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Theater in Europa
Nationale Themen statt Vielfalt

Rechtskonservative, völkische, nationalistische Politiker versuchen in ganz Europa seit einiger Zeit, das Theater zum Kulturkampfplatz zu machen: in Flandern und Ungarn wie in Deutschland, wo die AfD immer wieder Angriffe aufs Bühnenprogramm versucht. Aber der Widerstand wächst.

Von Eberhard Spreng | 11.02.2020
Widerstand gegen rechts: Milo Rau leitet das Nationaltheater Gent
Widerstand gegen rechts - Milo Rau leitet das Nationaltheater Gent (imago / Tagesspiegel / Doris Spiekermann-Klaas)
Seit dem Herbst letzten Jahres regt sich Widerstand gegen die Kulturpolitik der von der N-VA angeführten Regionalregierung in Flandern. Ein Zentrum der Proteste ist das vom Schweizer Milo Rau geleitete NTGent:
"Es ist ganz klar eine politische Entscheidung: Die wollen keine liberalen Künste mehr, die wollen keine offene Gesellschaft mehr. Medien und die Künste sind das Wichtigste, um einen Diskurs am Laufen zu halten über das, was man ist oder sein will; aber auch, um Minderheiten zu Wort kommen zu lassen. Damit wollen sie Schluss machen, obwohl man dann Flandern ganz ohne Grund von der europäischen künstlerischen Landkarte verschwinden lässt."
Auch deutsche Theatermenschen, insbesondere in den neuen Bundesländern, kennen seit einiger Zeit die von der AfD betriebenen Versuche, die Themen-Bandbreite dessen, was an Theatern verhandelt wird, zu beschneiden. Zum Beispiel in Dresden, dessen Staatsschauspiel von Joachim Klement geleitet wird:
"Ich glaube, dass sie Angst haben vor der Öffentlichkeit, vor der Meinungsbildung, für die das Theater immer noch steht. Mein Eindruck ist einfach, dass diese Räume besetzt werden sollen, damit es quasi eine Hoheit über die Meinungsbildung gibt."
Angebliche "Mehrheitskultur"
Ziel der nationalistischen Parteien in Europa ist es auf Dauer eben nicht nur, in der Vielfalt politischer Meinungsäußerungen rechte Argumente wirksam zu platzieren, sondern die diskursive Vielfalt selbst zu ersetzen durch einen einheitlichen kohärenten Nationaldiskurs. Nirgends wird dies so konsequent umgesetzt wie in Ungarn, wo András Dömötör derzeit in einem halb zu Tode gesparten Katona Jószef Theater versucht, ohne Kostüme und Bühnenbild Theater zu machen:
"Die neue Kulturideologie fordert vom Theater, dass es poetisch, national und gesund zu sein hat, was auch immer damit gemeint ist. Es wird behauptet, die Menschen hätten genug vom kritischen Theater und bräuchten Hoffnungen, ein anderes und besseres Leben, voller Träume - Dinge, die ich Kitsch nennen würde. Sie sagen, unser Theater löse keine Probleme; sie behaupten sogar, es schaffe nur das Böse."
Eine Denkfigur findet sich in fast allen national-identitären Parteien in Europa: Sie kämpfen in Rückbesinnung auf eine eng gefasste Nationalästhetik gegen eine als dominant empfundene Mehrheitskultur. Dabei ist völlig egal, was da als dominante Instanz eingesetzt wird. In Flandern ist es unter anderem die jahrzehntelang als Unterdrückung wahrgenommene französisch-wallonische Vorherrschaft. Für die deutsche AfD ist es die Kulturherrschaft der "internationalen Vagabunden", wie es im Sachsen-Anhaltinischen Landtag hieß. Feind ist die diverse Gesellschaft, und der Grundaffekt ist der einer Revanche an einer als links verstandenen Kultur. Der künstlerische Leiter des Königlichen flämischen Theaters in Brüssel, Michael De Cock, hält das für einen Denkfehler:
"Sie irren, wenn sie glauben, das Theater sei eine Domäne einer bestimmten Linken. Das ist Blödsinn. Die Rechten gehen genauso ins Theater wie die Linken, und dasselbe gilt auch für die Menschen, die Theater machen."
"Erklärung der Vielen"
In Flandern scheint der neoliberale Nationalist Jan Jambon derzeit still und heimlich von seinen radikalen Theaterkürzungen Abstand zu nehmen. Vielleicht liegt es an einer wirtschaftlichen Einsicht, deren Hintergründe Milo Rau erklärt:
"Investment und Outcome sind nirgends so gut wie bei den szenischen Künsten und überhaupt bei der Kunst. Also, ich habe eine Zahl gehört: Zwölf Prozent, was am Gesamtumsatz von Flandern durch künstlerische und Medienarbeit produziert wird, aber nur etwas mehr als ein Prozent der Steuern werden darin investiert. Das ist eine Verzwölffachung. Es gibt keinen anderen Bereich, der so gut dasteht.
Ein entschlossener zivilgesellschaftlicher Protest gegen die geplanten Kürzungen in Medien und Kultur hat in Flandern fürs erste eine Partei aufgehalten, die den Begriff "flämische Identität" neunzehn Mal in ihren Koalitionsvertrag schrieb. In Deutschland hat sich die Zivilgesellschaft unter anderem mit der "Erklärung der Vielen" im Kulturkampf erfolgreich positioniert. In Ungarn ist der Ausgang völlig offen: András Dömötör empfindet sich mittlerweile wie im Ghetto: als Teil einer verschworenen Theatergemeinschaft - und ignoriert von den auf Orbán-Linie gebrachten Medien.