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Theater
Nummernrevue von Nico and the Navigators

Vor gut 20 Jahren schrieb der österreichische Dramatiker Peter Handke das Stück "Die Stunde da wir zu viel voneinander wussten". Als Versuch, sich anzunähern und zu verfehlen hat die Performance-Theatertruppe "Nico and the Navigators" das Stück auf Kampnagel in Hamburg mit Tanz und Gesang realisiert.

Von Michael Laages | 25.04.2015
    Leider ist schon der Titel kaum mehr als ein schaler Scherz ... denn wer jetzt ernstlich überprüfen wollte, ob die Figuren der Theatermacherin Nicola Hümpel nun „zu viel" voneinander wissen oder nicht doch (ganz wie bei Handke) gar nichts, geht in die Irre. Das Spiel mit Handkes Motto hat sicher die Aufmerksamkeit für die freie Produktion erhöht– inhaltlich bringt es gar nichts. Wie in Handkes schöner Fantasie über den Reichtum an Bildern, der aus dem Nichts an Worten entsteht, driften hier zwar nicht wie im Original 300, aber doch mehrere Hände voll Menschen umeinander herum, aneinander vorbei und für Sekunden nur miteinander dahin, die nichts voneinander wissen; bestenfalls das eine oder andere Vorurteil haben sie dem Gegenüber gegenüber. Und auch mit unseren Vorurteilen spielt Nicola Hümpels szenisches Arrangement in den besten Momenten – wenn etwa eine vollverschleierte Burkaträgerin und ein als Nonne verkleideter Mann mit genau den gleichen Einkaufswägelchen über die Bühne schlurfen. Ohne Worte.
    Das war's dann aber auch fast schon mit Handke und dessen schöner Idee. Nico und die Navigators trauen ihr nämlich nicht wirklich – und reden. Worte, nichts als Worte; nicht immerzu, aber immerhin regelmäßig – da kommt der Zauber der stumm gedachten Szenen schnell abhanden. Außerdem unterlegt Regisseurin Hümpel dem vermeintlich unstrukturierten Marathon der Begegnungen (anders als Handke) erstaunlich viel Sinn; um nicht zu sagen: Botschaft. Unentwegt lässt sie das achtköpfige Ensemble-Personal in Mobiltelefone sprechen, stumm oder tatsächlich laut, und über fast zwei Stunden hin zeichnet sich ziemlich platte Zivilisationskritik ab – wir reden nicht mehr wirklich miteinander, sondern nur mehr virtuell; und der Albtraum aller Albträume ist das "Selfie". Jaja. Das stimmt natürlich – aber unter derlei Nullachtfuffzehn-Botschaft bricht das fragile Stück-Konstrukt sofort zusammen.
    Auch eine Art Hauptfigur hat die Regie dem Stück ganz ohne Not verpasst – alles nämlich ereignet sich vor Augen und Ohren eines Herrn, der es sich von Beginn an am Rande des Platzes der Begegnung bequem gemacht hat, mit vielerlei Zeitungen ausgestattet. Vor ihm lauert eine Art U-Bahn-Schacht, aus dem gelegentlich starke Stürme herauf brechen – und wie einst bei Marylin Monroe Röcke und andere Kleidung, aber eben auch Zeitungspapier empor wirbelt. Gleich zu Beginn wird der Müßiggänger kräftig beschimpft:
    "... nüchtern nachdenklich nickender Newspaper-Nerd! Schön errötend röhrender Romantiker im Endlos-Rondo – rettest Dich mit Deinem Ritardando vor Deiner Rolle als Alternative der Geschichte! Alles-Wisser und Vor-dem-großen-Ganzen-Schisser!"
    Das steckt der Herr leicht weg, denn er hat ja die Musik - gelegentlich beginnt Darsteller Ted Schmitz recht melancholisch zu trällern, mal klassisch, mal wie im Folk-Song, aber stets mit viel Vibrato. Und bald stößt eine Sängerin zu ihm, seelenverwandt und mit echtem Hündchen auf dem Arm. Das jault auch mal mit.
    Längst ist der Abend hier zur Nummernrevue geworden. Und tatsächlich lässt die Regisseurin das Personal die jeweiligen Begegnungen ausgiebig vorbereiten und ausführlich zelebrieren – die Grundidee basierte eigentlich aber auf der schnellstmöglichen Zufälligkeit des Geschehens, das keins war, weil es keinerlei Inhalt transportierte.
    Bei Nico und den Navigators kommt der Abend vor lauter Inhalt kaum auf Touren; die Vorstellung ist langsam, langatmig und -weilig, trotz reichlich Geplapper, Gesang und überhaupt Musik. Zu viel Drumherum hat der Abend, das ja – aber von "zu viel voneinander wissen" kann deshalb nicht die Rede sein.
    All das sieht aus, und hört sich an, wie ein veritables Missverständnis. Letztlich bleibt nur der zuweilen vergnügliche Blick auf die Figuren: den Dauertelefonierer, den rücksichtslosen Jogger, die alte Frau mit der Tragetasche, aus der es rätselhaft hervor dampft. Rätselhaft sind sie im besten Fall – das große Handke-Rätsel der wortlosen Welt aber bleibt Nico und den Navigators fest verschlossen.