk am Theater an der Wien inszeniert. DlF-Kritikerin Franziska Stürz ist von der eindimensionalen szenischen Umsetzung enttäuscht.

Von Franziska Stürz | 18.02.2019
    Der Dirigent Jukka Pekka Saraste und Regisseur Calixo Bieito bei der Premiere von "Elias" am Theater an der Wien
    In musikalische Tiefen ist Regisseur Calixto Bieito bei aller Begeisterung für den grausamen Stoff von "Elias" nicht vorgedrungen, findet DlF-Kritikerin Franziska Stürz (picture alliance/dpa - Karl Schöndorfer)
    Felix Mendelssohn Bartholdy hat sich Zeit gelassen für seinen "Elias". Gerade die dramatischen Elemente in seinem Oratorium haben dem Komponisten Kopfzerbrechen gemacht. Zehn Jahre arbeitete er mit Unterbrechungen an dem Stoff, für den ihm der Dessauer Pfarrer Julius Schubring aus den Psalmen und Kapiteln der Propheten den zugrundeliegenden Text schreib. Mendelssohn wollte die Figur des Propheten aus dem alttestamentarischen 1. Buch der Könige als starke, eifrige, zornige und finstere Führergestalt portraitieren, die sich gegen den Rest der Welt stellt - wie auf Engelsflügen getragen von einer göttlichen Kraft.
    Wovon das Oratorium "Elias" handelt
    Im 9. Jahrhundert vor Christus herrschte in Israel König Ahab, der mit der Phönizierin Isebel verheiratet war. Die war Anhängerin des Baalskultes, und immer mehr Israeliten wechselten zu diesem Glauben über. "Elias" vertritt vehement den Glauben an den einen Gott. Um das abtrünnige Volk zu strafen, verkündet er eine große Dürre, verlässt die Gemeinschaft, wirkt Wunder, die das Volk bekehren und lässt nach seiner Rückkehr die Baalspriester töten. Doch König Ahab und Isebel lassen sich nicht bekehren und "Elias" flieht erneut in die Wüste und verkündigt Gottes Wort, bis er in einem Feuerwagen gen Himmel fährt.
    Dem Chor als Stimme des Volkes kommt nach Bach'schem Vorbild eine große Aufgabe zu, die Solorollen sind neben "Elias" König Ahab, die Königin Isebel, der Priester Obdajah und eine Witwe. Es singen aber auch ein Knabensopran und mehrere andere Solostimmen. Denen hat Calixto Bieito für seine Wiener Version des "Elias" eigene Charaktere zugeordnet: Es gibt eine schwangere Frau als Wartende und eine als Seraph bezeichnete irre weibliche Narrenfigur. Als von Bieito erfundener Engel gleicht die estnische Mezzosopranistin Kai Rüütel einer Marlene Dietrich im schwarzen Hosenanzug mit weißen Federflügeln. Doch in Bieitos "Elias" gibt es keinen guten Engel. Kühl und bedrohlich steht die Sängerin meist hinter Christian Gerhaher als "Elias". Der trägt ein orangefarbenes Karohemd, schwarze Jacke und helle Cargohose. Er könnte Ingenieur sein, oder Tierarzt, oder vielleicht Lehrer. Dass dies aber überhaupt keine Rolle spielt, vermittelt Christian Gerhaher mit leicht entrücktem Gesichtsausdruck auf wunderbare Weise. Er ist ein ganz normaler Mensch, der aber nicht zur verzweifelt nach Halt suchenden Masse dazugehört.
    "Elias" - ohne Hoffnung und Hilfe
    Ein behütendes, wachendes göttliches Wesen, wie es in der Musik und im Text beschrieben wird, zeigt Bieito in diesem "Elias" nicht. Seltsam distanziert wirken dann auch sowohl das Doppelquartett "Denn er hat seinen Engeln befohlen" als auch das Engelsterzett "Hebe deine Augen auf". Hoffnung oder Hilfe bleiben bei Bieito aus. Die männlichen Solisten deutet der Regisseur als der Suchende, der Bittende und der Verlorene. Die verschiedenen Leidens- und Verzweiflungsgesten ziehen sich durch den gesamten Abend, zwischen den einzelnen Musiknummern hört man es von der Bühne japsen, stöhnen und jammern.
    Karg und düster ist auch der von Rebecca Ringst gestaltete schwarze Bühnenraum: Aus der hintersten, vernebelten Tiefe taucht ein Kirchenbau aus brauner Wellpappe auf und wird von Männern mühsam nach vorne gezogen. Der gesamte Arnold Schönberg Chor umkreist in Trenchcoats und Alltagskleidung diesen Kirchenbau, dann wird er während des flehenden Gesangs um Gottes Hilfe umgestoßen und die Pappwände von allen in kleine Stücke zerfetzt. Das macht ziemlich viel Geräusch zu Mendelssohns Musik, was den Regisseur und erstaunlicher Weise auch den Dirigenten Jukka-Pekka Saraste anscheinend nicht stört.
    Kein Sog entsteht
    Straff und schnörkellos führt Saraste das ORF Symphonieorchester, Chor und Solisten durch die kaleidoskopartig zusammengesetzten Teile des Oratoriums. Die Vorstellung läuft gut zwei Stunden durch. Eigentlich sollte dadurch ein Sog entstehen, doch nach etwa einer Stunde und dem Ende des ersten Teils hat sich das szenische Konzept von Bieito dem Zuschauer erschlossen und die Möglichkeiten seiner Personenführung wirken bereits erschöpft. Immer wieder umkreist der engagierte Chor "Elias", stellt sich dann wieder an der Rampe auf um drohend oder flehend in das Publikum zu singen.
    Auf der Bühne gibt es außer der zerfetzten Pappkirche noch kalt glänzende metallene Gitterwände, die sich herabsenken und bewegen lassen und zweimal kurze Videoprojektionen von "Elias" und in Zeitlupe fliegenden Raben. Wenn Gott dem dürstenden Volk endlich wieder Regen schickt, fängt es tatsächlich an, laut plätschernd aus dem Schnürboden des Theaters an der Wien zu schütten. Wenig überraschend und wenig bedeutungsvoll ist das. Wonach dieses Volk dürstet, was ihr Ersatzgott Baal zu bieten hat, dazu nimmt Bieito kaum Stellung. Ja, es gibt geldgierige Anzugtypen unter dem Volk, es gibt lüsterne Nonnen und Pfarrer, doch als endlich der Regen kommt, schwenken die Menschen ihre Mäntel und spritzen ausgelassen auf den aufgeweichten Kirchenpappfetzen umher. Alles sehr schön real, aber auch erschreckend unpoetisch. Vor allem wird der mystische Zauber in Mendelssohns Musik von der Szene enorm abgeschwächt.
    Keine musikalischen Tiefen
    Der Arnold Schönberg-Chor gestaltet die riesige Chorpartie äußerst differenziert, Maria Bengtsson singt als für ihr totes Kind flehende Witwe die dramatisch stärkste Szene, und ihr weicher Sopran berührt auch in der großen Arie "Höre Israel". Doch in ihrem Dauer-Leid wirken alle Figuren irgendwann eindimensional. Christian Gerhaher vollbringt das erlösende Wunder des Abends mit seiner enormen vokalen Gestaltungskraft. Er spannt den gesanglichen Bogen vom leisen Sprechgesang bis hin zum donnernden Opernforte und schüttelt die nach ihm greifenden neurotisch irrlichternden Menschen um ihn herum immer wieder ab. Durch Gerhahers Gesangskunst kommen die Tiefe Bedeutung des alttestamentarischen Textes, das Ringen um die richtige Entscheidung viel stärker zur Geltung, als durch alle bedeutungsschweren Aktionen auf der Bühne. Ob sich "Elias" zu seinem eindringlichen Gesang nun die Arme mit Blut beschmiert, oder am Ende vergeblich versucht, sich anzuzünden, bleibt erstaunlich unwichtig.
    In die musikalischen Tiefen ist Calixto Bieito bei aller Begeisterung für den grausamen alttestamentarischen Stoff nicht vorgedrungen. Die Enttäuschung über die eindimensionale szenische Umsetzung macht sich daher bei einem Teil des Publikums in lauten Buhrufen Luft. Manch einer kann das gar nicht nachvollziehen - skandalös oder provokant ist diese szenische Deutung ja auch nicht. Eine neue, sinnvolle Dimension für Mendelssohns Werk bietet sie aber auch nicht.