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Theater
Projektionsfläche für Nachkriegsfrauen

In Luc Bondys Inszenierung von Ödön von Horváths "Don Juan kommt aus dem Krieg" am Berliner Ensemble mischt Samuel Finzi als trübes Don-Juan-Gespenst die Frauengesellschaft der Nachkriegszeit auf.

Von Eberhard Spreng | 16.10.2013
    Don Juan hat keine Lust mehr. Mit leerem Blick geistert der Kriegsheimkehrer durch Cafés, Schlafzimmer und Krankenhäuser. Aber es ist nicht der Schrecken des Krieges, der das Licht in seiner Seele ausgepustet hat; es ist das Wissen um die Nutzlosigkeit seines Suchens. Wenn hier dennoch zwischen ihm und den Frauen Verwicklungen möglich sind, dann weil die Damen, Krieg hin oder her, das Leben und Lieben nicht aufgegeben haben.

    Wie in einem Pferch sind sie in einer Sitzkuhle auf der in den Saal hineingezogenen Bühne versammelt und plaudern leicht apathisch über Gott, den Frieden und die Männer. Ob die nicht auch Menschen seien, fragt eine. "Nein", schreien die andern laut. Aber kaum taucht Samuel Finzi als trübes Don-Juan-Gespenst auf, sind die elf Damen aufgemischt, beginnt aufs Neue der Reigen der Geschlechter, eine Art Totentanz um den Fetisch Eros.

    Am schönsten sind hierbei die Umgarnungen der Ilse Ritter, die erst ein leichtes Mädchen spielt, dann die Witwe eines Kriegsgefallenen, die ihren einstigen Liebhaber wiedertrifft.

    - "Er hat uns alles verziehen, mein Mann, mir und dir. Jetzt ist er tot und du lebst. Warum bist du denn nicht verreckt?! Was suchst Du hier noch unter Menschen?! Bringst bloß Unglück und Unglück, wo du auftauchst, lauter Unglück."
    - "Ich glaub, ich bin durch den Krieg ein anderer geworden."
    - "Bei deinen Talenten?"
    - "Ich glaub, die hab ich verloren."
    - "Nein. Du bleibst, wer du bist."
    - "Ich bin es müde."
    - "Man sollte dich ausrotten."
    - "Ich weiß, ich bringe den Damen nichts Gutes."
    - "Du wirst ihnen nicht entrinnen."

    Horváths Don Juan wird inmitten der ansonsten reinen Frauengesellschaft in der männerarmen Nachkriegszeit zur Projektionsfläche. Während er einer verlorenen Liebe nachtrauert, im Niemandsland zwischen Vergangenheit und der Sehnsucht nach dem Tod, suchen sie im Hier und Jetzt nach ein bisschen Glück, auch wenn das in der grassierenden Inflationszeit nur als Abglanz einer Vorkriegsepoche zu erleben ist.

    So kann Don Juan als Untermieter in den inflationsbedingt verarmten Haushalt einer Witwe und ihrer beiden Töchter einbrechen wie der Virus einer tödlichen Krankheit. Der zweiten Tochter schenkt er Schlittschuhe und starrt auf der Eisbahn immerfort auf ihre Beine. Zugleich verliebt sich die Mutter in den merkwürdigen Gast.

    - "Was ist denn das, was mich zu dir zieht?"
    - "Nichts."
    - "Was machst du denn aus mir? Was machst du denn aus mir?"
    - "Nichts. So lass mich doch endlich in Frieden."

    Kathrin Angerer spielt die verzweifelte Beamtenwitwe ohne Scheu vor dem Melodramatischen. Neben ihr und der schnoddrigen Schwärmerin Ilse Ritter wirken viele Damen des Ensembles merkwürdig blass und flüchtig. Es zeigt sich, dass die kurzen Szenen, in denen weibliche Charaktertypen der Nachkriegsjahre skizziert werden, in der wie beiläufigen Regie des Luc Bondy starke schauspielerische Setzungen brauchen.

    So plätschert manches gediegen vor sich hin. Daran ist aber auch die Figurenanlage dieses Don Juan nicht ganz schuldlos. Samuel Finzi spielt ihn so sanft apathisch, so durchgängig abwesend und traumverloren, dass eine Fallhöhe zum legendären literarischen Vorbild erst gar nicht entsteht. Natürlich sucht dieser Mann im Leben den Tod - und bekommt ihn dann ja auch -, aber auch diese Sehnsucht nach dem Nichts braucht als Kontrastmittel Reste des erotischen Seins. Die manische Suche nach dem Absoluten, die ihn mit dem klassischen Vorbild verbindet, endet im Schnee am Grab einer geliebten und von ihm verlassenen Frau. Finzi sinkt nieder, erstarrt, wird zum Schneemann.

    Karl-Ernst Herrmann lässt die schwarze Bühnenschräge nach vorn hin in Zacken auslaufen; zwei Dreiecke flankieren sie gelegentlich und betonen einen abstrakten Expressionismus. Mal sind vier Krankenhausbetten in einer Diagonale aufgereiht, mal ein paar Caféhaustische arrangiert. Nachkriegsfolklore, Inflationsrealismus sind so nicht bebildert, eher schon ein morbider Club für Nachtgespenster jeden Alters.

    Dieses Theater spekuliert auf die Anziehungswirkung seines Starensembles und arrangiert es in einer hübsch gediegene Verpackung. Dabei stört dann auch kaum noch, dass man Schauspieler wie Kathrin Angerer oder Samuel Finzi woanders schon deutlich besser sah. Als Paket ist dieser Don Juan allemal ansehnlich, und außerdem ist ein solcher Theateransatz in der Hauptstadt bis auf Weiteres konkurrenzlos.