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Theater
"Franz Biberkopf" am Schauspiel Frankfurt

Mit ihrer Inszennierung von "Die Geschichte vom Franz Biberkopf" ist Regisseurin Stephanie Mohr am Schauspiel Frankfurt eine kühne theatralische Umsetzung von Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" gelungen. Es ist ein Balanceakt zwischen Klamauk und Katastrophe, Spiel und Schrecken, der aber nie den Menschen aus dem Blick verliert.

Von Cornelie Ueding | 18.09.2015
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (Hessen), aufgenommen am 09.12.2013.
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Kunstfiguren wie aus der commedia dell`arte im leeren Bühnenraum: Halbseidene und grobgestrickte Ganoven, schlurfend anwackelnde Witwen, fragwürdige Kumpane, kichernde leichte Mädchen, die Franz Biberkopf umtanzen, umgarnen und betören. Er allein ohne Schminke und Maske - und mit dem festen Entschluss im Herzen, nach den vier Jahren Knast, die er eben abgesessen hat, nun endlich ein "anständiges" Leben zu führen. Robust und stämmig strotzt er geradezu vor peinigend urtümlicher Stehaufmännchen-Mentalität. Doch wer sich einen Freund wie den schwerstkriminellen Zyniker Reinhold als "Arbeitspartner" aussucht, der braucht nicht Tod noch Teufel, um mit diesem Plan spektakulär zu scheitern. Ja, auch der Tod spielt mit, ist allgegenwärtig in Stephanie Mohrs surrealem Morality Play, ihrer kühnen theatralischen Umsetzung von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz".
    Mit bleichem Schädel und verschlagenem Blick, die riesigen Zähne eines lippenlosen toten Mundes ins Gesicht gemalt, wippt der Bühnen-Tod elegant im Takt der Musik, ist mal stummer Beobachter, dann wieder redseliger Kommentator oder kumpeliger, freilich unerbetener Ratgeber. Und Martyn Jaques, der Frontman der englischen Punk Cabaret Band The Tiger Lillies, mutiert zu einer beklemmend hybriden Mischung aus Trickser, Teufel und Clown.
    Dazu eine Stimme von oben: Hiob als biblische Referenzfigur – und Treppen in die Tiefe; in die Höhe fahrende und wieder versinkende Spielinseln; die notwendigen Requisiten: Kneipentresen, Klamotten, Möbel und der Baum-unter aufgehängte Mord-Wald hängen im Bühnenhimmel, schweben bei Bedarf ein. Alles was auf Franz einströmt, auf ihn einwirkt, nimmt konkrete Gestalt an, wird Situation, Stimme.
    Die kalte Bildersprache leerer Gemeinheit
    Diese höchst künstliche Spielform, die Ansammlung von Theaterrequisiten und Mythenzitaten ist an keiner Stelle überladen und beliebig. Sie nähert sich kongenial dem Duktus des Textes von Döblin selbst an: Auch er erzählt die Geschichte des kleinen, armen Franze B. aus höherer Warte, im wahrsten Sinn von oben herab, und beschreibt dessen unaufhaltsamen Absturz nicht ohne Sarkasmus. Stephanie Mohr gelingt der theatralische Hochseil- und Balanceakt zwischen Klamauk und Katastrophe, Spiel und Schrecken, weil sie keinen Moment aus den Augen verliert, dass dieser eine Mensch, dieses zerbrechlich-robuste, unrettbar törichte und zugleich in seinem guten Willen unendlich anrührende Wesen das alleinige Zentrum ist, um dessen Erforschung auf offener Bühne sich alles dreht. Dieser kuriose Typ, kraftprotzig noch als einarmiger Krüppel, bestürzend naiv in seiner hündischen Bemühung um die Gunst des wahrhaft satanischen Reinhard, reingelegt und verkauft, betrogen und belogen nach Strich und Faden, beschäftigt alle anderen - und auch uns. Der Frankfurter "Biberkopf" ergeht sich nicht in derber Drastik und neorealistischer Mimikry, um Emotionen freizusetzen. Es ist die kalte Bildersprache leerer Gemeinheit – etwa wenn Reinhold Franz’ Geliebte mit einem ebenso professionellen wie gleichgültigen Griff ermordet – die so beklemmend ist. Und niemand soll mit Franz Mitleid haben. Er wird und muss einsehen, dass es sein größter Fehler war, einem abgrundtief gemeinen Typen wie Reinhold sein Glück, seine vertraute Beziehung zu Mieze zu zeigen. In diesem Moment sprach er ihr und sein Todesurteil. Er selbst – und nicht das Schicksal – ist Ursache seines Hiobs-artigen Leidens.
    Am Ende schnell ein letzter, schräger Witz: Biberkopf überlebt – als Clown. Eine – blitzartige – Erkenntnis, die die gesamte Klaviatur des theatralischen Spiels überzeugend zusammenhält. Dann sinkt die ganze Frankfurter Puppenkiste ins Grund- und Bodenlose und alle zusammen gehen im Gleichschritt, rechts, links, der anklingenden Hitler’schen Marschmusik unter.