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Theater
Neustart in Basel

Im Theater Basel hat die neue Intendanz von Andreas Beck begonnen. Zum Auftakt wird das Aids-Stück "Engel in Amerika" gegeben, inszeniert von dem australischen Regie-Shootingstar Simon Stone. Zusammen mit Stone will Beck an die Baseler Dramaturgie anknüpfen, die einmal der große Friedrich Dürrenmatt prägte.

Sven Ricklefs | 25.10.2015
    Aids heißt das Kainsmal der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts und die Schwulen sind es, die sterben. Kläglich, ausgegrenzt! Auch in Tony Kushners "Engel in Amerika": Sie sterben als Dragqueen oder als einflussreicher Anwalt im Establishment der Politik. Eine "schwule Fantasie über nationale Themen" nennt der Autor seine überaus erfolgreiche Mischung zwischen schwulem Rührstück und politischer Analyse über eine Zeit, in der der vermeintliche "Schwulenkrebs" seinen grausamen Siegeszug hält, während Ronald Reagan an der Macht ist und der Neoliberalismus sich in die Gesellschaft frisst.
    "Homosexuelle sind nicht Männer, die mit Männern schlafen, Homosexuelle sind Männer, die niemand kennen und die niemand kennt. Einfluss gleich null. Klingt das nach mir, Henry?
    Nein.
    Nein."
    So als schlüpften sie noch einmal aus der historischen Distanz in ihre Rollen, so sitzen die acht Schauspieler nun in Basel vor ihren Schminktischen, um von dort aus die wenigen Spielorte der ineinandergleitenden Szenen zu bespielen, das Sofa, das Bett, den Stuhl. Später allerdings wird der Himmel über ihnen einkrachen, den Kushners Stück macht bekanntermaßen nicht halt vor Engel oder Toten, die sein Sittengemälde aus dem Jenseits bevölkern.
    Simon Stone als Hausregisseur
    Simon Stone der australische Shootingstar der deutschsprachigen Regie, hat sich diesmal fast konventionell eng an die Vorlage gehalten und bringt sie mit dem ihm allerdings eigenen Gefühl für szenischen Rhythmus in ihrer ganzen epischen Breite auf die Bühne. Sechs Stunden lang. Trotzdem schaut man seinem bravourösen Ensemble gerne beim Erzählen einer Geschichte zu, in der man die Wurzeln der gesellschaftlichen Gefühlskälte unserer Tage erkennt. Dass Stone sonst gern Klassiker mit eigenen Texten überschreibt und damit nah an die Gegenwart heranholt, das hat er zuletzt etwa mit Ibsens "Jon Gabriel Borkmann" bewiesen, der bei den Wiener Festwochen Premiere hatte, und der eine Koproduktion mit dem neuen Theater Basel ist. Mit dieser Technik der Überschreibung will Basels neuer Intendant Andreas Beck sein Theater prägen und hat sich deshalb u. a. Simon Stone als Hausregisseur gesichert. Beck will damit anknüpfen an die sogenannte Baseler Dramaturgie, die einmal der große Hausgeist Friedrich Dürrenmatt prägte:
    "Ja die Basler Dramaturgie, also das, was Dürrenmatt meinte, war, dass man den Klassiker vom heute aus nicht nur interpretieren sollte, also sprich durch den Kunstgriff der Regie neu befragt, sondern tatsächlich ging es dabei auch um eine literarische Pointierung könnte man es nennen oder Überschreibung oder ein literarisches sich am klassischen Text reiben. Und das war für mich, der ich als Spezialist für Gegenwart oder für Autoren oder Stückentwicklung in Wien arbeitete genau der Punkt, der mich dann wieder interessierte, die Autorinnen und Autoren, mit denen ich gearbeitet hatte, nun in das Stadttheater nicht nur zu führen, sondern da auch noch mal mit Stoffen, mit Mythen mit auch bekannten Geschichten auch zu konfrontieren und zu befragen, wie ihre – also die dramatische Antwort ist vielleicht zu viel gesagt - aber: Bespiegelung und Reflexion darauf sein könnte.
    Das neue Theater Basel bezieht politisch Stellung
    Andreas Beck hat sich junge Regisseure um die 30 in das Leitungsteam des Schauspiels geholt, das zugleich auch genreübergreifend arbeiten soll, weswegen etwa auch Julia Hölscher dazugehört, die bereits Opernerfahrung hat. Sie steuerte bei diesem Baseler Auftakt ihre Adaption von Dorothee Elmigers Roman "Schlafgänger" bei. Mäandernd hat die Autorin darin die Themen Flüchtling, Fremdsein und Grenze umkreist und ein Stimmengewirr geflochten. Hölscher nun lässt in ihrer Bühnenversion sieben Schauspieler auf durchaus auch amüsante Weise durch eine Art Schlaflandschaft irren und erreicht damit genau jene Leichtigkeit, die auch den Roman von Dorothee Elmiger zu einem Ereignis macht. Und so bezieht das neue Theater Basel gleichsam im Nebenbei gleich auch noch auf eine sehr poetische Weise politisch Stellung in einem Land, das seiner Fremdenfurcht und Zugbrückenmentalität gerade durch ein Wahlergebnis auf beunruhigende Weise Ausdruck verliehen hat.