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Theater der Migranten
Nächtliche Expedition auf Berliner Gewässern

Immer mehr Theater in Deutschland beschäftigen sich mit dem Thema Flüchtlinge. In Berlin wagt man eine abenteuerliche Floßfahrt, um die Strapazen der Flucht und der Reise darzustellen. Doch Antworten auf die vielen, auch politischen Fragen liefert dieser Abend nicht.

Von Hartmut Krug | 25.07.2015
    Keine Spielzeitvorschau, in der deutsche Theater nicht das Thema "Migration" hervorheben und Projekte im Theater oder outdoor ankündigen. So eröffnet Matthias Lilienthal seine Münchner Kammerspiele mit einem Wochenende zum Thema Flüchtlinge. Und ein Theaterverlag offeriert gleich ein Dutzend Stücke zum Thema zur Uraufführung. Heftig diskutiert wurde in der abgelaufenen Spielzeit nicht nur beim Theatertreffen (dort anlässlich Nikolas Stemanns Inszenierung von Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen"), wie und ob die Betroffenen selbst spielen oder ob sie von Schauspielern verkörpert werden sollten. Dokumentartheater oder Kunsttheater, das blieb die offene Frage.
    Das freie Berliner "Theater der Migranten" versprach mit seinem Projekt "Herz der Finsternis", sich einigen der offenen Fragen zu stellen. Ihre Aufführung begann in einer heruntergekommenen Fabrikhalle am hier in die Spree mündenden Landwehrkanal: Das Publikum wird in bürokratischer Prozedur überprüft. Die Kontrolleure sind schwarz, das Publikum ist weiß. Die Kontrolle ist absurdes Theater: "Essen sie gern Kartoffeln?", wird gefragt, oder "Wieviel Geld haben sie im Kopf?" So wird Migrationsalltag simuliert, ohne auf die Empörungsdrüse zu drücken.
    "Wohin? Nach Europa. Ah, Schön."
    Dann dürfen Zuschauer aus kräftiger Folie ein Faltboot bauen, und hinaus geht es in einen Park. Mit dem Boot. Das muss durch feiernde, biertrinkende Menschenmassen geschleppt werden. Denn wo sich Kreuzberg und Treptow begegnen und ein DDR-Wachturm daran erinnert, wo einst die Berliner Mauer stand, hat sich entlang des Landwehrkanals eine Lokal- und Partyzone entwickelt. Das wilde, lautstarke Treiben hält eine im Kongo geborene und in Saarbrücken aufgewachsene Theaterreiseleiterin nicht davon ab, unentwegt angstbesetze Sätze aus Joseph Conrads "Herz der Finsternis" zu zitieren. Hügel auf, Hügel ab geht es, mit einer Pause in einer Holzhütte, in der ein komischer schwarzer Alter die Zuschauer in unverständlicher Sprache zum Mitheulen auffordert.
    Es ist dunkel, als die Zuschauer zu einem schicken Holzfloß kommen und mit ihm zur "nächtlichen Expedition auf Berliner Gewässern" starten. Während von den Kanalrändern und Brücken fröhliches Treiben schallt, erklingt auf dem Floss vom Band die biografische Erzählung eines Mannes aus Timbuktu. Vor dem Krieg durch halb Afrika flüchtend, auf allen Stationen nur Ausbeutung und Todesgefahren erlebend, wurde er schließlich durch ein deutsches Schiff von seinem im Mittelmeer treibenden Boot gerettet. Nun wartet er in Berlin auf sein Asylverfahren. Insgesamt also ein schrecklich typisches Migrantenschicksal.#
    Keine Antworten auf politische Fragen
    Während an den Ufern gelegentlich Darsteller Schilder emporhalten mit Texten wie "Meistens keine Nachrichten" oder "Seht ihr überhaupt was?", hat der Zuschauer Zeit, über diesen merkwürdigen Theaterabend nachzudenken. Hier können Migranten Theater spielen. Gut. Was noch? Neues, informatives oder emotionales zur Migration bringt dieser Abend nicht. Er bleibt tatsächlich nur nette Unterhaltung für Wohlmeinende. Allerdings eine mit viel Ehrgeiz auf Seiten des polnischen Regisseurs Olek Witt. Denn eine symbolträchtige Projektion zeigt Hyänen und Geier, die um eine Tierleiche kämpfen, und später sieht und hört man auch noch den berüchtigten Kongo-Müller, der als Söldner in Afrika behauptet, für die westlichen Ideale zu streiten. Und wenn wir an unwirtlicher Stelle ausgeladen worden sind, bellen Hunde und bewaffnete Schwarze bedrängen uns im Fackellicht. Auf Gleisen wird ein Klavier gespielt und, wie erwartet, Heiner Müller zitiert, eine weiße Frau erfährt, "Die weiße Revolution ist vorbei", und in einem Haus müssen wir über die Leichen von Schwarzen hinwegsteigen.
    Je nun, da helfen auch nicht mehr das Paradies mit Diskokugel und die Schnittchen, serviert von freundlichen Schwarzen, die sich weiße Hemden überstreifen. Gut, wir haben verstanden, dass uns der Abend zwei gegenläufige Haltungen verdeutlichen will. Conrads Text zeigt, wie die Weißen das schwarze Afrika angstbesetzt mythisieren und dämonisieren, während der Schwarze aus Timbuktu seinen Hoffnungsblick auf den Westen richtet.
    Aber was soll der Zuschauer, nun ja, lernen, empfinden oder nachempfinden? Für die vielen, auch politischen Fragen, die eine mittlerweile exzessive Beschäftigung der Theater in Deutschland aufwirft, liefert dieser Abend nichts.